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Der El Niño kommt – was sind die Folgen?
„El Niño“, das Christkind – so haben peruanische Fischer einst die alle paar Jahre auftretende Klimaanomalie entlang der Westküste Südamerikas getauft. Denn dieses Klimaphänomen manifestierte sich meist im Herbst und Winter und brachte den Fischern leere Netze und eine Zwangspause zur Weihnachtszeit. Doch der harmlose Name trügt: Der El Niño ist ein Klimaphänomen mit weltweiten Auswirkungen und teilweise schwerwiegenden Folgen.

Wie macht sich ein El Niño bemerkbar?
Die Kapriolen des El Niño gehören zum normalen irdischen Klimageschehen wie die Jahreszeiten oder der Monsun. Wie ein gewaltiges Pendel schwanken Meerestemperaturen, Passatwinde und Luftdruck über dem äquatorialen Pazifik im Verlauf mehrerer Jahre hin und her. Bahnt sich ein El Niño an, steigen die normalerweise eher niedrigen Wassertemperaturen vor der Küste Südamerikas an, der Aufstrom kalten Tiefenwassers stockt. Parallel dazu schwächen sich die westwärts wehenden Passatwinde ab, die normalerweise die warmen Wassermassen des Pazifiks vor den Küsten Asiens aufstauen.
Als Folge kehren sich die normalen Wetterverhältnisse rund um den Pazifik um. Im Ostpazifik verdunstet mehr Wasser von der aufgeheizten Meeresoberfläche. Es bilden sich dicke Regenwolken, die sich in teilweise sintflutartigen Regenfällen über den westlichen Teilen Mittel- und Südamerikas und dem Süden der USA entleeren. Die Folge sind häufig Überschwemmungen und Erdrutsche, ganze Ernten können in sintflutartigen Regenfällen ertrinken.
Auf der asiatischen Seite des Pazifiks bringt der El Niño dagegen Trockenheit: Die normalerweise über den tropischen Regionen Südostasiens und Ozeaniens hängenden Regenwolken verschwinden, im gesamten westlichen Pazifikraum wird es trockener. Die Folge sind Dürren und vermehrte Waldbrände in Südostasien, Australien und Teilen des südlichen Afrika. Aber auch weltweit macht sich der El Niño bemerkbar: Er treibt die globalen Temperaturen in die Höhe und begünstigt Wetterextreme fast überall.
Wie sehen die Prognosen für 2023 aus?
Jetzt sagen Experten für 2023 erneut einen El Niño voraus. Den Prognosen zufolge könnte sich diese Klimaanomalie schon in den nächsten Monaten etablieren, erste Vorzeichen im Pazifik gibt es bereits. Klimaforscher beziffern die Wahrscheinlichkeit für einen El Niño bis Jahresende 2023 auf rund 90 Prozent. „Die Welt sollte sich auf einen neuen El Niño vorbereiten“, sagt Petteri Taalas, Generalsekretär der Weltwetterorganisation WMO.
Messdaten aus dem äquatorialen Pazifik zeigen, dass die Temperaturen dort bereits 0,4 Grad über dem langjährigen Mittel liegen – eine Erwärmung ab 0,5 Grad gilt als klares Indiz für einen El Niño. Zwar zeigen die Luftströmungen über dem tropischen Pazifik bisher noch nicht die für diese Klimaanomalie typische Abschwächung der Passatwinde. Diese könnte aber demnächst eintreten – und damit offiziell eine El-Niño-Phase einläuten.

Was wären die Folgen für das globale Klima?
Die Auswirkungen dieser Klimaanomalie seien weltweit zu spüren. „Ein neuer El Niño wird wahrscheinlich zu einem erneuten Sprung in der globalen Erwärmung führen und die Wahrscheinlichkeit für neue Klimarekorde erhöhen“, so Taalas. Den Prognosen zufolge könnte die globale Mitteltemperatur durch den El Nino spätestens im Jahr 2024 einen neuen Rekordwert erreichen.
Sogar die Marke von 1,5 Grad Erwärmung gegenüber präindustriellen Zeiten könnte schon in den nächsten Jahren überschritten werden – die Schwelle, die laut Klimaabkommen von Paris eigentlich als nicht zu überschreitende Obergrenze anvisiert wurde. Klimaforscher schätzen, dass die globalen Jahresmitteltemperaturen die 1,5-Grad-Grenze zwischen 2023 und 2027 erreichen oder überschreiten werden.
"Der El Niño, kombiniert mit der menschengemachten Erwärmung, wird die globalen Temperauren in bisher unbekannte Gefilde treiben", sagt Taalas. "Dies wird weitreichende Konsequenzen für Gesundheit, Nahrungssicherheit, Wasser-Management und die Umwelt haben.
Drohende Einbußen für die Weltwirtschaft
Wie schwerwiegend die Auswirkungen eines El Niño nicht nur für die unmittelbar betroffenen Regionen, sondern auch für die gesamte Weltwirtschaft sind, haben US-Forscher erst kürzlich ausgerechnet. Das Ergebnis: In den fünf Jahren nach einem El Niño kommt es zu einer messbaren Senke der globalen wirtschaftlichen Entwicklung und einem deutlich verlangsamten Wirtschaftswachstum. Ursachen dafür sind zum einen die Folgen von Wetterextremen und Ernteeinbußen in den unmittelbar betroffenen Ländern des tropischen Pazifikraums, aber auch Lieferengpässe und Preissteigerungen auf den globalen Märkten.
Für den El Niño von 2023 sagen die Experten weltweite Einbußen von rund drei Billionen US-Dollar voraus – mindestens. "Wir können mit Sicherheit sagen, dass Gesellschaften und Wirtschaftssysteme nicht einfach nur einen kurzzeitigen Schlag hinnehmen und sich dann erholen", sagt Callahan. "Stattdessen sind diese Klimaschwankungen unglaublich teuer und lassen das Wachstum über Jahre hinweg stagnieren."