Dr. Wolfgang Rost arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Psychologe in Marburg. Sein umfassendes und überaus lesenswertes Werk über die Emotionen ist vor kurzem in einer überarbeiteten Neuauflage erschienen.
Emotionen als Motiv
Herr Dr. Rost, warum sind wir Menschen so emotional? Warum sind Emotionen wie es im Untertitel Ihres Buches "Emotionen" heißt die "Elixiere des Lebens"?
Weil der Mensch ursprünglich aus Emotionen entstanden ist. Wenn wir die Evolution die letzten vier bis fünf Millionen Jahre zurückverfolgen, dann muss man feststellen, dass die Gedanken, die Kognitionen der Neo Kortex eine relativ junge Erfindung der Evolution ist. Ob bei Menschenaffen oder überhaupt im Tierreich: alles funktioniert auch ohne Kognitionen. Egal, ob das Gesundheitswesen der Löwen, die Fellpflege bei den Affen oder die Wintervorsorge bei den Eichhörnchen: alles wird durch Emotionen gesteuert. Der Neo Kortex, die Gedanken sind erst später dazugekommen und sie sind eigentlich nur Mittel zum Zweck. Die Emotionen sind es, die unser Sinnen und Trachten bestimmen, während die Kognitionen uns letztlich nur bessere Möglichkeiten zur Verfügung stellen. Unsere Gedanken sind das Werkzeug, die alles verfeinern oder vergröbern können. Aber die Motivation, die Motive sind in erster Linie Gefühle und Emotionen. Insofern müssen wir uns eigentlich fragen, wozu sind die Gedanken gut und nicht wozu sind Emotionen gut. Der Mensch ist per se ein emotionales Wesen.
Wann entstehen unsere Emotionen? Empfindet bereits das Embryo Zorn und Zuneigung?
Eindeutig ja. Die Ontogenese, also die Entwicklung eines kleinen Menschen zum Erwachsenen, ist ein Nachvollzug der Phylogenese, also ein Nachvollzug der Menschheitsentwicklung. Zuerst sind immer die Emotionen da. Kleine Kinder sind erst einmal zu 99 Prozent emotionale Wesen. Erst später werden die Kognitionen weiter ausgebildet und verfeinert. Das ist ein Grundgesetz der Biologie.
Ist beispielsweise die gegenseitige Liebe von Mutter und Kind per se vorhanden? Oder gibt es bestimmte Faktoren, die diese Form der Zuneigung verhindern können?
Sie ist per se vorhanden. Wobei das, was als Mutter wahrgenommen wird, durchaus variabel ist. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat das mit seinen Versuchen an Stockenten, die eben ihm selbst und nicht der Entenmutter gefolgt sind, sehr schön gezeigt. In einem bestimmten Alter und bei bestimmten Verhaltensweisen kommt es auf die Prägung als Mutter an. Insofern kann auch ein anderer Mensch dem Kind als Mutter gelten, wenn sich dieser bei ihm eben als "Mutter" eingeprägt hat. In jedem Fall braucht das Kind eine Mutter. Umgekehrt ist die Mutterliebe zu den Kindern anfälliger. Bei Schimpansen hat man beobachtet, dass es feindselige Mütter gibt. Die Jungschimpansen trugen dabei teilweise schwere Schäden davon. Das führte bis zur späteren Zeugungsunfähigkeit. Und auch bei Menschen können wir das beobachten. Wenn es etwa um Autismus geht oder viele anderen Störungen, die entstehen können, wenn die Mutterliebe nicht vorhanden ist. Kinder brauchen Mutterliebe unbedingt, aber noch mal: Es muss nicht unbedingt die der leiblichen Mutter sein.