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Urban Emotions - Stadtgestaltung mit Gefühl

Unsichere Radwege, Stress durch Verkehrsstaus, Angst in Unterführungen – es gibt viele Orte in der Großstadt, die nicht gerade positive Gefühle wecken. In einigen Fällen ist dies offensichtlich, andere Problemstellen aber fallen zwar denjenigen auf, die täglich daran vorüber müssen, für Stadtplaner aber waren sie bisher unsichtbar. Das wollen Forscher nun mit einem ungewöhnlichen "Gefühlstest" ändern.
Universität Heidelberg/NPO

Immer mehr Menschen leben in Großstädten – und damit in einer Umgebung, die hektisch, laut, schmutzig und ziemlich voll ist. Inseln der Ruhe und Idylle wie Parks und Gärten gibt es nur wenige, dafür umso mehr Ecken, in denen es für unsern Geschmack zu dunkel, zu stressig, zu eng oder einfach zu hässlich ist. Stadtplaner versuchen heute, die Stadtumwelt so anzupassen, dass es möglichst wenige dieser Problemzonen gibt.

Prinzip des Projekts "Urban Emotions"
Bernd Resch

Wo liegen die Problemzonen?

Aber herauszufinden, wo diese liegen, ist nicht immer einfach und offensichtlich. Denn eine Straßenecke, die auf den ersten Blick ganz normale aussieht, kann für Fußgänger enorm stressend sein – weil sie beispielsweise nicht früh genug erkennen können, ob ein Auto kommt oder nicht. Oder ein auf den ersten Blick schöner Park ist inzwischen so zugewuchert, dass er eher unheimlich wirkt als schön.

Um solche problematischen Ort zu identifizieren, haben Wissenschaftler der Universitäten Heidelberg und Kaiserslautern nun ein ungewöhnliches Projekt gestartet:  Nach dem Prinzip „People as Sensors“ nutzen sie die Emotionen ganz normaler Stadtbewohner, um die Stellen in der Stadt zu finden, die negative Gefühle hervorrufen. Die Daten sollen zeigen, wie Bürger ihre Stadt nutzen, wo sie sich wohlfühlen und durch welche Gegebenheiten problematische Situationen entstehen können.

Sensor am Handgelenk

Für die Messungen statten die Forscher ihre Testpersonen mit Sensoren in Armbandform aus. „Damit können wir die Hautleitfähigkeit, die Körpertemperatur und die Herzfrequenz messen, die sich ändern, wenn sich beispielsweise jemand erschrickt“, erklärt der Geoinformatiker Bernd Resch von der Universität Heidelberg. Diese Messdaten verraten den Forschern so, wo es Stress auslösende Verkehrspunkte und somit Verbesserungsbedarf gibt – etwa auf Radwegen, die Radfahrer immer wieder in gefährliche Situationen bringen.

„Mit den Sensoren lässt sich auch das subjektive Sicherheitsempfinden erfassen, zum Beispiel in einer Unterführung. Damit können wir überprüfen, ob ein ‚Angstraum‘ vorliegt und wie mit diesem im Idealfall planerisch umgegangen werden soll“, erklärt Resch. Die Daten sollen aber auch Aufschluss geben über Stress, der durch Lärm oder Hitze verursacht wird, oder über die positive Wirkung städtischer Gestaltungsmaßnahmen wie Grünanlagen als Entspannungsräume.

Soziale Medien als Vergleich

Zusätzlich zu den Messdaten werten die Forscher öffentlich zugängliche Daten aus sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook, Flickr oder Instagram aus. „Dort steht uns eine große Menge an subjektiven nutzergenerierten Daten zur Verfügung – eine bestens geeignete Datenquelle in einem Projekt, in dem wir auf die persönlichen Empfindungen von Menschen abzielen“, betont Resch. Auf diese Weise können die Wissenschaftler ihre Messergebnisse überprüfen: Stimmen die per Sensor gemessenen Empfindungen mit den Daten aus den sozialen Medien überein?

Eine andere Sicht auf die Stadt

Im Laufe ihres Projekts wollen die Forscher prüfen, wie belastbar die per Sensor und Social Media gewonnenen Daten sind. Sie untersuchen aber auch, wie sie so aufbereitet werden können, dass sie im Stadtplanungsprozess nutzbar sind. „Diese neuen kreativen Methoden können im Erfolgsfall eine wertvolle Ergänzung der traditionellen Stadtplanung sein“, sagt Resch.

Sein Kollege  Peter Zeile von der Technischen Universität Kaiserslautern ergänzt: „Sie sollen helfen, eine andere Form der Raumwahrnehmung zu generieren und so auch eine neue Sichtweise auf die Stadt als eine Art ‚Organismus‘ zu entwickeln." Getestet wird das neue Verfahren zunächst am Beispiel der deutschen Städte Heidelberg und Kaiserslautern und an der US-Stadt Boston. Bewährt sich dies dort, könnten bald auch andere Städte von dieser neuen Form der Stadtplanung profitieren.

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