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Was ist eigentlich Mimikry?
Das Ziel eines jeden Lebewesens ist es, zu überleben und sich zu vermehren. Und wie schon Darwin herausfand, überleben immer die, die am besten angepasst sind. Eine Form der Anpassung, die Mutter Natur sich überlegt hat, um die Überlebenschancen zu erhöhen, ist dabei das sogenannte Mimikry. Das Wort Mimikry ist aus dem Englischen übernommen worden und kommt dort von mimic – nachahmen. Das trifft es schon sehr gut, denn genau darum geht es bei Mimikry: Nachahmung – und zwar mit dem Ziel der Täuschung.
Ursprung der Mimikry
Die ursprüngliche und wohl bekannteste Mimikry-Form ist die sogenannte Bates'sche Mimikry. Sie ist nach ihrem Entdecker Henry Walter Bates benannt, der nach Brasilien reiste, um dort die tropischen Regenwälder zu erforschen. Dabei entdeckte er zwei fast identisch aussehende, aber nicht verwandte Schmetterlingsarten, die gleichermaßen von Fressfeinden gemieden wurden. Allerdings stellte er fest, dass nur eine der Arten tatsächlich giftig ist. Die andere Art wurde somit nur aufgrund ihres Aussehens, sozusagen fälschlicherweise, von den Räubern für giftig gehalten und nicht gefressen. Dieses schlaue Überlebensprinzip taufte er Mimikry.
Damit dieses Prinzip sich bei einer Art durchsetzt, braucht es immer eine ganz bestimmte Konstellation. Dabei spielen drei Teilnehmer eine wichtige Rolle: das gefährliche Vorbild, der Jäger und der Nachahmer.
Der Jäger muss die Erfahrung machen, dass die gefährliche Beute ihm schadet, damit er sie in Zukunft meidet. Nur so wird er zur Sicherheit ähnlich oder fast gleich aussehende Exemplare auch meiden. Von diesen wiederum überleben mehr und vermehren sich stärker als von den harmlos aussehenden Artgenossen. Dadurch gleicht sich die harmlose Art in ihrem Aussehen immer mehr der gefährlichen an und das Mimikry setzt sich durch.
Es muss aber stets auch genug von den gefährlichen Vorbildern geben, damit der Jäger nicht zu häufig auf die harmlose Art trifft. Denn dann könnte er feststellen, dass sich eine Jagd auf diese nur vermeintlich gefährliche Art wohl doch lohnt und der Überlebensvorteil wäre dahin.
Von Wespen und Fledermäusen
Bates Beobachtung im brasilianischen Regenwald war kein Einzelfall. Heutzutage weiß man, dass viele Arten sich durch eine solche Mimikry vor Fressfeinden schützen.
Ein bekanntes Beispiel aus Europa ist die als Wespe getarnte Schwebfliege, die daher auch Wespenschwebefliege genannt wird. Die Wespe gilt als eines der wehrhaftesten Insekten und daher ist es auch kein Wunder, dass sie ein beliebtes Nachahmungsziel ist. Wer einmal von einer Wespe gestochen wurde, macht in Zukunft um jedes auch nur entfernt so aussehende Insekt einen weiten Bogen. Genau deshalb wird die Wespe von anderen Insekten fast 300 Mal nachgeahmt, neben der Schwebfliege zum Beispiel auch vom Holzbock oder dem Hornissenschwärmer.
Aber die Abschreckung von Fressfeinden funktioniert nicht nur durch die äußere Erscheinung. Von der Mimikry gibt es auch akustische Versionen. Während diese beispielsweise bei Insekten wohl schon längere Zeit bekannt war, stießen Forscher kürzlich erstmals bei einem Säugetier auf diese insgesamt sehr seltene Form der Mimikry.
In diesem Fall war das Säugetier eine Fledermaus. Bei diesen Tieren, die sonst zur Orientierung nur sehr hohe, für den Menschen nicht hörbare Töne ausstoßen, konnte ein lautes Summen vernommen werden. Weil dieses Summen sich genau wie das Summen von Wespen anhörte, verglichen die Forscher Tonaufnahmen der Fledermäuse mit echten Wespengeräuschen. Es zeigte sich: Die Fledermäuse ahmen das bedrohliche Summen der Hornisse nach, um sich vor Eulen zu schützen. Denn die Eulen haben – vor allem nach schlechten Erfahrungen - tatsächlich Angst vor Hornissen und somit können sich die Fledermäuse durch diese raffinierte Strategie wirksam schützen.
Müller, Mertens und Co.
Auch wenn diese Bates'sche Mimikry die älteste und bekannteste Form ist, gibt es noch weitere Arten der Mimikry. Dazu zählt beispielsweise die Müller'sche Mimikry, die ebenfalls nach ihrem Entdecker benannt wurde. Bei ihr ahmen nicht die harmlosen Arten die gefährlichen nach, sondern ähnlich aussehende Arten sind auch alle ähnlich gefährlich oder ungenießbar. Der Vorteil ist hier, dass der Räuber nur einmal eine schlechte Erfahrung machen muss und automatisch alle ähnlichen Arten meiden wird. Das erhöht die Überlebenschancen für alle.
Außerdem gibt es die Mertens'sche Mimikry, bei der sich tödliche und harmlose Arten an mäßig gefährliche Arten anpassen. Denn der Fressfeind kann nur durch mäßig gefährlichen Arten schlechte Erfahrungen machen und lernen diese zu meiden. Bei den tödlichen Arten würde er stattdessen sofort sterben und durch harmlose Arten gar keinen Schaden nehmen.
Alle diese Formen der Nachahmung werden unter dem Begriff der sogenannten Schutzmimikry zusammengefasst. Typisch dafür ist eine Täuschung des Fressfeinds, um sich zu schützen. Es geht aber auch andersherum: Bei der Lock- oder auch Angriffsmimikry versuchen bestimmte Arten, andere für ihre Zwecke anzulocken. Das kann eine Pflanze sein, die ein Insektenweibchen nachahmt, um das Männchen anzulocken und so bestäubt zu werden oder ein Fressfeind wie der Seeteufel, der seine Beute durch eine Art körpereigene Angel mit Köder anlockt.