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Der Islam – fünf Säulen bilden das Fundament des Glaubens

Der vom Propheten Mohammed im 7. Jahrhundert begründete Islam ist nach Judentum und Christentum die jüngste der drei westlichen, monotheistischen Weltreligionen. Im Islam wird Allah als der einzige Gott, Schöpfer aller Dinge und Herrscher über die Welt verehrt. Seinem Willen hat sich der Gläubige bedingungslos zu unterwerfen. Der versprochene Lohn für ein gottgefälliges Leben ist das Paradies.

Das heilige Buch des Islam ist der Koran, die um 650 entstandene Zusammenfassung der Offenbarungen des Propheten Mohammed. Er ist in 114 Abschnitte, Suren genannt, eingeteilt. Die wichtigsten Heiligtümer des Islam sind Mekka, wo Mohammed den Islam gestiftet hat, und das ebenfalls auf der arabischen Halbinsel gelegene Medina.

Die zentralen Glaubensinhalte kommen in den Fünf Säulen des Islam zum Ausdruck: das Glaubensbekenntnis »Es gibt nur einen Gott, Allah, und Mohammed ist sein Prophet«; das täglich fünfmalige Gebet, bei dem Suren aus dem Koran rezitiert werden und man sich vor Gott niederwirft; die Almosensteuer, die mindestens zwei Prozent des Einkommens ausmachen soll; das Fasten im Monat Ramadan, in dem die Gläubigen zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang nicht essen, trinken oder rauchen dürfen; die Wallfahrt nach Mekka, Hadsch genannt, mindestens einmal im Leben.

Oftmals missverstanden wird der religiöse Begriff des Dschihad als »heiliger Krieg« gegen die Ungläubigen zur Ausdehnung und Behauptung des Islam. Im eigentlichen Sinn meint Dschihad die Anstrengung und Mühe des Menschen auf dem Weg Gottes und die Überwindung der eigenen Schwächen.

Nach Mohammeds Tod im Jahr 632 kam es zu einer Spaltung des Islam in die zwei Hauptrichtungen Sunniten – heute etwa 90 Prozent aller Muslime – und Schiiten. Beide Richtungen brachten mehrere Rechtsschulen hervor, die den Koran unterschiedlich interpretieren.

Mohammed, der Gepriesene: Prophet und Glaubensstifter

Woher stammte der islamische Religionsgründer?

Abul-Kasim Mohammed wurde im Jahr 570 in Mekka auf der arabischen Halbinsel geboren. Sein Vater war bereits vor seiner Geburt gestorben, seine Mutter gab ihn frühzeitig zu einer Amme, was in jener Zeit bei Kaufmannsfamilien zum besseren Gedeihen der Kinder üblich war. Mohammeds Mutter starb, als er erst sechs Jahre alt war. Die folgenden zwei Jahre nahm ihn dann sein Großvater in seine Obhut, nach dessen Tod sein Onkel Abu Talib. Bei ihm freundete sich Mohammed mit seinem Cousin Ali an. Die Familie Mohammeds gehörte zu der angesehenen, jedoch zunehmend verarmenden Sippe der Banu Haschim aus dem Stamme der Quraisch. In ihren Händen lag die Betreuung des altarabischen Heiligtums der Kaaba. Schon früh schloss sich Mohammed unter der Führung seines erfahrenen Onkels Abu Talib Handelskarawanen an, die gen Damaskus oder Gaza zogen.

Wie lernte Mohammed seine erste Ehefrau kennen?

Sie engagierte ihn als Kaufmann. Der Überlieferung nach war Mohammed nicht nur ein guter Kaufmann, sondern zeichnete sich schon früh durch ein hohes Maß an Umsicht und Klugheit sowie durch seine große Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit aus. Sein guter Ruf kam auch der reichen Kaufmannswitwe Chadidscha zu Ohren, die ihn daraufhin anstellte und vor allem für Karawanen in die Regionen des heutigen Syrien einteilte. Die vierzigjährige Chadidscha fand darüber hinaus bald auch privat Gefallen an dem gut 15 Jahre jüngeren Mann. Sie trug ihm die Ehe an und Mohammed willigte ein. Da er als Vollwaise nichts geerbt hatte, ermöglichte ihm nun das Vermögen seiner Ehefrau, ein wohlhabender Kaufmann zu werden.

Welche Bedeutung hatte der Glaube für Mohammed?

Er spielte eine zentrale Rolle in seinem Leben. Regelmäßig entzog er sich dem Alltagstrubel und verschwand in die Einsamkeit der Wüste. Er suchte bevorzugt die kahlen Hänge des Berges Hira bei Mekka auf, an dessen Fuß eine Höhle lag, in die er sich immer häufiger für gebetsähnliche Übungen zurückzog.

Auf der arabischen Halbinsel gab es neben den einheimischen religiösen Vorstellungen auch jüdische Gemeinden sowie christliche Mönche, Kriegsgefangene und Sklaven. Was Mohammed über deren Religion erfuhr, beschäftigte ihn sehr. Am meisten fühlte er sich von der Vorstellung eines einzigen Gottes angezogen, die er sich bald zu eigen machte, während ihm die ständigen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Stämmen auf der Halbinsel sowie Geldgier und moralischer Niedergang der Einwohner Mekkas schon lange missfielen.

Wie wurde Mohammed zum Propheten berufen?

Aus heiterem Himmel, denn Mohammed traf es trotz seiner strengen Glaubensübungen völlig unvorbereitet, als ihm – er war beim Meditieren in der Höhle eingeschlafen – der Erzengel Gabriel als göttlicher Bote erschien, der von dem einen Gott kündete. Daraufhin kehrte er nächtelang in die Höhle zurück, um zu beten. Da erschien ihm Gabriel ein weiteres Mal und forderte ihn laut auf, das Gehörte vorzutragen. Bei dieser ersten Offenbarung etwa im Jahr 610 bezeichnete ihn der Erzengel als Gesandten Gottes.

Mohammed war daraufhin so verwirrt und voller Angst, dass er ernstlich erwog, sich von den Felsen in den Tod zu stürzen. Doch Chadidscha ermutigte ihn, an die Botschaft zu glauben. Schließlich war er davon überzeugt, von Gott den Auftrag erhalten zu haben, seine Botschaft zu verkündigen. Zunächst weihte Mohammed nur Menschen aus seinem privaten Umfeld in die Offenbarungen ein, die er nun öfters erhielt. So sammelte er die ersten Gefolgsleute um sich, bevor er etwa drei Jahre später begann, öffentlich zu sprechen. Damit war er zunächst auch recht erfolgreich, viele Angehörige, vor allem aus der Mittelschicht, schlossen sich ihm an.

Warum musste Mohammed aus Mekka fliehen?

Die wohlhabenden Kaufleute standen Mohammed von Anfang an eher feindlich gegenüber. In dieser Situation kam zudem erschwerend hinzu, dass sein Onkel Abu Talib starb und dessen Nachfolger als Oberhaupt des Klans der Banu Haschim Mohammed die Unterstützung seiner Familie entzog. Im Jahr 622 war der Druck schließlich so angewachsen, dass Mohammed beschloss, heimlich mit seiner Gefolgschaft in das 300 Kilometer entfernte Yathrib auszuwandern. Die dortige Gemeinde hatte ihn als Schlichter in einem Streit gerufen und gewährte ihm dafür ihren Schutz. Diese Auswanderung, die Hedschra, markiert den Beginn der islamischen Zeitrechnung.

Welches Verhältnis hatte Mohammed zu Juden?

In Yathrib, das bald in Medina umbenannt wurde (die Kurzform für Medinat an-Nabi, Stadt des Propheten), versuchte Mohammed erfolglos, eine gemeinsame religiöse Basis mit den dortigen Juden zu finden. Aber diese lehnten seine Offenbarungen ebenso ab wie die wenigen Christen, mit denen er Kontakt hatte. Mohammed gelangte zu der Annahme, Juden und Christen seien nur zum Teil im Besitz der göttlichen Offenbarungen, hätten diese aber verfälscht. Mohammed selbst verstand sich als der Prophet, dem von Gott durch seinen Engel direkt und unverfälscht die Wahrheit offenbart worden sei, die dann im Koran, dem heiligen Buch der Muslime, zusammengefasst wurde. Von nun an bekämpfte er nicht nur die Bewohner Mekkas, sondern auch die Juden.

Wie breitete sich die Lehre Mohammeds aus?

In Medina, das nun das Zentrum der neuen Religion geworden war, bekannten sich bereits viele aus der umliegenden arabischen Bevölkerung zum Islam. Mohammed stand dort einem Gemeinwesen vor, das nicht nur religiöser Leitung, sondern auch einer Sozial- und Wirtschaftsordnung bedurfte. Der Prophet trug dem mit der Gemeindeordnung von Medina Rechnung: Der Grundstein für einen islamischen Staat war damit gelegt.

Bis zur Rückkehr in die Heimatstadt Mekka sollten jedoch noch Jahre vergehen. In der Schlacht von Badr im Jahr 624 schlug Mohammeds kleine Armee die zahlenmäßig weit überlegene Streitmacht aus Mekka, was nur den Glauben seiner Anhänger bestärkte, er stehe unter dem Schutz Gottes. Zwar folgte ein Jahr später eine bittere Niederlage beim Berg Uhud, aber kurz darauf scheiterte der Gegenangriff Mekkas an einem genialen Schachzug Mohammeds: Er hatte um Medina einen Schutzgraben ausheben lassen, den die Gegner nicht überwinden konnten.

Wie nahm der Prophet Mekka für sich ein?

Nach zahllosen Verhandlungen konnte der Prophet mit seiner Gefolgschaft im Jahr 630 schließlich ohne allzu großen Widerstand in Mekka einziehen. Die Einwohner Mekkas hatten ihre ursprünglichen Befürchtungen gegenüber der neuen Religion zum großen Teil aufgegeben. Mohammed hatte die Kaaba, das ehemals heidnische Heiligtum, zu einem islamischen erklärt und die Pilgerfahrt dorthin zu einer Pflicht für alle Muslime gemacht. Dadurch blieb der Stadt eine zentrale Einnahmequelle erhalten. Die Tatsache, dass die islamische Gemeinschaft nun der Autorität der einzelnen Stämme übergeordnet war, bedeutete darüber hinaus mehr Sicherheit für die Pilger, den Handel und die Karawanen. Denn die ständigen Kämpfe zwischen den Klans hatten zu hohen Verlusten an Menschen und Eigentum geführt.

Mohammed zerstörte als Erstes die alten Götzenbilder, bot den Mekkanern jedoch seine Vergebung an und verzichtete darauf, von ihnen die Güter zurückzufordern, die sie sich nach seinem Auszug aus Mekka von seinen getreuen Gefährten unrechtmäßig angeeignet hatten. Lange konnte Mohammed seinen Triumph jedoch nicht genießen. Nur wenige Monate später starb er im Juni 631 unerwartet an einem Fieber in Medina.

Welche Stellung hat Mohammed im Islam?

Dort ist er eine zentrale Figur. Zwar betonte er selbst stets, dass er ein gewöhnlicher Mensch mit Fehlern und Schwächen sei. Dennoch haben die Muslime seine Person im Lauf der Jahrhunderte verklärt. Jedes seiner Worte und jede seiner Taten wurden genau festgehalten und gelten als Ideal, an dem jeder Muslim sein Leben ausrichten soll. Dem Glaubensstifter wurden nachträglich hellseherische und wundertätige Fähigkeiten zugeschrieben und er gilt den meisten heute als fehler- und sündenlos. Dabei handelt es sich um eine Verklärung, die von Mohammed selbst nie gewünscht war, im Gegenteil, er scheute nicht davor zurück, sich für eigenes Fehlverhalten zu tadeln. Außerordentlich ist jedoch seine Stellung als Siegel der Propheten: Die Reihe der prophetischen Offenbarungen gilt mit ihm als abgeschlossen, nach ihm kann sich niemand mehr als Prophet bezeichnen.

Wie wurde Mohammed im Westen gesehen?

Das christliche Abendland sah in ihm lange Zeit nur einen Ketzer und bezichtigte ihn der Verfälschung der im Alten und Neuen Testament offenbarten Worte Gottes, der Gewalt und der hemmungslosen Genusssucht. Tatsächlich heiratete der Prophet nach dem Tode Chadidschas der Überlieferung nach insgesamt 13 Frauen, jedoch fast ausschließlich aus politischen Gründen und um die Witwen seiner gefallenen Mitkämpfer nicht unversorgt zu lassen. Noch Luther bezeichnete ihn als Antichristen per se, im Abendland machte man ihm den Vorwurf, er habe nicht einmal Wunder vollbracht – nach christlicher Vorstellung eine Bedingung für Prophetentum.

Die Muslime haben ihm jedenfalls nachträglich Wunder zugeschrieben. Auch wird ein Besuch an seinem Grab während der großen Pilgerfahrt empfohlen. Den gläubigen Muslimen gilt Mohammed nicht nur als Prophet, sondern auch als Stellvertreter Gottes auf Erden.

Welche Rolle spielte Chadidscha?

Mohammeds erste Frau Chadidscha hatte als zweimalige Witwe ein großes Vermögen geerbt, das sie als kluge Geschäftsfrau gut investiert und vermehrt hatte. Obwohl sie wegen ihrer hohen sozialen Stellung und ihres Reichtums von Männern stark umworben wurde, entschied sie sich für den mittellosen Mohammed. Nach der ersten Offenbarung Mohammeds war es Chadidscha, die an ihn und seine neue religiöse Botschaft glaubte und ihn auch darin bestärkte, öffentlich zu sprechen. Sie war die erste gläubige Muslima und Mohammed dankte es Chadidscha, indem sie bis zu ihrem Tod im Jahr 619 seine einzige Ehefrau blieb.

Wussten Sie, dass …

Mohammed die Missgunst der reichen Mekkaner zunächst auch deshalb auf sich zog, weil er ihre politische Macht gefährdete? Die neue Religion, die eine Abschaffung der Vielgötterei forderte, gefährdete den Einfluss der reichen Kaufmannsleute, die an den Wallfahrten zu den Heiligtümern gut verdienten.

die reichen Kaufleute bei ihren Druckmitteln gegen Mohammed selbst und sein Umfeld nicht gerade zimperlich waren? Sie scheuten vor Verfolgungen, Androhungen eines Handelsboykotts oder dem Abladen von Unrat vor den Türen ihrer Gegner nicht zurück.

Koran, Sunna und Scharia: Muslimische Lebensregeln

Was steht im Koran?

Im Koran, dem heiligen Buch der Muslime, sind die durch den Propheten Mohammed von Gott empfangenen Offenbarungen niedergeschrieben. Die zunächst teils in schriftlicher, teils in mündlicher Form überlieferten Fragmente wurden jedoch erst etwa 20 Jahre nach seinem Tod in einem Buch gesammelt. Der Koran, wörtlich »Rezitiere!« (die Aufforderung des Erzengels Gabriel an Mohammed), gilt als direkte Abschrift des Urbuches Gottes, das sich bei diesem befindet, und somit als originalgetreues Wort Gottes.

Nach islamischer Vorstellung wurden bereits Mose und Jesus mit dieser Botschaft zu den Menschen geschickt, aber sowohl Juden als auch Christen haben sie verfälscht. Um dies in Zukunft zu verhindern, darf es nach Mohammed keinen weiteren Propheten geben und der Koran als Wort Gottes darf nur auf Arabisch gelesen werden. Jegliche Übersetzung gilt bereits als Auslegung. Dadurch ist Arabisch zu einer alle Muslime verbindenden Sprache geworden, auch wenn die meisten gerade nur so viel lernen, dass sie die vorgeschriebenen Gebete sprechen und verstehen können.

Warum gilt der Koran als Kunstwerk?

Der Koran gilt wegen seiner unnachahmlich schönen Sprache als Wunder des Islam. Das gesamte Buch ist in Reimprosa geschrieben. Es besteht aus 114 Suren, die wiederum jeweils in Verse eingeteilt sind. Die Suren sind nicht chronologisch geordnet, sondern entsprechend ihrer Länge in abnehmendem Sinn. Die einzige Ausnahme ist die Eröffnungssure »al-Fatiha«, die, obwohl recht kurz, den Anfang bildet.

Auch für Kunst und Literatur des Vorderen Orients war und ist der Koran prägend. Vor allem aber gilt er, als direktes Wort Gottes, als unveränderlich und bildet die Grundlage für die Gesetzgebung. Der Islam ist, im Gegensatz zum Christentum, aber vergleichbar dem Judentum, eine Gesetzesreligion. Eine weitere Grundlage des islamischen Rechts bildet das überlieferte Verhalten des Propheten Mohammed. Alle darüber hinausgehenden Regelungen müssen im Einklang mit diesen beiden Quellen stehen.

Was enthält die Sunna?

Die Sunna – die überlieferten Gewohnheiten des Propheten – steht als Richtlinie für das Leben eines gläubigen Muslims gleichbedeutend neben dem Koran. Sie umfasst sein Handeln, sein Reden und seine stillschweigende Zustimmung zu dem, was in seiner Umgebung getan und gesagt wurde, sowie das Verhalten seiner ersten Gefolgsleute. Diese Überlieferung erfolgte zunächst mündlich und wurde später dann in den so genannten Hadith-Sammlungen (Sammlungen der Aussprüche des Propheten) schriftlich festgehalten.

Welche Rechtsschulen gibt es im Islam?

Die verschiedenen Rechtsschulen, die sich aus den Hadith-Sammlungen entwickelten, sind nach ihren Gründern benannt: Bei den Sunniten, die sich vor allem am Propheten orientieren, gibt es die hanafitische, die malikitische, die schafiitische und die hanbalitische Rechtsschule. Bei den Schiiten, die sich mehr nach Ali, dem Schwiegersohn und Cousin Mohammeds richten, gilt die dschafaritische Rechtsschule. Die Rechtsschulen unterscheiden sich nur in einzelnen Bereichen. In der Regel gehört jeder Muslim einer dieser Schulen an, dies ist aber nicht bindend, jeder kann sich bei einzelnen Entscheidungen auch einer anderen Rechtsschule anschließen.

Was ist in der Scharia festgeschrieben?

Die Scharia (»Weg«, »Pfad«) umfasst Bestimmungen zu allen Lebensbereichen, so auch Erbrecht, Ehe- und Familienrecht, Straf- und Prozessrecht, und regelt das religiöse und soziale Verhalten des Einzelnen sowie der muslimischen Gemeinschaft. Koran und Sunna als Grundlagen der Scharia sind sehr früh entstanden und genügten bald nicht mehr, um die ständig neu aufkommenden Fragen nach richtigem Verhalten zu beantworten. Um die Scharia zu vervollständigen, wurden zusätzliche Methoden zur Rechtsfindung eingeführt, die jedoch nur von speziell ausgebildeten Rechtsgelehrten angewendet werden dürfen: Per Analogieschluss suchte man Parallelen im vorhandenen Recht. So entstand beispielsweise das generelle Alkoholverbot. Im Koran selbst ist nur von Wein die Rede. Da als Grund dafür seine berauschende Wirkung gilt, wurden, daraus abgeleitet, sämtliche berauschenden Getränke verboten. Als weitere Grundlage gilt der Konsens der Gläubigen, da sie sich in wichtigen Fragen, so die Annahme, nicht irren können. Die Möglichkeit zur freien Rechtsfindung wurde ab dem 10. Jahrhundert sehr stark eingeschränkt, nur bei den Schiiten ist sie noch gängiges Rechtsmittel.

An welchen Regeln orientiert sich ein Muslim?

Für jeden Muslim gibt es fünf Kategorien, die sein Handeln bestimmen. Dies sind a) Pflichten wie das rituelle Gebet, b) empfohlene Handlungen, wie zusätzliches Fasten, c) Erlaubtes, wofür es keine religiöse Beurteilung gibt, etwa Reisen mit dem Flugzeug, d) missbilligtes Tun wie Beten in enger Kleidung und e) Verbotenes wie der Genuss von Alkohol.

Wussten Sie, dass …

der Islam in den meisten Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung als Staatsreligion in der Verfassung verankert ist?

es im Islam keine übergeordnete Autorität, auch nicht in Rechtsfragen, gibt? Deshalb gibt es auch nicht die eine verbindliche Scharia und somit keine für alle Muslime gültige identische Rechtssituation.

Feste im Islam: Gedenktage mit historischem Gehalt

Wie läuft das Fest der Beschneidung ab?

Auch um von den Schmerzen abzulenken, wird an diesem Tag für die Jungen ein Fest veranstaltet, zu dem Verwandte und Freunde eingeladen sind. Das Festkind, das häufig einen reich geschmückten Umhang trägt, bekommt Geschenke und wird stolz vorgezeigt. Da die Kosten für diese Feierlichkeiten – ebenso wie die Bezahlung für den Beschneider – nicht unerheblich sind, richtet oft ein betuchter Vater das Fest für mehrere Kinder aus. Die Knaben werden in der Regel zwischen dem siebten und vierzigsten Tag nach der Geburt oder aber im siebten Lebensjahr beschnitten. Der arabische Begriff dafür lautet übersetzt »Reinheit«. Bereits in der vorislamischen Zeit war die Beschneidung von Jungen üblich und wurde, obwohl im Koran nicht erwähnt, fester Bestandteil des islamischen Brauchtums.

Was ist der Ramadan?

Einmal im Jahr während des ganzen Monats Ramadan sind alle Muslime verpflichtet, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang streng zu fasten. Es darf nicht gegessen, nicht geraucht und eigentlich auch nicht getrunken werden. Zudem ist sexuelle Enthaltsamkeit gefordert. In einer der drei letzten Nächte des Ramadan, meistens am 27. des Monats, wird die Nacht der Bestimmung, »Laylat al-Qadr« genannt, gefeiert. In dieser Nacht wurde der Koran zum ersten Mal auf die Erde herabgesandt. Da diese nächtlichen Stunden als besonders segensreich gelten, verbringen zahlreiche fromme Muslime sie bis zum Sonnenaufgang in einer Moschee.

Erst wenn am Ende des Monats Ramadan der Neumond zuverlässig zu sehen ist, beginnt schließlich das eigentliche Fest, auch kleines Fest genannt, nach einem Festgebet in der Hauptmoschee. Drei Tage lang besucht man sich gegenseitig, verteilt Geschenke, vor allem an Kinder, zieht neue Kleider an und erfreut sich an guten, teilweise nur im Ramadan zubereiteten Speisen.

Was geschieht auf der Pilgerfahrt nach Mekka?

Jedes Jahr im Pilgermonat reisen bis zu zwei Millionen Muslime nach Saudi-Arabien, um ihre vorgeschriebene Pilgerfahrt nach Mekka zu vollziehen. Zuerst wird der »Kaaba« genannte Würfel, das zentrale Heiligtum des Islam, in der großen Moschee siebenmal umrundet, wobei der schwarze, in die Ostwand der Kaaba eingelassene Stein geküsst wird. Anschließend läuft der Pilger siebenmal zwischen den Hügeln Safa und Marwa hin und her. Am 9. Tag des Pilgermonats wird dann der Berg Arafat besucht. Nach einer symbolischen Steinigung des Teufels am 11. Tag beginnt schließlich am 12. Tag das Opferfest, auch »großes Fest« genannt. Tausende von Pilgern lassen je ein Schaf oder eine Ziege als Opfer schlachten. Ein Teil des Fleisches wird verzehrt, der Rest wird an die Armen verteilt. Nach dem Opfer dürfen sich die Pilger wieder die Haare und den Bart schneiden lassen. Nach einer weiteren Umrundung der Kaaba sind sie nicht mehr zur Enthaltsamkeit verpflichtet. Essen, Trinken und Feiern sind nun Teil der Pilgerfahrt.

Wann wird des Todestags von Mohammed gedacht?

Der 12. Tag des dritten Monats des islamischen Kalenders gilt als der Geburts- und Todestag des Propheten. Er wird heute fast in der gesamten islamischen Welt als Fest zur Erinnerung an Mohammed begangen. Meist werden schon Tage vorher Festzelte aufgestellt, in denen Dichtungen auf den Propheten verlesen und Koranrezitationen abgehalten werden. Auch Musikdarbietungen und Lieder zu Ehren Mohammeds sind bei den Veranstaltungen nicht unüblich, auch wenn dies im strenggläubigen Islam verpönt ist. Gedachte man in früherer Zeit vor allem der wundersamen Umstände seiner Geburt, so geht es heute meist darum, das Leben des Propheten als Vorbild für jeden gläubigen Muslim darzustellen.

Wann wird das Neujahrsfest begangen?

Nach westlicher Zeitrechnung handelt es sich um einen »mobilen« Feiertag, denn der islamische Kalender orientiert sich rein am Mondkalender, der auf dem Zyklus der Mondphasen beruht. Eine Umdrehung des Mondes dauert 29 Tage, damit besteht ein komplettes Mondjahr aus 354 Tagen – im Gegensatz zu den 365 Tagen eines Sonnenjahres. Dadurch verschiebt sich das Datum des Neujahrsfestes, von dem sich die Daten der anderen Feste ableiten lassen, jährlich um elf Tage nach vorn. Hinzu kommt, dass die islamische Zeitrechnung erst mit dem Jahr 622 beginnt, dem Datum der Auswanderung Mohammeds von Mekka nach Medina.

Welchen zusätzlichen Gedenktag begehen die Schiiten?

Bei den Schiiten ist zudem Muharram ein wichtiges Fest. Dabei gedenken sie des gewaltsamen Todes Hussains, des Enkels des Propheten Mohammed. Hussain war der Sohn Alis, des Schwiegersohns Mohammeds, und Ali ist die zentrale Person in der Schia, der »Partei« der Schiiten. Man gedenkt des Martyriums des Prophetenenkels durch Trauerlieder und Lesungen, die sein Leid schildern, sowie am 10. des Monats durch Klageprozessionen.

Im Iran ist das Passionsspiel Ta'ziye sehr beliebt, bei dem das Leiden Hussains und seine Rolle für die Schia dargestellt wird. Spektakulär sind die Selbstgeißelungen, die die Gläubigen bei diesen Prozessionen öffentlich vornehmen. Die Bereitschaft zum Martyrium und zur Selbstaufopferung für ihren Glauben, die dabei zelebriert wird, entspricht dem Selbstverständnis vieler Schiiten.

Wussten Sie, dass …

der biblische Abraham und sein Sohn Ismail den Muslimen als Erbauer der Kaaba in Mekka gelten?

in ärmeren Gegenden manchmal alle Bewohner sammeln, um dem angesehensten Gläubigen aus ihrem Kreis die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka zu ermöglichen?

gleichzeitig mit den Mekka-Pilgern die Muslime in aller Welt das Opferfest feiern?

Die Fünf Säulen des Islam: Religiöse Pflichten eines Muslims

Wie lautet das islamische Glaubensbekenntnis?

Es lautet: »Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet«. Damit wird der absolute Glaube an einen einzigen Gott ausgedrückt. Dieser strikte Monotheismus grenzt sich ab von der christlichen Vorstellung der Dreieinigkeit von Gott, Jesus Christus und dem Heiligen Geist. Der zweite Teil betont, dass Mohammed mit dem Koran Gottes Wort zu den Menschen gebracht hat. Dies ist endgültig, nach ihm kann es deswegen keinen anderen Propheten mehr geben. Das islamische Glaubensbekenntnis, die Schahada, ist die unabdingbare Glaubensgrundlage für jeden Muslim.

Die Bedeutung der Schahada ist so groß, dass sie auch die Grundlage für einen Glaubensübertritt bildet: Wer sie mit voller Überzeugung dreimal vor Zeugen ausspricht, am besten in einer Moschee, gilt von diesem Zeitpunkt an als Muslim.

Welche Vorschriften gibt es für das Gebet?

Um die Demut und Hingabe Gott gegenüber auch äußerlich zu demonstrieren, ist jeder Muslim verpflichtet, fünfmal am Tag ein rituelles Gebet (salat) zu verrichten: vor Sonnenaufgang, am Mittag, am Nachmittag, vor Sonnenuntergang und am späten Abend. Beim Gebet wenden sich die Muslime stets in Richtung Mekka. Der beste Ort dafür ist zwar die Moschee, aber das Gebet kann überall stattfinden. Viele Muslime besitzen einen Gebetsteppich als »mobilen« sauberen Gebetsplatz.

Dieses Gebet findet stets und überall auf der Welt auf Arabisch statt. Deshalb sind auch Koranschulen für Kinder so wichtig, da hier die Kinder die wichtigsten Gebete lernen sowie die Grundzüge der arabischen Sprache, um den Koran auf Arabisch lesen zu können.

Welche Fastengebote kennt der Islam?

»Esst und trinkt, bis der weiße Faden von dem schwarzen Faden der Morgenröte zu unterscheiden ist« (Sure 2,187). Einmal im Jahr, im islamischen Monat Ramadan, sind alle in religiösem Sinn erwachsenen Muslime zum Fasten (saum) verpflichtet. Dazu gehört der völlige Verzicht auf Essen und Trinken, Rauchen und Geschlechtsverkehr von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Aber auch unmoralische oder gar sündige Gedanken und Handlungen müssen unterbleiben, da durch sie das Fasten ungültig wird.

Das Fasten dient der Läuterung von Geist und Seele. Der Lebensrhythmus passt sich den gebotenen Einschränkungen an, die Aktivitäten sind tagsüber auf das unbedingt Notwendige begrenzt, das soziale Leben findet überwiegend in den Abend- und Nachtstunden statt. Die Gläubigen erwarten mit Spannung die öffentliche Ankündigung des Sonnenuntergangs, dann wird nach einem Gebet, meist in der Gesellschaft von Familie und Freunden, gegessen. Kurz vor Sonnenaufgang stehen die meisten noch einmal auf, um eine Mahlzeit einzunehmen, bevor der nächste Fastentag beginnt.

Wie werden die Armen unterstützt?

Jeder Muslim ist verpflichtet, einen Teil seines Vermögens an die Gemeinschaft abzugeben. Dafür wird auf Besitz in Form von Edelmetallen oder kaufmännischen Waren, aber auch von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, ein bestimmter, genau festgelegter Anteil, die Almosensteuer (zakat), erhoben. Sie soll Armen, Schuldnern, Reisenden und anderen Bedürftigen zugutekommen.

Was sollte jeder Muslim einmal im Leben tun?

Jeder Muslim sollte einmal im Leben die große Wallfahrt nach Mekka (Hadsch) unternehmen. Zum vorgeschriebenen Zeitpunkt, während des Wallfahrtsmonates, reisen Millionen Gläubige meist mit Bus oder Flugzeug zu den heiligen Stätten. Dort legen sie sich ihr Pilgergewand an und treten damit in den Weihezustand ein. Diese Gewänder bestehen aus weißen, ungesäumten Tüchern, die symbolisieren sollen, dass in der Religion alle gleich sind, ungeachtet ihres sozialen oder finanziellen Hintergrundes. Die Pilger dürfen sich nicht rasieren und kämmen, weder Nägel noch Haare schneiden und müssen auf Parfüm und Geschlechtsverkehr verzichten.

Nach einer großen Waschung, einem Gebet und der Bekräftigung ihrer Absicht beginnt die eigentliche Wallfahrt. Dazu gehören das mehrmalige Umschreiten der Kaaba, eines würfelartigen Gebäudes mit einem schwarzen Stein an einer Ecke, der Gang in die Ebene von Arafat, ein Lauf nach Mina, Gebete und eine Predigt sowie das symbolische Bewerfen des Teufels mit Steinen. Für die Pilger bedeutet die Teilnahme an diesem Ritual meist eine beeindruckende Erfahrung der islamischen Gemeinschaft.

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Was passiert, wenn man die Pflichten nicht einhalten kann?

Der Islam ist eine sehr pragmatische Religion. Gebote, die auf Grund äußerer Umstände nicht zur vorgeschriebenen Zeit erfüllt werden können, dürfen (und müssen) später nachgeholt werden. Wer arbeitet, holt nach Feierabend die versäumten Gebete nach; Kranke, Reisende, Soldaten im Krieg, Schwangere und Wöchnerinnen fasten erst dann, wenn sie wieder dazu in der Lage sind, und die Pilgerfahrt ist nur für diejenigen verpflichtend, die körperlich, geistig und finanziell dazu in der Lage sind.

Wussten Sie, dass …

jeder fünfte Mensch ein Muslim ist? Mit über einer Milliarde Gläubigen ist der Islam nach dem Christentum die zweitgrößte Religion.

das Betreten des heiligen Bezirks in Mekka für alle Nichtmuslime streng verboten ist?

»Islam« so viel bedeutet wie »Hingabe an Gott«?

der Muezzin, eine Art Ausrufer, die täglichen Gebetszeiten vom Turm der Moschee, dem Minarett, kundgibt? Diese Aufgabe wird allerdings zunehmend von einem Lautsprecher übernommen.

Die Expansion des Kalifats: Siegeszug der Lehre des Propheten

Wie begann sich der Islam auszubreiten?

Nach dem Tod des Propheten Mohammed 632 drohte die islamische Gemeinde zu zerfallen. Durch Beutezüge in Gebieten außerhalb der arabischen Halbinsel schafften es Mohammeds Nachfolger jedoch, die verfeindeten Stämme wieder zu vereinen. Innerhalb von drei Jahrzehnten gelang es den islamischen Armeen, den Fruchtbaren Halbmond, große Teile Nordafrikas sowie Mesopotamien und den Iran zu erobern. Der Siegeszug des Islam wurde erleichtert durch die Schwäche seiner Gegner. Das Byzantinische Reich im Norden (Palästina, Syrien, Ägypten) und das Sassanidische Reich im Osten (Irak, Iran) befanden sich bereits im Niedergang, als sie von den islamischen Kriegern von der arabischen Halbinsel angegriffen wurden. Viele Christen im Nahen Osten – zum Beispiel Kopten und Nestorianer – verfolgten eine andere Lehre als die byzantinischen Machthaber in Konstantinopel und hießen die neuen Herrscher willkommen. Manche schlossen sich sogar den islamischen Armeen im Kampf gegen Byzanz an.

Wie regierten die Araber die eroberten Gebiete?

Die muslimischen Eroberer zeichneten sich durch Pragmatismus aus. Sie betrachteten den Islam ohnehin anfangs ausdrücklich als die »Religion der Araber«. Es ging ihnen mehr um die Ausdehnung ihres Herrschaftsbereichs als darum, andere Völker massenhaft zu ihrem Glauben zu bekehren. Der im Koran festgelegte Grundsatz »Es gibt keinen Zwang in der Religion« fand hier seine praktische Anwendung.

Die muslimischen Herrscher übernahmen in den eroberten Gebieten weitgehend die vorhandenen Verwaltungsstrukturen. Wichtige Ämter blieben in den Händen von Christen und Angehörigen anderer Religionen. Nur die militärische Elite bestand ausschließlich aus Muslimen. Nichtmuslime mussten allerdings höhere Steuern zahlen und waren auch sonst rechtlich benachteiligt. Durch diese Form der Koexistenz blieben in manchen Landstrichen des Nahen Ostens, wie etwa in Ägypten, die Christen bis zu den Kreuzzügen in der Mehrheit.

Warum spaltete sich die islamische Gemeinde?

Die Frage nach der Führung der islamischen Gemeinde war ein brennendes Problem. Nach dem Tod Mohammeds wurde das islamische Reich zunächst weiter von Medina aus regiert. Die ersten vier »Stellvertreter« des Propheten, »Kalifen« genannt, galten als rechtgeleitet und wurden mit Zustimmung der wichtigsten Stämme ins Amt gehoben. Abu Bakr, Omar, Othman und Ali waren Weggefährten des Propheten gewesen. Sie waren schon früh zum Islam konvertiert und besaßen deswegen eine selbstverständliche Autorität.

Nach dem Tod Alis, eines Cousins und Schwiegersohns Mohammeds, im Jahr 661 vertraten seine Anhänger die Ansicht, dass nur Alis Nachkommen das Anrecht auf Mohammeds Nachfolge besaßen. Die Parteigänger Alis, die »Schiat Ali«, heute bekannt als Schiiten, sollten jedoch eine Minderheit bleiben.

Wie regelten die Omajjaden die Nachfolgefrage?

Im Jahr 661 folgte die Dynastie der Omajjaden auf die vier ersten rechtgeleiteten Kalifen. Der Kalif wurde nun nicht mehr aus einem Kreis von Anwärtern ausgewählt, sondern per Erbfolge aus den Reihen des Omajjaden-Klans bestimmt, der wie Mohammed zum Stamm der Quraisch gehörte. Die Omajjaden verlegten das Zentrum des Reiches nach Damaskus in Syrien. Der Widerstand gegen die säkulare Herrschaft der Omajjaden brachte sie schließlich zu Fall. Sie wurden von den Schiiten bekämpft, die sich im Irak festgesetzt hatten, aber auch von rivalisierenden Stämmen und nichtarabischen Muslimen, die einen gerechteren Anteil an der Macht verlangten.

Wann erlebte das Kalifat seine Blütezeit?

Seine größte Ausdehnung erreichte das islamische Reich während der rund 500 Jahre dauernden Herrschaft der Abbasiden. Zeitweilig reichte es von Spanien bis nach Afghanistan. Die Abbasiden verlagerten um die Mitte des 8. Jahrhunderts das Kalifat nach Bagdad. Während ihrer Herrschaft setzte sich das Arabische als Kultursprache durch und legte den Grundstein für die klassische islamische Zivilisation. Letztlich scheiterten aber auch die Abbasiden an ihrem Anspruch, einen gerechten Gottesstaat auf Erden zu errichten. Die schiere Größe des Reiches führte schon früh zu Abspaltungstendenzen an den Rändern. Als das Kalifat von Bagdad im Zuge des Mongolensturms 1258 endgültig zerstört wurde, war das islamische Reich längst in viele kleine Fürstentümer zerfallen.

Wer vertrat die radikalste Position in der Frage der Nachfolge?

Das waren die Charidschiten, denn sie glaubten, dass nur der beste Muslim rechtmäßiger Nachfolger des Propheten sein könne und die islamische Gemeinde anführen dürfe – egal ob Araber oder Nichtaraber, ob Verwandter des Propheten oder nicht. Allerdings blieben sie die Antwort schuldig, wie denn der beste Muslim in einem Riesenreich, das sich von Nordafrika bis nach Zentralasien erstreckte, zu ermitteln sei. Wegen ihres radikalen Gleichheitsanspruchs galten die Charidschiten unter ihren Zeitgenossen als »Übertreiber«. Die Charidschiten blieben im Lauf der islamischen Geschichte eine verschwindend kleine Minderheit.

Sunniten und Schiiten: Die zwei Hauptrichtungen des Islam

Warum gibt es im Islam Sunniten und Schiiten?

Die beiden Richtungen entwickelten sich aus dem Streit um die Nachfolge Mohammeds. Bereits nach dem Tod des Propheten Mohammed im Jahr 632 entluden sich latente Spannungen, als ihm zunächst Abu Bakr, anschließend Omar und Othman als Leiter der jungen Gemeinde (Umma) nachfolgten. Ali ibn Abi Talib war der Vetter und auch Schwiegersohn des Propheten. Er galt für viele Gläubige nicht nur durch seine enge Verwandtschaft mit Mohammed, sondern auch durch seine herausragende Stellung als rechtmäßiger Erbe des Propheten: Ali war der erste Mann gewesen, der sich zum Islam bekannt hatte, und er hatte sein Leben wiederholt für Mohammed riskiert.

Was geschah nach Alis Tod?

Nach Othmans Tod im Jahr 656 wurde Ali Kalif – »Nachfolger« Mohammeds –, doch musste er sich wiederholt gegen politische Gegner durchsetzen. Nach Alis Ermordung im Jahr 661 riss einer von ihnen, Muawija aus der Sippe Othmans, die Macht an sich und begründete die Dynastie der Omajjaden-Kalifen. Ein Teil der Muslime hatte jedoch seit jeher zur Sippe der Haschimiten, der Sippe Mohammeds, gehalten. Daher stammt der Name Schiit, denn Schiat Ali bedeutet »Partei Alis«. Ein Thronanwärter aus der Sippe Omajja, die den Propheten zu seinen Lebzeiten angefeindet hatte, kam für sie nicht in Frage und Othman und Muawija waren Omajjaden. Muawija zwang Alis Sohn Hassan zum Verzicht auf den Thron.

Was führte zur Abspaltung der Schiiten?

Das Massaker von Kerbela bildet den eigentlichen Ausgangspunkt der Loslösung der Schia von der sunnitischen Hauptrichtung. Nach Muawijas Tod 680 wurde der in Medina lebende jüngere Sohn Alis, Hussain, von Boten aus dem irakischen Kufa bestürmt, Muawijas Sohn Yazid zu entmachten. Doch als Hussain im Irak eintraf, war der Aufstand niedergeschlagen, und er selbst wurde mitsamt seiner Familie bei Kerbela tagelang belagert. Am 10. Muharram wurde das Lager gestürmt und außer Hussains Sohn Ali und den Frauen der Familie wurden alle niedergemetzelt.

Anhänger Hussains, die Kerbela nicht rechtzeitig erreicht hatten, distanzierten sich nun zunehmend auch religiös. Über Jahrhunderte sollten in den meisten sunnitischen Ländern die Schiiten eine kleine, unterdrückte Minderheit bilden. Nur im Iran ab dem 16. Jahrhundert, im Fatimidenreich des Mittelalters und in einigen Randgebieten gelang es ihnen, eine eigene Herrschaft zu etablieren.

Wie entstanden Ismailiten und Zwölferschiiten?

Zur nächsten großen Krise, diesmal innerhalb der Schia, kam es nach dem Tod des sechsten Imams Dschafar as-Sadiq im Jahr 765. Man konnte sich nicht über den Nachfolger im Imamat einigen (Imam ist im schiitischen Sprachgebrauch der Titel des rechtmäßigen Oberhauptes aller Muslime). Daschafars erster Sohn Ismail war etwa zehn Jahre vor seinem Vater gestorben und so glaubte ein Teil der Gemeinde, dass Ismail tatsächlich als Imam im Verborgenen regiere. Am Ende der Zeiten werde er wiederkehren und die Gläubigen zum Sieg führen. Die Anhänger dieser Richtung nennt man Ismailiten; sie zerfielen mit der Zeit wiederum in zahlreiche Splittergruppen, deren heute bekannteste die Anhänger des Agha Khan sind.

Der größte Teil der Gemeinde schloss sich jedoch Ismails jüngerem Bruder Musa al-Kazim an. Dieser Glaubensrichtung gehören heute die Schiiten im Iran, Irak und Libanon sowie die afghanischen Hazara an. Da die Kette ihrer Imame nach dem elften abreißt und sie traditionell an einen weiteren verborgenen Imam glauben, heißen sie »Zwölferschiiten«.

Welche Grundlagen hat das islamische Recht?

Das islamische Recht bedient sich neben dem Koran zahlreicher Sammlungen von Aussprüchen des Propheten; für die Schiiten sind daneben auch die Aussprüche der Imame verbindlich. Nach der Überzeugung der Ismailiten hat der Koran eine tiefere, esoterische Bedeutung, die nicht allgemein zugänglich ist. Sie setzten sich im Lauf ihrer Geschichte stark mit dem philosophischen Erbe der Antike und Persiens auseinander, später zum Teil auch mit dem Hinduismus. Der nur bei den Zwölferschiiten existierende Klerus gehört größtenteils einer Richtung an, die bei der Entscheidungsfindung im Gegensatz zur sunnitischen Überzeugung den Analogieschluss auf Vernunftbasis der Mehrheitsentscheidung eines religiösen Gremiums vorzieht.

Wie wird des Massakers von Kerbela gedacht?

An den ersten zehn Tagen des Monats Muharram wird in Passionsspielen und durch die Rezitation der Märtyrergeschichten daran erinnert. Zahlreiche Riten beziehen sich auf die Geschehnisse in Kerbela. So bittet man etwa die Zuschauer um Wasser, da die Familie Hussains tagelang vom Wasser des Euphrat abgeschnitten war und entsetzlichen Durst litt. Nach muslimischer Sitte war das ein Bruch des Kriegsrechtes.

Wussten Sie, dass …

die Sunniten die weitaus größte muslimische Glaubensgruppe bilden? Nur etwa zehn Prozent der Muslime sind hingegen Schiiten. Die zahlreichen schiitischen Splittergruppen vertreten dabei die unterschiedlichsten Glaubensinhalte.

manche Riten zur Erinnerung an die Schlacht von Kerbela von der schiitischen Geistlichkeit ausdrücklich missbilligt werden? Das trifft etwa auf Selbstgeißelungen mit Ketten und Schwertern oder andere gesundheitsschädliche oder gar selbstmörderische Praktiken zu.

Der Islam auf der Iberischen Halbinsel: Zeitalter der Toleranz

Wann eroberten die Araber Spanien?

Die fast 800-jährige Geschichte der Mauren in Spanien begann im Jahr 710. Ein kleiner Trupp islamisierter Berber setzte von Nordafrika nach Spanien über und zog sich nach einem viel versprechenden Beutezug wieder zurück. Nach diesem Vorstoß schlugen berberische und arabische Heere die in Spanien herrschenden christlichen Westgoten vernichtend und eroberten Stadt um Stadt. Dabei konnten sie auf die Hilfe der Juden zählen, die sich Freiheit vom Joch der Westgoten erhofften. Nach fünf Jahren befand sich das ganze Land bis auf einen Gebirgsstreifen im äußersten Norden in den Händen der Muslime. Dorthin flüchtete die westgotische Oberschicht und organisierte umgehend die Rückeroberung Spaniens, die Reconquista.

Wie lebte es sich unter maurischer Herrschaft?

Ausgesprochen gut, denn al-Andalus – so die Bezeichnung für die spanischen Gebiete im arabischen Herrschaftsbereich – erblühte schon bald zu einem fruchtbaren kulturellen Zentrum. Zunächst eiferte man noch dem Orient nach. Der irakische Musiker Zirjab (gest. 857) brachte unter anderem persische Mode und Lieder, die feine Küche Bagdads und das Schachspiel nach al-Andalus. Zu Zeiten des Kalifats von Córdoba (929–1031) war al-Andalus selbst zum Vorbild geworden.

In einem Klima außerordentlicher religiöser Toleranz arbeiteten Muslime, Juden und Christen zusammen an der Übersetzung antiker Werke wie der Schriften des Aristoteles. Viele der geistesgeschichtlichen Ideen, die die Entwicklung des übrigen Europas bestimmten, fanden hier ihren Ausgangspunkt. Für die »barbarischen« Christen im nördlichen Spanien, die staunend vor der Pracht Córdobas standen und schon mal versehentlich vor einem Diener knieten, den sie für den Kalifen hielten, hatte man nur Verachtung übrig.

Warum gelangte die Wissenschaft zu einer Blüte?

Nicht von ungefähr fiel der Höhepunkt der islamisch-spanischen Wissenschaften in eine Epoche politischer Auflösung. Das omajjadische Kalifat zersplitterte in sich bekämpfende Kleinkönigreiche, die bisweilen auch Bündnisse mit den immer mächtiger werdenden christlichen Königen Nordspaniens schlossen. In der Förderung berühmter Gelehrter und Künstler sahen die rivalisierenden Kleinkönige eine Möglichkeit, sich hervorzutun. Der bedeutendste Literat dieser Epoche war Ibn Hazm (994–1064), dessen »Halsband der Taube« weltberühmt wurde.

Gegen die unerbittlich vorrückenden Armeen der Christen riefen die islamischen Kleinkönige schließlich die kriegerischen und strenggläubigen Berberdynastien der Almoraviden (1086) und Almohaden (1147) aus Nordafrika zu Hilfe. Diese zogen nach ihrem Sieg jedoch nicht wie geplant wieder ab, sondern ließen sich in al-Andalus nieder und bereiteten dem lockeren Leben auch ihrer Glaubensbrüder ein Ende. Trotz allem brachte jene Zeit noch Wissenschaftler vom Rang eines Ibn Ruschd (1126–1198), auch bekannt als Averroes, oder des Juden Maimonides (1135 bis 1204) hervor.

Wie vertrugen sich die verschiedenen Religionen?

Ohne Zweifel war die islamische Herrschaft in Spanien eine tolerante Epoche, obwohl sie nicht völlig frei war von intoleranten Strömungen und vereinzelten Pogromen gegen Juden. Im Allgemeinen jedoch konnten Juden und Christen ihren eigenen Glauben ungestört ausüben, besaßen weitgehende Autonomie in Recht und Verwaltung und die Steuerlast war erträglich. Dies war mehr als die christlichen Könige ihren Untertanen nach der Reconquista zubilligten. Die Toleranz und die feine Lebensart der Eroberer begünstigten eine schnelle Arabisierung und Islamisierung der Spanier.

Wann wurden die Araber aus Spanien vertrieben?

Auch die Almoraviden und Almohaden konnten nicht verhindern, dass al-Andalus im Jahr 1246 auf die Provinz Granada zusammenschrumpfte. Die spanisch-islamische Kunstfertigkeit erlebte dort mit der Errichtung der Alhambra im 14. Jahrhundert noch einmal einen grandiosen Höhepunkt, bevor 1492 auch diese letzte Bastion dem spanischen Reich einverleibt wurde. Nun war die jahrhundertelange Reconquista vollendet. Kurz nach der Eroberung Granadas vertrieben die Katholischen Könige Isabella und Ferdinand die Juden, später die Muslime. Um 1600 wurden auch die letzten zwangsgetauften Muslime verjagt. Spanien war wieder rein christlich und stand, seines Mittelstandes beraubt, am Rande des Ruins.

Wie existiert die goldene Epoche in der Literatur weiter?

Noch heute gedenken die Araber wehmütig der gemeinsamen arabisch-spanischen Geschichte. Der syrische Dichter Nizar Qabbani (1923 bis 1998) besingt in seinem Gedicht »Alhambra« das Zusammentreffen mit einer schwarzäugigen Spanierin aus Granada, deren Gesicht ihn an das einer Damaszenerin erinnert. Es schmerzt den Dichter, dass seine »schöne Erbin«, die ihm voll Stolz die Alhambra als das Werk ihrer Vorfahren präsentiert, nicht erkennt, dass ihre Ahnen auch die seinen sind. Beim Abschiednehmen umarmt er sie als »der Mann, dessen Name Tariq ben Zijad ist«. Tariq war es, der im Jahr 711 den Gotenkönig Roderich schlug und nach dem Gibraltar benannt ist: »Dschabal al-Tariq«, der Berg des Tariq.

Wussten Sie, dass …

sich der Maurenfürst Abu Abdallah (Boabdil) beim Verlassen Granadas 1492 auf einer Felsenanhöhe seufzend umgedreht haben soll, um die verlorengegangene Pracht noch einmal zu sehen? Bis heute heißt diese Stelle Suspiro del Moro, »Seufzer des Mauren«.

Lion Feuchtwanger in seiner »Jüdin von Toledo« der religiösen Toleranz der Araber ein literarisches Denkmal gesetzt hat?

Tendenzen im 20./21. Jahrhundert: Politisierung und Antimodernismus

Wer führte die Trennung von Politik und Islam ein?

Der türkische Reformer Kemal Atatürk schaffte im Jahr 1924 das Kalifat ab. Das Osmanische Reich hatte an der Seite der Achsenmächte gekämpft und den Ersten Weltkrieg verloren, anschließend war es in seine Einzelteile zerfallen. Kemal Atatürk, der Gründer der Türkischen Republik und ein Verfechter des Säkularismus, setzte den osmanischen Kalifen ab und die neu geschaffene Nationalversammlung erklärte sein Amt für beendet. Die Abschaffung des Kalifats und die damit verbundene Trennung von Staat und Kirche war ein markanter Einschnitt in der Geschichte der islamischen Welt.

Welche Reaktionen gab es auf das Ende des Kalifats?

Zum einen meldeten sich Rechtsgelehrte zu Wort, die die Trennung von Religion und Politik befürworteten. So Ali Abd al-Raziq, ein Gelehrter an der renommierten Al-Azhar-Universität in Kairo. Er führte in seiner Studie »Der Islam und die Grundlagen der Herrschaft« den Nachweis, dass der Koran keine klaren Aussagen darüber mache, wie ein islamischer Staat auszusehen habe. Weltliche und religiöse Macht gehörten nach Raziqs Meinung im Islam nicht zwingend zusammen.

Etwa zur gleichen Zeit gründete sich in Ägypten die Muslimbruderschaft. Hassan al-Banna, der »Vater« aller islamistischen Bewegungen, verstand den Islam in erster Linie als aktivistische Religion. Um sich gegen den Vormarsch des Westens zu wehren, müssten sich die Muslime auf ihre Wurzeln besinnen und eine islamische Ordnung errichten. Die Trennung von Religion und Politik lehnte er ausdrücklich ab. Banna verfolgte den Weg der Reform. Doch spätere, militante Islamisten konzentrierten sich auf den Dschihad, »den Kampf auf dem Wege Gottes«, um ihre Ziele durchzusetzen.

Mit welchen Problemen hat die islamische Welt heute zu kämpfen?

Eines der zentralen Probleme der islamischen Welt im Rahmen der Modernisierung war die Passivität der traditionellen Rechtsgelehrten. Anstatt den gesellschaftlichen und technischen Fortschritt anzuerkennen und einen Islam zu entwickeln, der mit dem modernen Menschenrechtsverständnis und mit den modernen Wissenschaften in Einklang zu bringen war, hielten sie im Großen und Ganzen an ihren traditionellen Lehrmeinungen fest. Gleichzeitig verbündeten sie sich in oft opportunistischer Weise mit den Mächtigen und lieferten Präsidenten und Monarchen die islamische Rechtfertigung für deren jeweilige Politik.

Ein gutes Beispiel für diese unglückselige Allianz bietet die Al-Azhar-Universität in Kairo, die seit über 1000 Jahren zugleich Moschee ist. Ihr Vorsteher, der Scheich al-Azhar, gilt als die höchste Autorität im sunnitischen Islam. Er ist aber auch eng mit der politischen Macht verknüpft. In den 1950er Jahren erklärte der damalige Scheich al-Azhar die Kollektivierungsmaßnahmen der Regierung als mit dem Islam vereinbar; als das ägyptische Regime 20 Jahre später das Land für ausländisches Kapital öffnete, erklärte der Scheich al-Azhar seinerseits die freie Marktwirtschaft für islamisch.

Warum erhielten die Fundamentalisten Zulauf?

Die Islamisten stießen in das geistige Vakuum vor, das die Versäumnisse der traditionellen Rechtsgelehrten hinterließen. Die wichtigsten Theoretiker des sunnitischen Islamismus waren religiöse Laien (anders als beim schiitischen Islamismus). Sie konzentrierten sich nur auf kleine Ausschnitte der islamischen Tradition, um daraus ihre Version des »wahren« Islam zu formen. Neben den Islamisten, die es verstanden, das Volk mit populistischen Parolen auf ihre Seite zu bringen, hatten es andere religiöse Strömungen schwer, sich Gehör zu verschaffen.

Ist der Islam überhaupt reformierbar?

Es gab Versuche, einen Islam zu entwickeln, bei dem nicht die Frage der politischen Macht im Vordergrund stand. So zum Beispiel der des Sudanesen Mahmud Mohammed Taha. Sein wichtigstes Buch war »Die zweite Botschaft des Islams«. Laut Taha ist der Islam mit Menschenrechten, Demokratie und religiösem Pluralismus sehr wohl vereinbar. Taha hielt sich ausschließlich an den Koran, das Wort Gottes. Die in den ersten Jahrhunderten entwickelte islamische Tradition verwarf er als nicht mehr zeitgemäß. Doch selbst den Koran las er neu und vertrat die Ansicht, dass problematische Stellen wie etwa die, dass einem Dieb die Hand abgeschlagen werden müsse, heute keinerlei Gültigkeit mehr haben. Taha wurde 1985 im Sudan wegen »Blasphemie« verurteilt und hingerichtet.

Wer bestimmt im Iran die Politik?

Der schiitische Iran ist das einzige Land, in dem die Theorie des politischen Islam in die Tat umgesetzt wurde. In der Islamischen Republik haben islamische Rechtsgelehrte das letzte Wort in allen politischen Dingen. Doch die Erfahrungen mit den Mullahs an der Macht, die sich letztlich als genauso korrumpierbar wie weltliche Herrscher erwiesen, haben selbst viele Rechtsgelehrte zum Umdenken bewogen. So genannte islamische Aufklärer drängen nun auf eine eindeutige Trennung von Religion und Politik. Der Iran könnte somit in Zukunft zur Speerspitze einer islamischen Aufklärung werden.

Wussten Sie, dass …

Ali Abd al-Raziqs Studie »Der Islam und die Grundlagen der Herrschaft« über die Grenzen Ägyptens hinaus Aufsehen erregte? Es wurde als Angriff auf den Islam empfunden, Abd al-Raziq wurde seiner Ämter enthoben.

der Fundamentalismus eine relativ junge Entwicklung ist und sich erst im 19. Jahrhundert abzuzeichnen begann? Davor waren die islamischen Gesellschaften oft toleranter als die europäischen.

Frauen im Islam: Zwischen Unterdrückung und Selbstbestimmung

Wie lebten die Frauen zur Zeit des Propheten?

Die Frage nach der Stellung von Frauen auf der arabischen Halbinsel des 7. Jahrhunderts lässt sich nicht eindeutig beantworten. Zwar gab es Frauen wie Chadidscha, Mohammeds erste Ehefrau, die wohlhabend waren und selbständig ihre Geschäfte führten. Die Mehrzahl aber war ihrem Mann untergeordnet, von ihm abhängig und auch in finanzieller Hinsicht rechtlos. Für sie brachte der Islam viele Verbesserungen: Gläubige Frauen müssen dieselben Vorschriften einhalten wie Männer und können ebenso wie diese ins Paradies kommen. Durch das Eherecht erhielten die Frauen ein Mindestmaß an Absicherung und waren nicht mehr der reinen Willkür der Männer ausgeliefert. Das Erbrecht garantierte ihnen zum ersten Mal einen eigenen Anspruch auf ihr Erbteil und die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen.

Muss eine Muslima ein Kopftuch tragen?

Diese Frage ist derzeit heftig umstritten. Der Koran empfiehlt Frauen lediglich, beim Verlassen des Hauses ein Tuch über den Ausschnitt zu ziehen. Dagegen steht ein Ausspruch Mohammeds, wonach außer Gesicht, Händen und Füßen der ganze Körper bedeckt sein sollte. Ähnlich wie im traditionellen Judentum und auch im Christentum soll das Verhüllen der weiblichen Haare die sexuelle Anziehungskraft der Frauen mildern und sie von Anfechtungen seitens der Männer fernhalten. Im Lauf der Zeit wurde daraus, ohne dass dies aus den religiösen Schriften zu begründen wäre, ein Symbol für die Unterordnung der Frau unter den Mann.

Zunächst ist ein Kopftuch nur ein Hinweis auf die Religionszugehörigkeit seiner Trägerin, nicht aber auf ihren Stellenwert gegenüber dem Mann. So kann eine Frau mit Kopftuch, die sich ihrer Rechte auch im Islam bewusst ist, durchaus weit emanzipierter sein, als eine Frau mit unbedecktem Haupt, die Traditionen nicht hinterfragt. Die Vielfalt an Verschleierungspraktiken – vom Kopftuch bis zur Ganzkörperverschleierung – belegt, dass regionale und kulturelle Traditionen weitaus prägender sind als religiöse Gegebenheiten.

Wie ist das Ehe- und Familienrecht geregelt?

Hier ist die Muslima dem Mann gegenüber klar benachteiligt. Dies beginnt bereits bei der Eheschließung. Eine unverheiratete Frau braucht einen Vormund, der ihre Wahl gutheißt und den Ehevertrag unterschreibt, ansonsten gilt die Ehe als ungültig.

Um die Verheiratung von Minderjährigen zu unterbinden, wurde überall ein Mindestheiratsalter für beide Geschlechter eingeführt. Damit soll gleichzeitig die hohe Geburtenrate gesenkt werden. Allerdings entzieht man sich dem in ländlichen Gegenden nicht selten, indem die Ehe zunächst nur in der Moschee geschlossen und erst bei Erreichen des notwendigen Alters auf dem Standesamt registriert wird.

Eher als ein Überbleibsel aus den kämpferischen Anfangszeiten des Islam muss das Recht des Mannes angesehen werden, mit bis zu vier Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein. Ursprünglich als Versorgungsmöglichkeit für die zurückgebliebenen Kriegerwitwen gedacht, ist aus dieser Regelung ein generelles Recht für alle Männer erwachsen. Der Koran macht jedoch zur Bedingung, dass alle Frauen in jeder Hinsicht gleich behandelt werden müssen. Wenige Verse später wird genau diese anspruchsvolle Grundvoraussetzung jedoch für mehr oder weniger unmöglich erklärt.

Kann sich eine Muslima scheiden lassen?

Theoretisch ist die Scheidung beiden Geschlechtern möglich. Während der Mann jedoch in der Regel keinerlei Gründe für seine Scheidungsabsicht angeben muss, ist der Rahmen für die Frau in diesem Zusammenhang sehr eng gesteckt. Sie kann sich nur auf wenige, genau vorgegebene Gründe stützen. Dazu zählen etwa eine längere unbegründete Abwesenheit des Mannes, seine Unfähigkeit, für ihren Unterhalt aufzukommen, aber auch Impotenz oder längere sexuelle Enthaltsamkeit seinerseits.

Was ist im Zeugen- und Erbrecht festgelegt?

In diesen zwei Bereichen steht die Frau bereits im Koran in einem untergeordneten Verhältnis zum Mann. Eine Frau zählt als Zeugin nur halb so viel wie ein Mann, für eine gültige Aussage bedarf es also zweier Zeuginnen. Die Regelungen zum Erbrecht gestehen der Frau nur die Hälfte dessen zu, was ein Mann in der entsprechenden Erblinie erhält. Ursprünglich sollte durch diese Vorschriften die Tatsache ausgeglichen werden, dass der Ehemann allein für den Unterhalt der Familie zuständig ist. Da heute viele Frauen einer Erwerbstätigkeit nachgehen müssen, um ein Überleben der Familie zu sichern, kann diese Regelung jedoch als fragwürdig gelten.

Welche nationalen Unterschiede gibt es in der Rechtspraxis?

Die Rechtslage in den einzelnen Ländern ist heutzutage sehr unterschiedlich. Zwei Extrembeispiele sind Saudi-Arabien und Tunesien. Im konservativen saudischen Islam dürfen Frauen das Haus nur in Begleitung eines männlichen Familienmitgliedes verlassen, alleine Auto zu fahren ist ihnen gänzlich untersagt. In Tunesien dagegen wurde der Vormund bei der Eheschließung abgeschafft, die Vielehe verboten beziehungsweise stark eingeschränkt und das Scheidungsrecht zugunsten der Frau ausgelegt.

Wussten Sie, dass …

der Schleier bereits lange vor dem Islam im Orient verbreitet war? Er galt als Zeichen für den hohen gesellschaftlichen Status einer Frau, nur Arme und Sklavinnen trugen ihren Kopf unverhüllt. Diese Tradition fand später Eingang in den Islam.

Benazir Bhutto im Jahr 1988 in Pakistan die erste Regierungschefin eines islamischen Landes wurde?

Muslime in Deutschland: Die dritte religiöse Kraft im Land

Wie praktizierten die Muslime ihren Glauben in der Anfangszeit?

Die türkischen Arbeitnehmer richteten sich häufig in Wohnungen oder auch in Hinterhöfen kleine Moscheen ein, die nach außen nicht als Gotteshäuser zu erkennen waren. Der Bau klassischer Moscheen im orientalischen Stil ist in Deutschland bis heute nicht einfach. So ist es beispielsweise aufgrund des Widerstands von Anwohnern häufig schwierig, entsprechende Bauflächen zu bekommen. Unter anderem deshalb richteten sich die ersten muslimischen »Gastarbeiter« nur provisorisch ein. Es entwickelten sich auch keine religiösen Institutionen, die im Namen des Islam zu bestimmten Themen hätten sprechen können. Diese Rolle übernahmen später politische Gruppierungen, die jedoch lediglich eine Minderheit der Muslime repräsentierten.

Warum lebten die Muslime ihren Glauben zunächst nur im Privaten?

Der Grund dafür ist in den Zielen zu suchen, die die große Mehrheit der türkischen Arbeitskräfte in Deutschland zunächst verfolgte. Mit einem Anteil von etwa 2,5 Millionen ist die überwiegende Mehrheit der drei Millionen heute in Deutschland lebenden Muslime türkischer Herkunft. Die meisten der seit den 1960er Jahren angeworbenen Arbeitskräfte hatten ursprünglich überhaupt nicht geplant, lange in der Bundesrepublik zu bleiben. Vielmehr wollten sie in die Türkei zurückkehren, sobald sie genügend Geld gespart hatten, um unter besseren ökonomischen Voraussetzungen in ihrer Heimat einen Neuanfang wagen zu können. Aus diesem Grund blieben zunächst auch ihre Familien in der Türkei zurück.

Haben sich die Migranten in die deutsche Gesellschaft eingegliedert?

Hier liegt noch einiges im Argen. Zwar wurden aus den anfangs »Gastarbeiter« genannten Arbeitnehmern mehr als nur Gäste. So führten bessere Arbeitsmöglichkeiten als in der Türkei, die gute Sozial- und Krankenversorgung und anderes dazu, dass sich immer mehr türkische Muslime auf Dauer in Deutschland niederließen. Aus muslimischen Gästen wurden muslimische Bürger, mit Familien, Kindern und Kindeskindern. Mittlerweile ist ein Großteil der türkisch-stämmigen Muslime bereits in Deutschland geboren und auf Friedhöfen gibt es erste muslimische Gräberfelder.

Doch die Eingliederung ging nur sehr stockend voran. Bis zur Reform des Staatsbürgergesetzes im Jahr 2001 konnten in Deutschland geborene Türken erst nach mehreren Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben. Darüber hinaus blieb vor allem aufgrund der Sprachbarriere das Bildungsniveau der zweiten und dritten Generation türkischer Migranten hinter dem der Mehrheitsgesellschaft zurück. Auch in der Arbeitswelt sahen sich junge Türken und Türkinnen mitunter Diskriminierungen ausgesetzt.

Welche radikal-islamischen Gruppen gibt es?

Die Chancenungleichheit förderte die Unzufriedenheit vieler Migranten und führte zum Erstarken eines stärker politisch orientierten Islam. Türkische Vereinigungen wie die Islamische Gemeinschaft Milli Görüsh (IGMG) legten ihren Anhängern nahe, sich von der nichtmuslimischen Gesellschaft abzuschotten. Seit Jahren wird die Organisation vom Verfassungsschutz beobachtet. Ihr Ziel, einen islamischen Staat in der Türkei zu errichten, sei nicht vereinbar mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik, so die Begründung. Milli Görüsh gilt als deutscher Arm der in der Türkei verbotenen Wohlfahrtspartei.

Seit den 1990er Jahren geht die IGMG verstärkt auf Kirchen, Parteien und Behörden zu und bietet sich als Vertreterin des Islam in Deutschland an. Milli Görüsh ist mit rund 27000 Mitgliedern die größte muslimische Vereinigung in Deutschland. Darüber hinaus besucht eine noch wesentlich größere Anzahl von Gläubigen ihre Moscheen. Dennoch kann sie kaum den Anspruch erheben, »den Islam« in Deutschland zu vertreten. Nur 36 Prozent der Muslime in der Bundesrepublik gehören zu einer bestimmten Moschee. Nach Meinung von Petra Kappert, Turkologie-Professorin in Hamburg, praktiziert die Mehrheit der Muslime eine säkularisierte Form des Islam, wie er auch in der Türkei verbreitet ist. Dazu gehört unter anderem, dass man seinen Glauben weitgehend als Privatsache betrachtet. Milli Görüsh aber kritisiert das als »unislamisch«.

Warum findet kein islamischer Religionsunterricht statt?

Eine Ursache hierfür ist, dass es im Islam keine dem Christentum entsprechende religiöse Hierarchie gibt. Um einen Lehrplan zu entwickeln, bedarf es aber auf muslimischer Seite eines Gesprächspartners, der für sich in Anspruch nehmen kann, im Namen der Muslime zu sprechen. Als Ansprechpartner bieten sich häufig Organisationen wie Milli Görüsh an, die aber letztlich nur eine Minderheit der Muslime vertreten. Ehe der tatsächlich vorherrschende Islam in Deutschland eigene Strukturen entwickelt hat, wird es weiter zu rechtlichen Benachteiligungen kommen.

So kommt es, dass an deutschen Schulen mit Ausnahme des Bundeslandes Berlin bislang kein geregelter islamischer Religionsunterricht stattfindet, obwohl Muslime in der Bundesrepublik neben Katholiken und Protestanten die drittgrößte Religionsgemeinschaft bilden.

Wussten Sie, dass …

es seit Ende 2004 in Deutschland einen Lehrstuhl für die Religion des Islam gibt? An der Wilhelms-Universität in Münster sollen auch Lehrkräfte für den Religionsunterricht ausgebildet werden.

trotz aller Negativmeldungen die Integration der Türken voranschreitet? So verlassen jedes Jahr mehr als 4000 türkisch-stämmige Hochschulabsolventen eine deutsche Universität und die Zahl der türkischen Unternehmer in Deutschland hat schon lange die Marke von 50000 überschritten.

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