Höchste Eisenbahn
Wir müssen gar nicht weit zurückblicken, um festzustellen, dass es bei uns wohl geordnet und bequem zugeht – auch im Hinblick auf die Zeit. Denn noch im 19. Jahrhundert herrschte ein wahres Chaos an unterschiedlichen Ortszeiten und Länderzeiten. In den USA gab es 1860 noch 300 Lokalzeiten.
Schmerzhaft deutlich wurde das aber erst durch die Beschleunigung des Reiseverkehrs. Dass es in Königsberg 12.22 Uhr und in Aachen 11.24 Uhr war, wenn es in Berlin 11.53 Uhr war, störte nicht, solange nur Wanderer, Reiter und Kutschen unterwegs waren. Man brauchte selbst für kurze Strecken Stunden oder gar Tage, auf Minuten kam es nicht an.
Das änderte sich mit der Eisenbahn. Sie verdoppelte oder verdreifachte die Reisegeschwindigkeit. Die Entfernungen schmolzen zusammen. Die vielen unterschiedlichen Lokalzeiten machten sich bei der Aufstellung der Fahrpläne störend bemerkbar. Damit die Zugführer den Überblick über die Fahrzeit behielten, führten die Bahngesellschaften “Eisenbahnzeiten“ ein. Der Zugführer erhielt bei Fahrtantritt eine Uhr mit der gültigen Eisenbahnzeit, nach der er sich richtete.
Zu den Orts- und Länderzeiten galten also parallel auch noch Eisenbahnzeiten der verschiedenen Linien. Das konnte nicht lange gut gehen. Der Ruf nach Synchronisation der Ortszeiten wurde umso lauter, je mehr die Eisenbahnnetze zusammenwuchsen. Es war “höchste Eisenbahn“ - diese Redewendung, die Eisenbahn mit Zeit gleichsetzt, stammt übrigens aus einer Komödie dieser Zeit.
Auf der ersten Standardzeitkonferenz in Washington kam 1884 der Vorschlag auf den Tisch, die Erde – ausgehend von der Greenwich-Zeit – in 24 Zeitzonen mit je 15 Längengraden zu einer Stunde Zeitdifferenz einzuteilen. Die neuen Einheitszeiten setzten sich schnell durch. In Deutschland wurde die neue Standardzeit 1893 eingeführt.