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Meere ohne Plastik?
Kunststoffe stecken in Einkaufstüten und Verpackungen ebenso wie in Kleidung, Spielzeug, technischen Geräten und Kosmetik - ein Leben ohne sie scheint heute kaum mehr vorstellbar. Zwischen 1950 und 2015 wurden weltweit insgesamt 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoffe produziert. Gemessen an der heutigen Weltbevölkerung entspricht das mehr als einer Tonne pro Mensch. Mittlerweile ist die Kunststoffproduktion bei rund 300 bis 400 Millionen Tonnen jährlich angelangt - Tendenz steigend.
Das Problem: Ein Großteil des produzierten Plastiks landet schon nach kurzer Zeit im Müll oder gelangt über andere Wege in die Umwelt. Als Folge finden sich mittlerweile nicht nur auf Deponien Unmengen an Kunststoff, sondern auch in Böden und Gewässern. Allein in den Ozeanen schwimmen 150 Millionen Tonnen Plastikabfall, schätzen Forscher. Er zirkuliert in gigantischen Müllstrudeln wie dem Great Pacific Garbage Patch und ist selbst in so abgelegenen Regionen wie der Arktis oder der Tiefsee allgegenwärtig.
Verschmutzung für die Ewigkeit
Die ursprünglichen Vorteile des Materials werden in diesem Zusammenhang zum Fluch. Denn die Kunststoffe sind so robust und widerstandsfähig, dass sie nicht verrotten. Anstatt biologisch abgebaut zu werden, zerfallen Plastiktüten und Co lediglich unglaublich langsam in immer kleinere Teile. Das Plastik, das wir entsorgen, verschmutzt somit Jahrzehnte bis Jahrhunderte die Umwelt und ist auch dann noch ein Problem, wenn es kaum mehr sichtbar ist: in Form von Mikroplastik.
Die fatalen Folgen der Vermüllung sind hinlänglich bekannt: Immer wieder verenden Meerestiere, weil sie sich in Plastikschnüren verfangen oder der Kunststoff in ihrem Verdauungstrakt landet. Auch vom Mikroplastik wird vermutet, dass es Lebewesen - den Menschen eingeschlossen - schadet. Doch die Plastikflut ist nicht nur eine Gesundheitsgefahr für Mensch und Tier. Sie verändert auch die Zusammensetzung ganzer Ökosysteme. So wissen Forscher inzwischen, dass etliche marine Organismen die auf dem Wasser treibenden Plastikteile als Fähren nutzen und damit um die Welt reisen.
Ambitionierte Aufräumpläne
Was lässt sich gegen all das Plastik in unseren Meeren tun? Ideen, wie die Ozeane von Plastikflaschen, Einkaufstüten und Co befreit werden könnten, gibt es viele. Und einige davon werden bereits in die Tat umgesetzt: Da wäre zum Beispiel die "Seekuh" des Vereins "One Earth – One Ocean" - ein Katamaran, der in küstennahen Gewässern treibenden Müll mithilfe beweglicher Fangnetze einsammeln soll. Der von zwei australischen Surfern entwickelte "Seabin" ist dagegen für den Einsatz in Häfen konzipiert: Mithilfe einer Pumpe kann der schwimmende Mülleimer Plastikabfälle einsaugen.
Das bekannteste Ozeansäuberungsvorhaben ist allerdings wohl "The Ocean Cleanup": Der junge Niederländer Boyan Slat hatte die Idee, die Meere im großen Stil mit einer Art bogenförmigen Fangnetz von Plastik zu befreien. Doch den ersten Praxistest im Great Pacific Garbage Patch bestand seine Konstruktion nicht. Im vergangenen Jahr zeigte sich, dass das Plastik zwar wie geplant in das Sammelsystem hineinfloss, aber kurz darauf wieder herausgetrieben wurde.
Nach einigen Überarbeitungen scheint das Müllauffangsystem für die Meere nun aber doch zu funktionieren: Anfang Oktober vermeldete "The Ocean Cleanup", dass die Konstruktion erstmals wie geplant Plastik aus dem Meer gefischt hat. Dabei seien während der mehrmonatigen Testphase Kunststoffteile unterschiedlichster Größen eingefangen worden - von riesigen Fischernetzen, über Einkaufstüten bis hin zu Mikroplastikpartikeln.
Ein schwimmender Plastikkamm
Trotz dieses Erfolgs wird "The Ocean Cleanup" jedoch nur an der Oberfläche einen Unterschied machen können. Der Müllfänger greift nämlich lediglich nahe der Wasseroberfläche schwimmende Kunststoffteile ab. Den Müll, der von Wellen und Strömung in die Tiefe gedrückt wird, erreicht er nicht. Genau für dieses Defizit will Marcella Hansch eine Lösung gefunden haben - mit dem Pacific Garbage Screening.
Die deutsche Architektin entwarf die Anlage nach eigenen Angaben, nachdem sie bei einem Tauchurlaub mehr Plastikmüll als Fische vor ihrer Taucherbrille gesehen hatte. Ihr Entwurf ähnelt einem schwimmenden Kamm mit riesigen Zinken, zwischen denen sich die Wasserströmung punktuell beruhigen lassen soll. Die Folge: Plastik, das sonst nach unten gedrückt würde, steigt aufgrund seiner geringen Dichte an die Oberfläche und kann dort eingesammelt werden. Selbst kleine Partikel könnten so aus dem Wasser gefiltert werden. Wann das Vorhaben in die Tat umgesetzt werden kann, ist allerdings fraglich. Bisher existiert die Plattform lediglich auf dem Papier.
"Reduce and reuse"
Noch ist unklar, ob die Menschheit der selbstverursachten Plastikflut wird Herr werden können. Doch nehmen wir einmal an, dies ist der Fall und in den Meeren schwimmt irgendwann wirklich kein Kunststoffmüll mehr: Langfristig wird ein solcher Erfolg nur dann Bestand haben, wenn wir grundlegend etwas ändern. Denn solange wir weiterhin Unmengen an Plastikprodukten konsumieren, die schlecht biologisch abbaubar sind und kaum recycelt werden, wird immer wieder Plastikmüll in den Ozeanen landen.
Aus diesem Grund fahnden Forscher bereits nach besseren Recyclingmöglichkeiten und ökologischen Kunststoffalternativen. Währenddessen kann aber auch jeder einzelne von uns etwas gegen den Plastikwahnsinn unternehmen: im Alltag so wenig wie möglich Kunststoffmüll erzeugen. Genau das versuchen inzwischen immer mehr Menschen. Dabei geht es darum, von vornherein möglichst wenig Produkte mit Plastik zu konsumieren und diese so lange wie möglich zu nutzen. Frei nach dem Motto: "reduce and reuse".