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Was bringt das Glitzer-Verbot in der EU?

Begleitet von Aufruhr im Netz und Hamsterkäufen in der Drogerie gilt seit dieser Woche ein EU-weites Verbot für losen Glitzer und Mikroperlen in Peelings und Cremes. Es soll der weltweiten Mikroplastik-Verschmutzung entgegenwirken, auch wenn Glitzer und Co. daran eigentlich gar keinen so großen Anteil haben. Lohnt sich das Verbot trotzdem? Was ist überhaupt so gefährlich an Mikroplastik? Und gibt es jetzt wirklich gar keinen Glitzer mehr?
AMa, 19.10.2023
Junge Frau mit Kosmetik-Glitzer

© LightFieldStudios, GettyImages

Als Mikroplastik bezeichnet man Plastikpartikel, die kleiner als fünf Millimeter sind. Da sie nur schwer abbaubar sind, ist die Umwelt voll mit ihnen. Sie schweben in der Luft, schwimmen im Wasser, liegen auf dem Boden und sammeln sich sogar im Körper von Tier und Mensch. Man hat Mikroplastik unter anderem in unserem Blut und Gehirn gefunden. Wie genau die winzigen Partikel uns schaden können, ist noch nicht ganz klar, doch es gibt Hinweise darauf, dass sie Entzündungen auslösen, unser Verhalten verändern und uns sogar unfruchtbar machen könnten.

Gesichtspeeling mit Mikroperlen
Auch die Schleifpartikel in Peelings waren in der Vergangenheit ins Gerede gekommen. Mittlerweile kommen statt Plastik vor allem gehärtetes Jojobaöl, Kieselsäure und Zellulosepulver zum Einsatz.

© Elena Safonova, GettyImages

Europa versus Mikroplastik

Um die Menge an Mikroplastik zu reduzieren, mit der wir tagtäglich in Kontakt kommen, hat die Europäische Union bereits im September ein Teilverbot beschlossen. Es sieht vor, über zwölf Jahre hinweg schrittweise jene Produkte zu verbannen, denen bewusst Mikroplastik zugesetzt wird. Dazu gehören verschiedene Kosmetika, Shampoos und Duschgele ebenso wie einige Wasch- und Arzneimittel, Spielzeuge, Pflanzendünger und Kunststoffgranulate auf Kunstrasenplätzen. Sobald alle Produkte dieser Art verboten und durch umweltfreundliche Alternativen ersetzt sind, sollten jedes Jahr rund 42.000 Tonnen weniger Mikroplastik in der Umwelt landen als bisher.

Die große Glitzer-Panik

Den Anfang des mehrjährigen Verbotsplans machen seit dieser Woche loser Glitzer sowie Mikroperlen in Hautpeelings und Cremes. In den sozialen Medien sorgte dieser erste Schritt allerdings für einen großen Aufschrei. Unter dem Hashtag #Glitzerverbot fürchteten zahlreiche Nutzer um ihre geliebten, funkelnden Make-up-Produkte. Einige filmten sich sogar selbst dabei, wie sie komplette Drogerie-Regale leerräumen, um schnell noch große Mengen Rouge, Puder und Nagellack zu hamstern.

Dabei ist zunächst eigentlich nur loser Glitzer betroffen, wie er zum Beispiel an Karneval oder in Nagelstudios zum Einsatz kommt. Gepresste Puder wie Lidschatten sind ebenso wie Glitterkleber auch weiterhin erhältlich. Auch biologisch abbaubarer Glitzer – zum Beispiel auf Cellulose-Basis – ist von dem Verbot nicht betroffen.

Nachel-Glitzer
Loses Glitzer, das unter anderem beim Nageldesign verwendet wird, darf nicht mehr verkauft werden.

© gyro, GettyImages

Glitzer und Co. sind nur die Spitze des Eisbergs

Was unter Glitzer-Fans zu einem kollektiven Aufatmen führen dürfte, stößt bei Umweltexperten auf gemischte Gefühle. Sie werten das Teilverbot zwar als Schritt in die richtige Richtung, doch im Endeffekt bekämpft die lange Verbotsliste nur ein Bruchstück des Problems. „Intentional zu Produkten hinzugefügtes Mikroplastik macht nur einen geringen Teil des Mikroplastiks in der Umwelt aus“, erklärt Martin Löder von der Universität Bayreuth.

„Hauptsächlich gelangt es durch unser tägliches Leben mit Plastikprodukten in die Umwelt – über Abnutzung und Abrieb, aber auch infolge der Vermüllung der Umwelt“, so Löder weiter. Man spricht auch von sekundärem Mikroplastik. Es entsteht beispielsweise bei jedem Waschgang, indem sich Mikroplastik-Fasern aus Kleidungsstücken lösen, oder wenn wir mit dem Auto bremsen und so mikroskopisch kleinen Reifenabrieb in die Luft schleudern. Auch Plastikmüll, der in Halden herumliegt oder im Wasser treibt, zerfällt durch Wind und Wetter in immer kleinere Fetzen und wird letzten Endes zu Mikroplastik.

Allein im Jahr 2019 sind in der EU 53 Millionen Tonnen Plastikmüll entstanden. Da ein Großteil davon recycelt wird, gibt es keine genauen Angaben dazu, wieviel Tonnen Mikroplastik daraus entstanden sind. Trotzdem gelten die geschätzt rund 42.000 Tonnen Mikroplastik-Ersparnis durch den neuen Verbotsplan unter Experten als Peanuts im Vergleich zur Menge an sekundärem Mikroplastik.

Was bringt das Verbot?

Dennoch: „Jedes Mikrogramm Plastik, das nicht in die Umwelt gelangt, ist gut“, sagt Doris Knoblauch vom Ecologic Institute in Berlin. Vor allem wenn die Mikroplastik-Eindämmung derart simpel umzusetzen ist. Im Endeffekt muss die Industrie lediglich bestimmte Inhaltsstoffe weglassen oder durch bereits vorhandene Alternativen ersetzen, was sie zum Teil auch schon vor dem offiziellen Verbot getan hat. Sekundäres Mikroplastik zu verhindern, wie es etwa beim Abrieb von Autoreifen entsteht, sei dagegen ein deutlich komplizierteres Unterfangen.

Ein weiterer Vorteil des EU-Plans liegt Knoblauch zufolge darin, dass er vor allem jenes Mikroplastik verbietet, was sonst auf direktem Weg in der Natur gelandet wäre. „Kunstrasen wird durch Regen unmittelbar ,ausgeschwemmt‘, Kosmetika landen beim Abschminken oftmals im Abwasser anstatt mit dem Abschminkpad zusammen im Abfalleimer und Dünger landet direkt in der Erde.“ Trotz guter Intentionen und Vorteile des EU-Plans: Wie effektiv das Verbot letzten Endes sein wird, kann man erst im Nachhinein bewerten, so Knoblauch.

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