Als der erst 54 Jahre alte Michail Gorbatschow zum neuen Generalsekretär der KPdSU gewählt wird, deutet nichts darauf hin, dass damit eine neue Epoche der Weltgeschichte beginnt, ein halbes Jahrzehnt später die Teilung Deutschlands und die Spaltung Europas in zwei große Blöcke überwunden sein wird und damit die Nachkriegszeit endgültig der Vergangenheit angehört. Doch zunächst bleibt vieles beim Alten. Politisch tut sich 1985 recht wenig in der Bundesrepublik.
Stattdessen macht ein deutscher Sportler international von sich reden. Der 17jährige Boris Becker geht als bis dahin jüngster Sieger in die Geschichte von Wimbledon ein. Außerdem ist er der erste Deutsche, der das traditionsreichste Tennisturnier der Welt gewinnen kann. Sensationell schlägt er im Finale den Südafrikaner Kevin Curren. Dieser Triumph verändert Beckers Leben ebenso wie den deutschen Tennissport. Der Teenager avanciert über Nacht zum Medienstar, sein Privatleben entwickelt sich zum steten Objekt öffentlichen Interesses. Aus dem in der Bundesrepublik Deutschland elitär angehauchten „weißen Sport“ wird im Zuge des einsetzenden „Becker-Fiebers“ eine Betätigung für jedermann.
Was sonst noch geschieht: Am 13. Februar wird in Dresden die Semperoper wiedereröffnet, das Vermummungsverbot auf Demonstrationen eingeführt, Klaus von Klitzing erhält den Physik-Nobelpreis und Joschka Fischer wird in Turnschuhen als erster „grüner“ Minister in Hessen vereidigt.
Mehr als nur eine Randnotiz: Günter Wallraffs „Ganz unten“ erscheint im Oktober und wird zu einem der größten Bucherfolge Deutschlands. Der Enthüllungsjournalist Wallraff macht hier die Bedingungen, unter denen sog. Leiharbeiter ausgebeutet werden nicht nur öffentlich, sondern für jeden Leser erlebbar. Als Türke „Ali“ begibt er sich nach ganz unten, an den Rand der bundesrepublikanischen Wohlstandsgesellschaft und erlebt Verachtung und Ablehnung.
Hier hören Sie das Audio "Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1986"