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Gigantisch groß: Das Phänomen riesiger Inseltiere
Inseln sind vom Festland isoliert und deshalb meistens von einer ganz besonderen Flora und Fauna geprägt. Bekannt ist, dass sich zum Beispiel die Größe von riesigen Säugern innerhalb der Evolution auf Inseln verändern kann. Als angepasst gilt für Elefanten beispielsweise, wenn sie eine geringere Körpergröße haben als auf dem Festland üblich. Das begrenzte Nahrungsvorkommen der isolierten Insellandschaft sorgt dafür, dass nur die Tiere überleben, die auch mit weniger Nahrung auskommen. Biologen beobachten aber auch das umgekehrte Phänomen: Inselgigantismus.
Fossile Giganten
Kleine Tiere entwickeln auf Inseln manchmal deutlich größere Körperformen als auf dem Festland – Beispiele von insellebenden Giganten reichen bis weit in die Vergangenheit zurück: Beispielsweise zählte der heute ausgestorbene Moa mit bis zu zweieinhalb Metern Größe zu den Riesen unter den Vögeln. Die flugunfähigen Moas waren einst die dominierende Tierart in Neuseeland, starben jedoch innerhalb kürzester Zeit aus, nachdem Ende des !3. Jahrhunderts die ersten Menschen die Insel erreichten und Jagd auf die Giganten machten.
Weitere außergewöhnliche große Vertreter der Vögel haben Forscher im Jahr 2019 auf Neuseeland entdeckt. Darunter ist das Fossil eines riesenhaften Pinguins – er war so groß wie ein kleiner Mensch. Der Urzeit-Vogel ist einer der ältesten und größten weltweit bekannten Pinguine. Mit einer Körperhöhe von rund 1,60 Metern überragte er die größten heute lebenden Pinguine um mindestens 40 Zentimeter.
Ein weiteres Beispiel ist das Fossil des bisher einzigen Riesen-Papageis der Welt. Der rund ein Meter große Vogel lebte etwa vor 16 bis 19 Millionen Jahren und war doppelt so schwer wie der größte heute lebende Papagei. Mit seinem mächtigen Schnabel könnte der Riesen-Papagei vermutlich sogar andere Vögel getötet und gefressen haben.
Die Größten ihrer Gattung
Die Neigung zum Riesenwuchs lässt sich aber auch heute beispielsweise bei Leguanen, Geckos und Waranen wie beispielsweise dem Komodowaran beobachten – und auch bei kleinen Nagetieren wie Mäusen. Und genau das verfolgen Forscher manchmal mit berechtigter Besorgnis: Auf der Gough-Insel im Süd-Atlantik sind Mäuse inzwischen so groß geworden, dass sie die dort lebenden Albatros-Küken angreifen. Chris Jones von der britischen Vogelschutzorganisation RSPB erklärt: „Die Seevögel auf Gough sind den Attacken schutzlos ausgeliefert, da sie keine Säugetiere oder auch nur Vierbeiner als natürliche Fressfeinde kennen.“
Der Biologe Frank Chan vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie untersuchte die möglichen Faktoren für den Riesenwuchs von Mäusen. Chan fand heraus, dass sich im Erbgut der Mäusegiganten im Vergleich zu den Mäusen vom Festland 67 Genorte unterscheiden. So wird die Größenzunahme gerade in kleinen Populationen rasant weitervererbt. Aber warum setzen sich Individuen dieser Größe so gut durch?
Üblicherweise kommt es kleinen Mäusen zugute, dass sie viele Fluchtwege nutzen können, um sich vor Fressfeinden zu schützen. „Fehlen jedoch spezialisierte Räuber, wie das häufig auf Inseln der Fall ist, sinkt für viele Arten der Druck, die Körpermaße reduziert zu halten“, formulierte bereits Biologe Lawrence Heaney 1978.
Gigantische Vorteile
Viele Forscher vermuten, dass mehrere Faktoren zum Gigantismus beitragen. Zum einen sind das passende Klima, genügend Wasservorkommen und ein ausreichende Nahrungsangebot Voraussetzungen für das Wachstum der Tiere. Ein weiterer Faktor könnte die Gegenwart von ähnlich großen Fressfeinden sein. Wer sich in seinem Gebiet gegen Fressfeinde gleicher Größe durchsetzen will, profitiert von einem größeren Körperbau. Auch bei der Wahl des Sexualpartners kann es für Weibchen von Interesse sein sich mit einem möglichst großen Männchen zu paaren, weil dieses robuste Nachkommen verspricht. Biologen bezeichnen dies als sexuelle Selektion – eine Auslese durch die Sexualpartner.
Und das Beispiel einer Leguanpopulation auf der Insel Anaho deutet auf einen weiteren möglichen Faktor für Gigantismus hin: Forscher der University of Nevada fanden heraus, dass männliche Leguane um Reviere konkurrieren – ähnlich wie Raubkatzen. Je größer und aggressiver ein Männchen dabei ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es ein Revier mit ausreichend Ressourcen verteidigen kann. Durch die begrenzte Fläche auf Inseln können sich die Leguane nicht beliebig weit verteilen, große Echsen haben hier also einen Überlebensvorteil.
All diese Faktoren zeigen: Ob Zwergwuchs oder Gigantismus – die Lebewesen, die am besten an ihre neue Umgebung angepasst sind, können in der speziellen Umwelt der Inseln überleben und sich fortpflanzen.