Vor 125 Jahren, am 12. Februar 1884, meldete der amerikanische Versicherungsmakler Lewis Edson Waterman einen Geistesblitz zum Patent an: den Füllfederhalter. Aus Ärger über einen Tintenklecks, der einen Vertrag ungültig gemacht hatte, begann er an einer ganz und gar sauberen Lösung zu tüfteln. Das Ergebnis: Ein Füllfederhalter, bei dem sich Tinte nach dem sogenannten Kapillarprinzip sammelt, um beim Druck auf die Feder gleichmäßig über feine Kanäle auf das Papier zu fließen. Ein ebenso einfaches wie revolutionäres Prinzip – was bis heute gilt. Doch wer schreibt heute eigentlich noch mit dem Füllfederhalter? Hat dieser in Zeiten von Computer, Handy & Co nicht ausgedient? Tintenklecks oder Tastaturgeklapper – das ist hier die Frage. Jörg Peter Urbach und Michael Fischer beantworten die Frage beide auf ihre Art und Weise!
Die Entdeckung der Langsamkeit oder: Wie ich (wieder) auf den Füller kam
Ich bin beruhigt, dass es auch im neuen Jahrtausend noch zahlreiche Füller-Fans zu geben scheint, die sich in gut besuchten Foren wie "Treffpunkt der Freunde des Schreibens" tummeln und dort über "lichtbeständige Tinten" und "Die Tinte und der Tintenfluss" rege austauschen. Apropos "austauschen": In diversen Tauschbörsen kann man seine Kollektionen verfeinern - vom Füllhalter bis zu anderen Schreibgeräten und Einzelteilen wie "Füllerschatullen", "Federaggregaten" oder "Tintenschriftprobenheften". Verrückt? Vielleicht, aber die Füller-Welt lebt - und boomt! Irgendwie bin ich froh, dass ich beim Entrümpeln unseres Kellerzimmers zuerst meine alten Füller wiederentdeckt habe und mir dann gleich - sozusagen als Belohnung - ein weiteres Exemplar zugelegt habe. Seit einigen Monaten schreibe ich nun meine Notizen, Gedankensammlungen und Telefonmitschriften mal mit blauer, mal mit blau-schwarzer und mal mit schwarzer Tinte. Ein herrliches Gefühl ist das, wenn die eigene Handschrift zurückkehrt und man sie sich wieder entwickeln sieht. Wie eine mit dem Füller geschriebene Notiz für den Kollegen plötzlich ein Stück Individualität gewinnt! Und wenn es dann darauf eine Reaktion gibt, die nicht in Gestalt einer stromlinienförmigen Antwort-Mail daherkommt, hat sich der Tag doch schon gelohnt.
Die Entdeckung der Langsamkeit
Ein Füller prägt die Persönlichkeit seines Schreibers entscheidend mit. Er lässt diesen die Worte gut und mehrfach überdenken, bevor er sie über die Tinte auf das Papier rinnen, ja fließen lässt. Und genau das erfreut mich beim und am Schreiben mit der Füller. Dieses haptische Element des Festhaltens, des Form- und Wortgebens über die erlernten Buchstabenbewegungen der Hände. Dazu kommt das Geräusch, wenn sich die Feder über die Papieroberfläche vorarbeitet. Mal schneller, mal langsamer. Eine E-Mail hacke ich problemlos in kürzester Zeit in die Tastatur. Für die gleiche Botschaft brauche ich mit dem Füller ein Vielfaches der Zeit. Zugegeben, effizient ist das nicht immer. Aber es animiert ungemein zum Nachdenken. Und zwar bevor man schreibt. Schreiben mit dem Füller ist wie eine positive Sucht, eine Suche nach der Langsamkeit, in der sich Gedanken fortspinnen. Und den Kugelschreiber, der in zahlreichen mehr oder weniger farbenfrohen Facetten auf meinem Schreibtisch lauert, habe ich kurzerhand in die Verbannung geschickt.
Extravagantes
Um sich der Lust des Mit-dem-Füllerschreibens hinzugeben, muss man keine Unsummen ausgeben. Gute Füller (und die dazu passende Tinte) gibt es bereits ab 100 Euro. Nach oben hin sind den Preisen für Füller allerdings kaum Grenzen gesetzt. Was ich bemerkte, als ich bei der Recherche nach dem teuersten Füller der Welt auf das Modell "La Modernista Diamants" stieß, das als "Schreibgeräte-Traum" aus Diamanten und Rubinen ausgelobt wird. Der Preis für dieses Einzelstück schränkt den Käuferkreis auf die Zumwinkels, Abramowitschs und sonstigen Neureichen dieser Welt ein: 330.000 Euro. Da halte ich es doch lieber mit einem alten chinesischen Sprichwort: "Das schlechteste Stück Papier und das schlechteste Schreibgerät sind besser als ein gutes Gedächtnis."
Macintosh statt Montblanc- Gedanken eins Verächters der täglichen Handschrift
Wenn Ästheten behaupten, dass Tinte ein verflüssigter Gedanke ist, dann klingt das zweifellos poetisch und schimmert so schön, dass es wahr sein könnte. Doch hinter einem schönen Schreibgerät oder einer elegante Handschrift muss noch lange kein geistreicher Kopf stecken. Zugegeben: Ich lese gerne Handschriftliches. Und früher habe ich in der Theatergeschichtlichen Sammlung an der Universität Kiel Stunden zugebracht, um Autographen von Goethe & Co. zu entziffern. Heute ist das anders.
Die eigene Schrift auf dem Computer
Warum ich den Macintosh dem Montblanc vorziehe? Vielleicht, weil ich dann noch einmal überdenken und korrigieren kann. Weil ich beim lauten Vorlesen – es muss sein: nur dadurch merkt man, ob ein Text die notwendige Musikalität besitzt, und „fließt“ – auf die eine andere Wortwiederholung, einen grammatikalischen Fehler oder ein schiefes Bild stoße. Und das lässt sich dann schnell korrigieren. Darüber hinaus verwende ich auf meinem Mac auch eine eigene („meine“) Schrift: die DTL Elzevir. Eine Schrift mit Geschichte: Ursprünglich stammt sie nämlich von Christoffel van Dijck,einem niederländischer Drucker und Betreiber einer Schriftgießerei in Amsterdam, der sie Anfang des 18. Jahrhundert für den Druck einer hebräischen Bibel entworfen hatte.
Der zweifach geschriebene Brief
Zugegeben: Vielleicht würde ich mir mehr Zeit nehmen, bevor ich meinen Füllfederhalter über das Blatt gleiten lasse. Zeit, in der ich die Gedanken sammle und klarer formuliere als säße ich vor der Tastatur. Auf der anderen Seite kenne ich mich: Nur eine falsche Formulierung oder ein unzutreffendes Wort würde die handschriftliche Seite für mich vernichten. Das führt naturgemäß zur Frage, ob ich ein Pedant bin oder ein Perfektionist sein möchte. Womöglich liegt die Wahrheit dazwischen. Denn – ich gebe es zu – ich schreibe manchmal Briefe. Und zwar mit Füllfederhalter. Aber ich schreibe sie vorher in meinen Apple. Unter zeitökonomischen Gesichtspunkten ist das natürlich ein Irrsinn. Was eine makellose handschriftliche Seite angeht, ist es allerdings eine empfehlenswerte Methode!
Der Einklang von Handschrift und Tastatur
Beides – die Handschrift und die Tastatur – in Einklang zu bringen, versucht übrigens die Website yourfonts.com. Mit Hilfe einiger Klicks und Scans lässt sich die eigene Handschrift als Schriftdatei auf den Rechner installieren, um sie danach in das Schriftenverzeichnis zu laden und fortan über die Tastatur verwenden zu können. Vielleicht käme es auf den Versuch an: Doch bisher bleibe ich noch bei meiner aufwändigen Methode. Denn eins ist klar: Ein handschriftlicher Brief ist immer ein Unikat – selbst wenn es zwei Briefe mit völlig identischem Inhalt gibt.
Jörg Peter Urbach und Michael Fischer, wissen.de-Redaktion