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Luxus (Podcast 187)

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Diesmal geht es um ein Phänomen, an dem sich die größten Geister bis heute scheiden. Es geht um Luxus. Wie in kaum einem anderen gesellschaftlichen Bereich scheint sich gerade im Luxus und seinem jeweiligen Stellenwert zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Kontexten die ganze Bandbreite moralischer Ordnungsversuche zu spiegeln. Während der Begriff einerseits das den jeweiligen Standard Überragende, Wertvolle und Prachtvolle bezeichnet, steht er andererseits immer auch für Maßlosigkeit, Überfluss und Verschwendung. "Das ist ja purer Luxus“, sagt man und schaut dabei meist etwas verächtlich. Aber eben auch: "Diesen Luxus gönne ich mir.“ Die nächsten Minuten sind, wenn Sie so wollen, purer Luxus, denn es geht um nichts anderes als um das, was der Soziologe Werner Sombart definiert hat als "jeder Aufwand, der über das Notwendige hinausgeht.“

 

Wortgeschichte

Gehen wir, um bei der Wurzel zu beginnen, zunächst vom Wort aus. Das Wort "Luxus“ stammt vom lateinischen „luxus“, was soviel heißt wie "üppige Fruchtbarkeit“. "Luxuria“ bedeutet ursprünglich die "Entfernung von altrömischer Strenge und das Leben nach Wohlgefallen“, durchaus mit der Konnotation von Verschwendung und Überfluss.

Das lateinische Verb "luxuriare“ bedeutet "üppig sein, üppig wachsen“ sowie "schwelgen, ausschweifen, ausarten“. Noch heute gibt es im Deutschen das Fremdwort "luxurieren“, und zwar in der Fachsprache von Biologen. Botaniker bezeichnen damit die Tatsache, dass etwas üppig wächst oder, allgemeiner, dass etwas mehr wird, sich steigert. Und in der Tierforschung bedeutet "luxurieren“: "ein übermäßig großes Geweih oder Gebiss ausbilden“.

 

Wurzelsünde "Luxuria“ und Luxusverbot

Im Laufe der Jahrhunderte - und ganz besonders im Mittelalter - hat sich der Begriff moralisch aufgeladen, eine Folge der brennenden Debatten, die Moralphilosophen, Theologen und Geistliche um das schillernde Phänomen geführt haben.

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit ist "Luxuria“ als Wollust eine Tod- oder genauer Wurzelsünde – und zwar nicht nur irgendeine. Zusammen mit der "Superbia“, dem Hochmut, wird sie als Sünde aller Sünden angesehen, als eine Art Grundübel, aus dem alle anderen Todsünden hervorgehen.

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts geriet die Kirche, die ein anspruchsloses Dasein predigte, selbst in die Kritik. Viele Reformatoren, darunter auch Martin Luther, warfen den geistlichen Oberhäuptern einen luxuriösen und ausschweifenden Lebensstil vor. Sogar christliche Kunstwerke und Schmuckelemente in den Gotteshäusern wurden nun in Frage gestellt.

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sorgte in Florenz der italienische Bußprediger und Dominikaner Savonarola für Aufruhr. In flammenden Reden kritisierte er den Lebenswandel des herrschenden Adels und des Klerus. Er wetterte gegen den in prachtvollen Kostümen, Gemälden und anderen Kunstwerken zur Schau gestellten Reichtum und Prunk der Familie Medici, jener berühmten Kaufmanns- und Mäzenatendynastie aus Florenz. Außerdem verbot er Frauen, Schmuck zu tragen!

Immer wieder versuchten Herrscher, durch Gesetze und Sanktionen der Ausbreitung von Luxus entgegenzuwirken. Dokumentiert sind aus damaliger Zeit unzählige Kleiderordnungen, die den unteren Gesellschaftsschichten das Tragen von feinen Stoffen verboten. Die Gondel-Anordnung des Dogen Gerolamo Priuli aus dem Jahr 1562 ist in ihren Auswirkungen heute noch sichtbar. Das Staatsoberhaupt der Republik Venedig befahl nämlich, dass die Gondeln ab sofort keine andere Farbe mehr haben durften als schwarz. Damit sollte eine Prunksucht unter den Gondolieren verhindert werden. Seither sind die Gondeln in Venedig schwarz.

 

Aufwertung des Luxus ab dem 18. Jahrhundert

Entspannter, was den Luxus betrifft, geht es erst im 18. Jahrhundert zu. Nach dem Niedergang des Absolutismus in Frankreich durch die Französische Revolution und durch das Aufkommen einer neuen Schicht, nämlich des Bürgertums, wird der Luxus in neuem Licht gesehen. Mit wachsenden Handelsbeziehungen und mit dem Aufbau großer Manufakturen können neuerdings auch Normalsterbliche zu Vermögen kommen, und so ändert sich bei vielen die Einstellung gegenüber exklusiven, besonders wertvollen Gütern. Die neue Wissenschaft der politischen Ökonomie nimmt das Phänomen Luxus nicht mehr so sehr unter die moralische Lupe, sondern fragt eher danach, inwiefern Luxus für eine lebensfähige Gesellschaft wichtig sein könnte.

Große Denker verweisen nun auf die Vorteile des Luxus als Triebfeder von Nachfrage, technischem Fortschritt, erhöhter Beschäftigung und Export, mithin der Prosperität der Gesellschaft. Einer der zentralen Vertreter luxusaffiner Wirtschaftstheorien im 18. Jahrhundert ist der britische Ökonom James Steuart. In seinen "Principles of political Oeconomy“ aus dem Jahr 1767 führt er aus, dass Luxus eine "Feinheit in Geschmack und Lebensweise“ sei, "die auf die Arbeit und den Erfindungsgeist des Menschen gerichtet ist“. Wie der Luxus "den Ehrgeiz“ des "Armen“ individuell ansporne, so habe er auch und vor allem aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive einen entscheidenden Vorteil: Der Luxus sei, so Steuart, ein "Mittel, um denen Beschäftigung zu verschaffen, die von ihrem Fleiße leben müssen, und um eine gleichmäßige Zirkulation des Reichtums und der Unterhaltsmittel in allen Bevölkerungsklassen zu fördern“.

Die Ambivalenz von Luxus ist bis heute ungebrochen. Luxus-Gegner und Luxus-Befürworter streiten sich die Köpfe wund. Wie viel weiser klingt doch da der französische Dichter und Philosoph Voltaire (1694 bis 1778), der diese Ambivalenz in einem berühmt gewordenen Bonmot zusammengefasst hat: "le superflu - chose très nécessaire“ - „der Überfluss - eine sehr notwendige Angelegenheit“.

 

Luxus - wozu?

Wenn heute öffentlich von "Luxus“ die Rede ist, dann ist damit meist ein bestimmter, weit über dem Durchschnittseinkommen liegender Lebensstil mit bestimmten Statussymbolen und einem bestimmten Habitus gemeint: Luxuslimousine, Haute Couture, ein möglichst glamouröses Hobby, eigene Villa und so weiter und so fort. Ein derartiger Lebensstil erfüllt, je nach Sichtweise, unterschiedliche Funktionen: Soziale Distinktion, also Abgrenzung von unteren Einkommensschichten durch demonstrativen Reichtum, Steigerung des Selbstwertgefühls, Steigerung des Sicherheitsgefühls im Sinne eines materiell Abgesichertseins, aber auch der Wunsch nach Verfeinerung und Kultivierung der eigenen Persönlichkeit oder schlicht pure Freude am Genuss. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1930 bis 2002) hat in seinem Hauptwerk "Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft“ die kulturellen Abgrenzungsmechanismen zwischen den gesellschaftlichen Schichten dargestellt und darauf seine Theorie des sozialen Feldes gegründet.

Eine ganz andere Spielart von Luxus, fernab von Besitz und Habitus, ist der Luxus,  Zeit zu haben. Zeit zur freien Verfügung zu haben, sich seine Zeit nach eigenem Ermessen einteilen zu können und dies nicht allein fremden Rhythmen zu überlassen, ist, zumindest für Arbeitnehmer in herkömmlichen Betrieben, noch immer ein großer Luxus. Aber auch für Freiberufler, die sich ihre Zeit rein theoretisch selbst einteilen können, ist diese Autonomie in einem von Abgabefristen, Auftragsakquise und Pflicht zu permanenter Erreichbarkeit bestimmten Arbeitstag eher die Ausnahme, also: Luxus.

Ganz allgemein könnte man Luxus verstehen als selbst gewählte Verweigerung der im jeweiligen Kontext gerade gültigen Standards. Sich Inseln der Selbstbestimmtheit und Eigenheit inmitten der Normierung zu schaffen, aus guten Gründen einfach mal nicht mitzumachen, bei dem, was andere einem als gut und richtig verkaufen wollen, nichts zu müssen, was man nicht will, ist ein Luxus, den man sich einkommensunabhängig getrost erlauben kann, solange es niemandem schadet.

 

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