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Als die Pocken besiegt wurden
Die hochansteckenden Pocken forderten über Jahrhunderte hinweg Millionen von Menschenleben. Eine Infektion mit dem Erreger Orthopoxvirus variolae entstellte den Körper mit schmerzhaften Pusteln, Blasen und Eiter und konnte innerhalb kürzester Zeit zum Tod führen – vor allem Kinder und Jugendliche fielen der Krankheit häufig zum Opfer. Wer einen schweren Verlauf überstand, war zwar für den Rest seines Lebens vor einer erneuten Ansteckung gefeit. Oftmals blieben jedoch Schäden wie der Verlust des Augenlichts oder Lähmungen zurück.
Immune Melkerinnen
Heute hat die Krankheit ihren Schrecken verloren, denn sie gilt als ausgerottet. Das verdanken wir dem englischen Arzt Edward Jenner: Er entwickelte im 18. Jahrhundert die moderne Pockenimpfung, bei der das Immunsystem mit einer abgeschwächten Form des Erregers konfrontiert wird und so im Falle einer echten Infektion besser vorbereitet ist.
Die entscheidende Entdeckung für seine Schutzimpfung machte der Mediziner bei Melkerinnen. Diese steckten sich durch ihre Arbeit häufig mit den Kuhpocken an, einer weitaus harmloseren Variante der Pocken. Dabei zeigte sich, dass die Infektion mit diesen Erregern die Betroffenen offenbar auch gegen die menschlichen Pocken immun machte. Davon inspiriert, entwickelte Jenner die Idee, Kinder ganz gezielt mit den Kuhpocken anzustecken – und sie so vor der gefürchteten Krankheit zu schützen.
Ein gewagtes Experiment
Im Juni 1769 erfolgte der entscheidende Test: Der Arzt infizierte einen gesunden achtjährigen Jungen mit den gefährlichen Erregern. Einige Wochen zuvor hatte er seinem kleinen Patienten ein Serum aus den Bläschen von Kuhpocken in den Körper gespritzt. Was würde passieren? Tatsächlich ging das gewagte Experiment gut, der Junge erkrankte nicht.
Jenner sah in dieser Vakzination die langersehnte Chance, den Pocken endlich Herr zu werden. Zwar wurde er von seinen Kollegen zunächst nicht ernst genommen, doch die Ergebnisse sprachen bald für sich. Immer mehr Ärzte begannen, ihre Patienten mit dem Kuhpockenserum zu behandeln und schon bald wurden in Europa massenweise Menschen geimpft. Neben Kuhpockenviren kamen für die Vakzine später auch Pferdepocken-Erreger zum Einsatz, wie Forscher herausgefunden haben.
Die Welt ist pockenfrei
Fast 200 Jahre nach Jenners Impfexperiment startete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine weltweite Impfkampagne. Das Ziel: die Pocken auf dem gesamten Globus auszurotten. Das ambitionierte Vorhaben glückte: Am 26. Oktober 1979 erklärte die WHO die Welt für pockenfrei. Die einst so gefürchtete und weit verbreitete Krankheit werde nicht wiederkehren – es war der erste Beweis dafür, dass eine Infektionskrankheit tatsächlich vollständig besiegt werden konnte.
Die von Jenner entwickelte Form der Schutzimpfung ist bis heute eine der wichtigsten Waffen der Medizin gegen viele Infektionskrankheiten. Der Kontakt mit abgeschwächten oder abgetöteten Erregern oder sogar nur bestimmten Oberflächenproteinen löst eine Reaktion der körpereigenen Abwehr aus. Dabei prägen sich spezielle Gedächtniszellen des Immunsystems wichtige Erkennungsmerkmale des Erregers ein. Kommt es später dann ein zweites Mal zum Kontakt, wird der Feind sofort erkannt und kann gezielter bekämpft werden.
Letzte Viren im Labor
In diesem Jahr jährt sich die Ausrottung der Pocken bereits zum 40. Mal. Doch auch wenn seitdem kein einziger Pockenfall mehr gemeldet worden ist: Ganz von der Erde verschwunden sind die Erreger nicht. In zwei Referenzlaboren der WHO lagern noch immer Pockenviren – in den USA und in Russland. Immer wieder wird darüber diskutiert, auch diese letzten Pockenviren zu vernichten. So ließe sich das Risiko durch Unfälle oder der Missbrauch der Erreger als Biowaffe vermeiden. Gleichzeitig wäre damit aber auch die Möglichkeit vertan, die Viren noch weiter zu erforschen.