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Anonyme Bewerbungen

Bewerbungen schreiben – anstrengend genug. Keine Frage, jeder will im besten Licht glänzen. Aber was hilft schon ein tipptopp Bewerbungsfoto, wenn man dem Personalchef aus irgendeinem Grunde unsympathisch ist? Und inwiefern verdirbt man sich die Chance auf die Einladung zu einem Gespräch, wenn der eigene Name auf einen Migrationshintergrund schließen lässt, wenn es eine Lücke im Lebenslauf gibt oder wenn man eine Frau im so genannten gebärfähigen Alter ist?
von wissen.de-Autorin Sylvie-Sophie Schindler

Laut einer aktuellen Untersuchung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) und des Institus zur Zukunft der Arbeit (IZA) ist die Diskriminierungsrate beim Aussortieren von Bewerbungsunterlagen besonders hoch. Besonders schlechte Karten haben demnach türkische Bewerber, allein erziehende Frauen und ältere Menschen – trotz gleicher Qualifikation. Bei Bewerbern mit türkisch klingen Namen etwa sinkt die Rate, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, um gut 14 Prozent. Doch damit könnte in Zukunft Schluss sein. Anonyme Bewerbungen sollen ein Ausweg aus dem Dilemma sein. Doch inwiefern halten sie, was sie versprechen?

 

Die Optik spielt erst im Bewerbungsgespräch eine Rolle
Bewerbungsunterlagen
Fotolia.com/Copyright eccolo

Wer sich anonym bewirbt, der listet neben dem Anschreiben in seiner schriftlichen Bewerbung ausschließlich seine Abschlüsse auf, die Dauer der Ausbildung sowie die beruflichen Stationen. Das sonst obligatorische Foto wird weggelassen, ebenso Name, Geschlecht, Alter, Nationalität, Adresse, Telefonnummer, Hobbys, Familienstand, eine mögliche Behinderung und Jahreszahlen im Lebenslauf. Mögliche Wege, das umzusetzen: das Bewerbungsschreiben wird geschwärzt, entsprechende Daten durch ein Onlinesystem blind geschaltet, Qualifikationen in eine Tabelle eingetragen oder es wird ein standardisiertes Online-Bewerbungsverfahren angewendet. Ist die erste Auswahl gemacht, läuft es weiter wie gehabt: Die Bewerber müssen im persönlichen Gespräch punkten. Erst dafür erhalten die Personaler die vollständigen Unterlagen.

Dass es auch Kandidaten schaffen, die unter üblichen Bedingungen die erste Hürde nicht genommen hätten, ist die Idee hinter dem Konzept. Oder anders: mehr Chancengleichheit in der Arbeitswelt. US-amerikanischen Studien zufolge geht die Sache tatsächlich auf. Frauen, Migranten und ältere Menschen werden eher zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wenn sie sich anonymisiert beworben haben.
In Ländern wie der Schweiz, Frankreich, Schweden und Belgien setzen immer mehr Unternehmer auf diese Inkognito-Bewerbungen. Besonders in Belgien, wo der gesamte öffentliche Sektor davon Gebrauch macht. Noch weiter voraus sind Großbritannien, USA und Kanada. Hier sind anonyme Bewerbungen längst gang und gäbe – in den USA etwa seit den 1960er-Jahren.

 

Pilotprojekt überzeugt Arbeitgeber

Bewerbungsgespräch
istockphoto.com/Oktay Ortakcioglu

In Deutschland hingegen steckt man in dieser Hinsicht noch in den Kinderschuhen. Erste Erfahrungen konnten in einem Pilotprojekt der ADS gesammelt werden. Ende November 2010 erklärten sich acht Arbeitgeber - unter anderem die Deutsche Post, die Deutsche Telekom, das Bundesfamilienministerium und die Stadtverwaltung von Celle - ein Jahr lang bereit, das Verfahren zu testen. Nicht gerade eine riesige Resonanz, denn insgesamt 30 Unternehmen und öffentliche Stellen wurden angefragt. Und doch ist diese Reaktion typisch. So richtig durchzusetzen scheint sich das Konzept der anonymisierten Bewerbung hierzulande nicht. Oder sollte man besser fragen: Noch nicht?

Immerhin vier Arbeitgeber, die an dem ADS-Projekt teilgenommen haben, wollen das anonyme Bewerbungsverfahren beibehalten, so auch die Stadtverwaltung Celle. Dort zeigte sich beispielsweise, dass ein Bewerber wegen einer sichtbaren Augenbehinderung von Personalchefs wiederholt abgelehnt worden war – und nun endlich die Chance auf ein den Job bekam. Insgesamt 249 Stellen wurden durch das ADS-Projekt vergeben, gut 8550 anonymisierte Bewerbungen eingesehen. Mittlerweile bietet die ADS auch Schulungen für Arbeitgeber an. Weitere Pilotprojekte sollen außerdem demnächst bundesweit folgen, unter anderem in Hamburg, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Und vereinzelte Arbeitgeber, wie etwa die bayerischen DAX-Unternehmen, verlangen bereits jetzt bei Bewerbungsschreiben weder Foto noch Altersangabe.

 

Potenziale besser erkennen und nutzen

Nicht nur für den Arbeitnehmer, auch für die Unternehmen zahlt es sich aus, die Vorurteile zu überwinden – und auf eine möglichst große Vielfalt zu setzen. Kommen Menschen mit wertvollen Potenzialen gar nicht erst zum Zug, ist auch der volkswirtschaftliche Schaden groß, wie Untersuchungen des IZA zeigen.  Auch eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger kommt zu diesem Ergebnis. Demnach verursacht personalpolitische Diskriminierung auf dem deutschen Arbeitsmarkt einen jährlichen Gesamtverlust von 21 Milliarden Euro.

So wichtig das Vorhaben auch ist, Vorurteile aus der Personalabteilung zu minimieren, Kritiker sehen einige Haken an der Sache. Etwa dass ein Chef, der diskriminieren wolle, das auf jeden Fall durchsetze – nur eben nicht beim ersten Auswahlprozess, sondern dann in der zweiten Runde, beim unverzichtbaren Vorstellungsgespräch. Insofern sei die anonymisierte Bewerbung nur ein Umweg, der den Auswahlprozess unnötig in die Länge ziehe, mehr Bürokratie mit sich bringe und sich dadurch auch verteuere. Inkognito-Bewerbungen können außerdem genau dann kontraproduktiv sein, wenn Unternehmen gezielt Minderheiten und Benachteiligte einstellen wollen, so wie es in einigen Konzernen inzwischen üblich ist.

Eine andere Methode, um Diskriminierung zu beenden, und immer häufiger von Firmen angewandt, ist die so genannte Diversity-Strategie. Hier liegt das Augenmerk darauf, Teams möglichst bunt zu mischen. Also Frauen und Männer zu möglichst gleichen Teilen, Menschen aus unterschiedlichen Nationen mit verschiedenen Charaktereigenschaften und verschiedenen Alters. Derart gemischte Teams sollen, so hat sich gezeigt, besser und effizienter arbeiten. - So oder so: Es gibt gewichtige ökonomische Gründe, um endlich Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren.

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