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Ein neuer Blick auf den Kosmos
Das am 25. Dezember 2021 ins All gestartete James-Webb-Weltraumteleskop ist das größte und leistungsfähigste Teleskop, das je in den Weltraum gebracht wurde. Mit seinem 6,50 Meter großen Hauptspiegel und vier auf den Infrarotbereich optimierten optischen Instrumenten kann es so weit und scharf ins All hinaussehen wie kein Teleskop vor ihm. Astronomen wollen so in die Zeit der ersten Galaxien zurückschauen, aber auch Sternenwiegen, Exoplaneten und andere kosmische Objekte im Infrarotlicht beobachten.

Das erste "Deep Field"
Jetzt hat die NASA die ersten wissenschaftlichen Aufnahmen des neuen Weltraumteleskops veröffentlicht – und sie erfüllen alle Erwartungen. Das erste Bild des James-Webb-Teleskops hat der US-Präsident Joe Biden am Abend des 11. Juli 2022 persönlich im Weißen Haus vorgestellt. Es handelt sich um eine sogenannte „Deep Field“-Aufnahme – ein mittels langen Belichtungszeiten erstelltes Porträt ferner Galaxien.
Das „First Deep Field“ zeigt den Galaxienhaufen SMACS 0723, der rund 4,6 Milliarden Licht von uns entfernt liegt. Die große Schwerkraft dieses Galaxienclusters lässt ihn wie eine Vergrößerungslinse für tausende noch weiter entfernte, lichtschwächere Galaxien wirken. Sie werden in der Aufnahme erstmals mitsamt ihrer Details sichtbar. Erstellt wurde die Aufnahme mit der Near Infrared Camera (NIRCam), dem schärfsten Infrarotauge des Teleskops.
„Webbs erstes Deep Field ist nicht nur das erste vollfarbige Bild des James-Webb-Weltraumteleskops, es ist auch das bisher schärfste und tiefste Infrarotbild des fernen Universums“, sagte NASA-Administrator Bill Nelson. „Diese Aufnahme deckt einen Bereich des Himmels ab, der der Größe eines Sandkorns entspricht, das eine Armeslänge entfernt gehalten wird. Es ist ein erster winziger Ausschnitt des riesigen Universums.“

Wasserdampf in der Atmosphäre eines Exoplaneten
Die zweite bedeutende Veröffentlichung des Webb-Teleskops ist kein Bild, sondern ein Spektrum: Es zeigt die spektrale Signatur des 1150 Lichtjahre entfernten Gasplaneten WASP-96 b, der etwa 1,2-mal so groß ist wie Jupiter und die Hälfte seiner Masse hat. Der Near-Infrared Imager and Slitless Spectrograph (NIRISS) des Teleskops hat das Licht analysiert, das bei der Passage dieses Planeten vor seinem Stern zur Erde gelangt. Weil die in der Gashülle des Planeten enthaltenen Elemente und Moleküle dabei charakteristische Absorptionslinien im Lichtspektrum hinterlassen, können Astronomen anhand solcher Spektren die Zusammensetzung von Exoplaneten-Atmosphäre bestimmen.
Das Webb-Teleskop liefert dafür erstmals die nötige Auflösung und Sensitivität. Das NIRISS-Instrument kann die Wellenlängen des Lichts bis auf ein Tausendstel Mikrometer genau trennen und noch feinste Helligkeitsunterschiede erkennen. Sein Spektralbereich von 0,6 bis 2,8 Mikrometern reicht weiter ins Infrarote hinein als bei anderen Spektrografen. Damit ist das Webb-Teleskop besonders dafür geeignet, Moleküle wie Wasser, Sauerstoff, Methan oder Kohlendioxid zu detektieren. Im Falle von WASP-96 b zeigt das Spektrum klar die Präsenz von Wasserdampf in der Gashülle an.

Zwei Klassiker in neuem Licht
Zwei weitere Aufnahmen des Webb-Teleskops zeigen altbekannte Klassiker – Motive, die auch das Hubble-Weltraumteleskop schon häufiger aufgenommen hat. Eines davon ist die Sternbildungsregion NGC 3324 im 7.600 Lichtjahre entfernten Carina-Nebel. Das Mid-Infrared Instrument (MIRI) des Webb-Teleskops zeigt die heißen Staubwolken, ionisierten Gase und Moleküle in den glühenden Wolken dieser Sternenwiege deutlicher als je zuvor. In der Aufnahme ist der Rand einer sich ausdehnenden "Blase" im glühenden Gas zu sehen, die von den jungen Sternen im oberen Bildbereich freigeweht wurde.
Der zweite "Klassiker" ist das Stephans Quintett – eine Formation aus fünf Galaxien, von denen vier einander so nahe sind, dass sie kollidieren und sich gegenseitig in ihrer Sternbildung, der Verteilung ihrer Gase und ihrem Verhalten beeinflussen. Die Komposit-Aufnahme des Webb-Teleskops, zusammengesetzt aus Daten des Near-Infrared Spectrograph (NIRSpec) und des Mid-Infrared Instruments (MIRI) zeigt nun erstmals feinere Details dieser rund 290 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxien. Die fünfte, links stehende Galaxie NGC 7320 ist nur 40 Millionen Lichtjahre entfernt und gehört daher nur scheinbar zum Quintett. In ihr macht die Webb-Aufnahme sogar einzelne Sterne sichtbar.

Das ist erst der Anfang
Das James-Webb-Weltraumteleskop wird nun seinen regulären wissenschaftlichen Betrieb aufnehmen und dürfte in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren noch viele einzigartige Anblicke und neue Erkenntnisse liefern. "Mit dem James-Webb-Weltraumteleskop präsentieren wir der Menschheit eine neue Sicht des Kosmos – Anblicke, die die Welt noch nie zuvor gesehen hat", sagt NASA-Administrator Bill Nelson.