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Nackter Nager mit Superkräften

Der Nacktmull ist ein ziemlich außergewöhnliches Tier: Dieser Nager kennt weder Schmerz noch Krebs, er übersteht extremen Sauerstoffmangel und altert scheinbar nicht. Mediziner auf der ganzen Welt versuchen, den Geheimnissen hinter diesen "Superkräften" auf die Spur zu kommen. Denn könnten wir es wie der Nacktmull machen, wären womöglich auf einen Schlag zahlreiche Gesundheitsprobleme unserer Gesellschaft gelöst.
DAL, 18.09.2019

Nacktmulle sind zwar absurd hässlich, punkten aber mit "Inneren Werten".

Mit ihrer faltigen, nackten Haut und den dominanten Schneidezähnen gehören Nacktmulle (Heterocephalus glaber) definitiv nicht zu den schönsten Tieren, die die Evolution je hervorgebracht hat. Doch in Bezug auf ihre inneren Werte können die Nager aus Ostafrika dafür umso mehr punkten: Sie verfügen über eine Vielzahl von Eigenschaften, die sie für Mediziner auf der ganzen Welt hochinteressant machen.

Einer von vielen Gründen ist die Fähigkeit der Nagetiere, extremen Sauerstoffmangel zu überstehen. Menschen und Tiere brauchen Sauerstoff, um Glucose zu verstoffwechseln, die wiederum Energie an lebenswichtige Organe wie das Herz und das Gehirn liefert. Zu wenig davon und es drohen dramatische Folgen: von Übelkeit und Schwindel bis hin zum Absterben von Gewebe. Ohne jeglichen Sauerstoff wird ein normaler Mensch nach zwei Minuten ohnmächtig, nach fünf Minuten ist sein Gehirn irreparabel geschädigt, nach zehn Minuten ist er klinisch tot.

Kein Sauerstoff? Kein Problem!

Nicht so der Nacktmull: Ganz ohne Sauerstoff kann er bis zu 18 Minuten überleben, extremen Sauerstoffmangel steckt er sogar mehrere Stunden lang problemlos weg. Der Trick: In Mangelsituationen stellt der Nager einfach seinen Stoffwechsel um. Reicht der Sauerstoff nicht mehr aus, um die Glucose aus der Nahrung umzusetzen, nutzt er stattdessen Fruchtzucker. Im Gegensatz zu den meisten anderen Säugern kann der Nacktmull Fructose nicht nur in einzelnen Organen wie der Niere oder der Leber verwerten, sondern auf den Zucker als Energieersatz für den gesamten Organismus zurückgreifen.

Wahrscheinlich ist diese geniale Strategie des Nagers eine Anpassung an seinen Lebensraum. Denn er lebt gemeinsam mit vielen Artgenossen in engen unterirdischen Tunneln, in denen der Sauerstoffgehalt sehr gering und die Kohlenstoffdioxidkonzentration hoch ist. Forscher hoffen, dass diese Anpassung einmal Menschenleben retten wird. Die Unterversorgung mit Sauerstoff bei einem Herzinfarkt oder Schlaganfall kann binnen von Minuten schwere Schäden anrichten. Gelänge es jedoch, den Körper wie beim Nacktmull auf den Fructose-Stoffwechsel umzustellen, könnten Patienten vor solchen Folgen bewahrt werden.

Das "Gruppenkuscheln" im Nest dient der Wärmeregulation.

Immun gegen Schmerzen

Neben der erschwerten Atmung muss der Nacktmull noch mit einem weiteren Nebeneffekt der hohen CO2-Konzentration in seinen unterirdischen Bauten zurechtkommen: Übersäuerung. Genauso wie der Kontakt zu Säure kann ein hoher Kohlenstoffdioxidgehalt bei Säugetieren Verätzungen und sehr schmerzhafte Entzündungen im Gewebe auslösen. Der Säuregehalt aktiviert Schmerzfühler in der Haut, die an das Gehirn das Signal "Schmerz" senden.

Doch der Nacktmull bildet auch hier mal wieder eine Ausnahme: Er ist gegen chemische Reize wie Säure oder das in Chili enthaltene Capsaicin weitestgehend immun, und damit auch gegen eine schmerzhafte Übersäuerung des Gewebes durch Kohlendioxid. Wissenschaftler sind längst dabei, die Geheimnisse dieser Schmerzunempfindlichkeit zu entschlüsseln und dieses Wissen für die Entwicklung neuer Schmerzmedikamente zu nutzen.

Krebs gibt es nicht

Eine weitere Besonderheit des Nacktmulls: Anders als andere Nager und auch wir Menschen erkrankt er praktisch nie an Krebs. Er besitzt nämlich einen Mechanismus, der übermäßiges Wachstum von Zellen besonders effektiv unterdrücken kann: die sogenannte Kontaktinhibition. Sie stoppt ab einer gewissen Dichte die Vermehrung der Zellen – beim Nacktmull passiert dies schon deutlich früher als bei anderen Lebewesen.

Dank dieser früh einsetzenden Kontaktinhibition kann eine Entartung, also die unkontrollierte Vermehrung von Zellen, bereits in ihrer Anfangsphase gestoppt und die Entstehung eines Tumors vermieden werden. Warum aber funktioniert dies beim Nacktmull so gut? Forscher haben den Verdacht, dass die besonders großen Hyaluronsäure-Moleküle des Nacktmulls die Erklärung liefern könnten.

Ewige Jugend

Die Hyaluronketten sind ein wichtiger Bestandteil der sogenannten extrazellulären Matrix zwischen den Zellen und halten einzelne Zellen dank ihrer riesenhaften Größe offenbar in engerem Kontakt. Als Folge senden diese bei Berührung schneller entsprechende Alarmsignale und reagieren empfindlicher auf zu nah kommende Zellen, so die Theorie.

Die erstaunliche Immunität des Nacktmulls gegenüber Krebs könnte auch ein Grund für seine scheinbar ewige Jugend sein. In Nager-Maßstäben gemessen kann Heterocephalus glaber nämlich steinalt werden: 20 bis 30 Jahre erreichen die meisten Exemplare – und bleiben dabei auch noch bis zuletzt fit. Doch dass der Krebs aus dem Spiel ist, ist nicht die einzige Erklärung für die Langlebigkeit. Hinzu kommt: Die Zellen des Nacktmulls altern auch insgesamt viel langsamer als die anderer Säugetiere.

Der Nacktmull kennt die Antwort

Doch warum altert der Nager nicht oder nur sehr verzögert? Erste Indizien haben Wissenschaftler bereits gefunden. So scheint die DNA des "nackten Methusalems" ungewöhnlich reparierfreudig zu sein. Außerdem besitzt er einen speziellen Mechanismus, der die Anhäufung von Zellmüll auch im Alter verlässlich verhindert und die Zellen somit lange funktionsfähig hält.

Klar scheint: Wenn Mediziner die Hintergründe der außergewöhnlichen Merkmale des Nacktmulls im Detail verstanden haben, gäbe es damit auch neue Ansätze zur Lösung zahlreicher Gesundheitsprobleme des Menschen. Was lässt sich gegen chronische Schmerzen tun? Wie kann man die Entstehung von Krebs, wie die Folgen eines Schlaganfalls verhindern? Warum altern wir – und wie bleiben wir dabei gesund? Die Antworten auf all diese Fragen könnte der Nacktmull schon kennen.

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