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Nahrungsergänzungsmittel: Teure Vitamine naschen

Rotweintabletten, Artischockendragees und Apfelessigkapseln: Im Zuge des Wellness-Booms sind Functional Food und Nahrungsergänzungsmittel (NEM) groß im Kommen. Sie versprechen das Wohlfühl-Plus aus der Tube oder Pillendose. Doch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) zweifelt die gesundheitsfördernde Wirkung von Obst- und Gemüseextrakten als Nahrungsergänzungsmittel an.
Claudia Haese

Nahrungsergänzung in Tablettenform

Konzentrierte Gesundheit

Vorbei ist die Zeit von Knoblauchpillen, Ginsengdragees und Lebertran. Seit Ende der 90er Jahre drängen immer vielfältigere Produkte auf den Markt: Sie enthalten nicht nur Mineralstoffe und Vitamine, sondern darüber hinaus auch Vitaminoide, Fettsäuren und sekundäre Pflanzenstoffe wie beispielsweise Lycopin, Polyphenole oder Phytosterine. Kieselerde und Bierhefe sollen der Gesundheit ebenso gut tun wie Haifischknorpel. Auch probiotische Bakterien und Mikroalgen wie Chlorella oder Spirulina sind im Angebot. Und neben Proteinen und Peptiden wie beispielweise Gelatine gibt es auch Kohlenhydrate in Tablettenform.

Das Gesundheitsbusiness treibt dabei mitunter bunte Blüten: So preisen Vertreiber über Internet chlorophyllhaltiges Weizen- und Gerstengras an. Was Pflanzen so frisch grün macht, kann ja auch dem Menschen nicht schaden. Das Protein enthält zwar keinen synthetisierten Sonnenschein, sondern lediglich Magnesium - es soll aber auf Grund der nahen molekularen Verwandtschaft zu Hämoglobin Blut bildende Wirkung haben.

 

Was Nahrungsergänzungsmittel eigentlich sind

Blick in den Kühlschrank

Wie der Name Nahrungsergänzungsmittel (NEM) schon sagt: Sie sollen sie die Nahrung ergänzen. Dementsprechend gelten sie als Lebensmittel - auch wenn ihre Erscheinungsform eher an Arzneimittel erinnert. Eine explizite lebensmittelrechtliche Definition für den Begriff fehlt allerdings in Deutschland. Eine europäische Regelung ist erst in Vorbereitung. Bis dahin gelten sie hier zu Lande einfach als Lebensmittel, die Mikronährstoffe wie Vitamine oder Mineralstoffe in konzentrierter Form enthalten, dabei aber kaum Energie liefern.

Das Angebot ist vielfältig und das Substanzspektrum fast unüberschaubar. Neben "klassischen" Nährstoffen wie Vitaminen und Spurenelementen sind auch verschiedene Fettsäuren, sekundäre Pflanzenstoffe, Aminosäuren sowie pharmakologisch wirksame Pflanzenauszüge enthalten. In Produkten aus dem Ausland können zudem Hormone wie Melatonin, DHEA oder Phytopharmaka stecken.

Genau hier liegt der Knackpunkt: Nahrungsergänzungsmittel liegen in einem Grenzbereich zwischen Nahrung und Arznei. Und das nicht nur auf Grund der Form. Zahlreiche Substanzen, die in anderen EU-Ländern als Nahrungsergänzungsmittel eingestuft werden, zählen in Deutschland bereits zu den Medikamenten. Allerdings dürfen diese Produkte wegen der Allgemeinverfügung in allen EU-Ländern gleichermaßen als NEM verkauft werden. Außerdem können sie über Internet und den Versandhandel direkt an den Verbraucher gebracht werden. Das macht eine Kontrolle fast unmöglich.

 

Kleines Lexikon der NEM-Bestandteile

Bunte Chemikalien

Vitamine und Provitamine wie Ascorbinsäure, Vitamin E, Folsäure oder Beta-Carotin: Vitamine sind organische Substanzen, die für den Stoffwechsel mit verantwortlich sind. Der Körper kann diese lebenswichtigen Stoffe - mit Ausnahme des Vitamin D - nicht selbst herstellen. Sie müssen also über die Nahrung aufgenommen werden. Doch Vorsicht: Während überschüssiges Vitamin C einfach herausgespült wird, rächt sich ein Überschuss an Vitamin A mit Vergiftungserscheinungen.

Zu den Spurenelemente zählen unter anderem Chrom, Zink, Eisen und Selen. Spurenelemente sind, wie die Mineralstoffe Kalzium und Magnesium, essenzielle Nährstoffe. Im Unterschied zu diesen werden die Spurenelemente aber nur in kleinsten Mengen gebraucht. Eisen beispielsweise bindet Sauerstoff an den Blutfarbstoff Hämoglobin und den Muskelfarbstoff Myoglobin. Eine zu hohe Eisenaufnahme führt allerdings zu einer Überladung - der so genannten "Hämochromatose". Und die kann tödlich sein. Auch Selen in zu hoher Dosis kann toxisch wirken. Deswegen ist es in Deutschland als Zusatz in Lebensmitteln verboten.

Vitaminoide wie beispielsweise Coenzym Q10: Diese Substanz spielt eine wichtige Rolle in der Atmungskette und kommt vor allem in Herz und Muskeln vor. Außerdem fängt sie freie Radikale. Im Gegensatz zu Vitaminen kann der Körper Coenzym Q 10 jedoch selbst in ausreichender Menge bilden. Außerdem ist es in fast allen Lebensmitteln enthalten. Selbst bei starker körperlicher Anstrengung entsteht kein erhöhter Bedarf. Genauso wenig kommt es durch die Einnahme von Coenzym-Q-Präparaten zu einer Leistungssteigerung. Vor einer unkontrollierten Aufnahme hoher Dosen Coenzym Q wird wegen vereinzelter Nebenwirkungen sogar gewarnt.

Aminosäuren und deren Derivate wie L-Lysin, L-Cystein und L-Carnitin: L-Carnitin spielt zwar eine wichtige Rolle beim Transport langkettiger Fettsäuren - doch bildet der Körper diese Substanz selbst. Eine zusätzliche Aufnahme ist nicht nötig. Und die in der Werbung versprochene, fettverbrennende beziehungsweise leistungssteigernde Wirkung ist nicht nachgewiesen.

Fettsäuren und Phospholipide: Neben Lecithin zählen auch die in Sonnenblumen- oder Sojaöl vorkommende Omega-6-Fettsäuren zu dieser Stoffgruppe. Warum Eskimos und Dänen so selten an Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden: Die in Fischöl enthaltenen Omega-3-Fettsäuren sollen die Herzkranzgefäße schützen. Dies konnte in klinischen Studien jedoch nicht bewiesen werden.

 

Wer Nahrungsergänzungsmittel wirklich braucht

Obst

Etwa 20 bis 35 Prozent der erwachsenen Bevölkerung nutzen Nahrungsergänzungsmittel - nicht als Ausgleich für eine unausgewogene Ernährung, sondern als Krankheitsschutz. Denn NEM stehen für ein Plus an Gesundheit, Energie und Aktivität. Doch braucht man diesen Nährstoffschub wirklich? Das Ergebnis der meisten Experten ist eindeutig: Eine ausgewogene Ernährung reicht völlig aus, um sich mit den nötigen Nährstoffen zu versorgen. Mit Ausnahme von Jod und Folsäure gibt es bei einem normalen Speiseplan alles in ausreichender Menge. Und gegen Jodmangel hilft jodiertes Speisesalz - weitaus billiger als teure Dragees und Pillen.

NEM können in Ausnahmefällen dennoch sinnvoll sein, nämlich bei einem erhöhten Bedarf an bestimmten Nährstoffen wie ihn Hochleistungssportler, stillenden Mütter und ältere Menschen haben. Auch für Menschen, die eine Reduktionsdiät machen, für Raucher oder Alkoholiker macht eine zusätzliche Dosis an bestimmten Nährstoffen Sinn.

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