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Deutschland: Ausländerfeindlichkeit nimmt zu

Ausländerfeindliche Parolen bei Demos oder an Hauswänden und rechtsextreme Gewalttaten sind längst keine Einzelfälle mehr – im Gegenteil. Eine Studie bestätigt jetzt, dass Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus in Deutschland weiter zugenommen haben: Rund ein Drittel aller Deutschen sehen in Ausländern demnach Sozialschmarotzer und halten das Land für gefährlich überfremdet. Eine offene Gesellschaft, in der alle Gruppen die gleichen Rechte haben, stellen 47 Prozent in Frage.
Universität Leipzig / NPO, 07.11.2018

Fast die Hälfte aller Befragten stellt eine offene Gesellschaft, in der alle Gruppen die gleichen Rechte haben, in Frage.

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Wie steht es um die Haltung zu Ausländern in Deutschland? Und wie sehen die Deutschen Juden, Muslime und generell alle Gruppen, die anders sind? Das erfragen Forscher seit 2002 regelmäßig in einer repräsentativen Studie. Dabei führen sie bundesweit ausführliche Befragungen bei mehr als 2.000 Menschen mit unterschiedlichem Alter, Einkommen, Bildung und Wohnort durch. Die Fragen erfassen dabei die Haltung der Befragten zu Themen wie Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Chauvinismus, Nationalsozialismus und Demokratie.

"Einstiegsdroge in den Rechtsextremismus"

Das Ergebnis für dieses Jahr haben die Wissenschaftler nun veröffentlicht – mit besorgniserregendem Fazit. Denn die Ausländerfeindlichkeit hat in Deutschland deutlich zugenommen. "Den Wunsch, Andersdenkende auszugrenzen, teilen zwei Drittel der Deutschen", berichtet Oliver Decker von der Universität Leipzig. Zudem wird die offene Gesellschaft, in der alle Gruppen die gleichen Rechte haben, von 47 Prozent in Frage gestellt.

Insgesamt stimmen 36 Prozent der Deutschen der Aussage zu, dass Ausländer nur hierherkommen, um den Sozialstaat auszunutzen. Über ein Viertel würden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken, wenn in Deutschland die Arbeitsplätze knapp werden. Rund 36 Prozent der Befragten halten die Bundesrepublik durch Ausländer in einem gefährlichen Maß für überfremdet. In Ostdeutschland lag die Zustimmung zu diesen Aussagen dabei zwischen fünf und zehn Prozent höher als im Westen.

Im Vergleich zur letzten Erhebung im Jahr 2016 ist damit die geschlossene manifeste Ausländerfeindlichkeit angestiegen – die Zahl derer, die allen fremdenfeindlichen Aussagen zustimmten, hat sich von 20,4 auf 24,1 Prozent erhöht. "Damit beobachten wir hohe Zustimmungswerte für die Einstellung, die in der Forschung als ‚Einstiegsdroge‘ in den Rechtsextremismus gilt: Die Hemmschwelle, diesen rechtsextremen Aussagen zuzustimmen, ist besonders niedrig", sagt Decker.

Auch Antisemitismus ist in Deutschland weit verbreitet.

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Misstrauen gegen Juden, Muslime und Roma

Auch der Antisemitismus ist in Deutschland weit verbreitet. Jeder Zehnte findet demnach ausdrücklich, dass "Juden etwas Besonderes an sich haben und nicht so recht zu uns passen". Weitere 20 Prozent stimmten dieser Aussage latent zu. "Bis zu einem Drittel der Befragten stimmten antisemitischen Aussagen zumindest teilweise zu", berichtet Decker. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich antisemitische Denkmuster nach wie vor in gefährlichen Größenordnungen bewegen." Dabei gab es allerdings deutliche Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland: Im Westen gehen antisemitische Ansichten eher zurück, während sie im Osten angestiegen sind.

Zugleich ist die Abwertung von Gruppen angestiegen, die als "fremd" oder "abweichend" wahrgenommen werden: Die Aggression gegen Sinti und Roma, Asylbewerbern und Muslime nimmt kontinuierlich zu. "Erschreckend hoch ist die Abwertung von Muslimas und Muslimen angestiegen", sagt Elmar Brähler von der Universität Leipzig. Fühlten sich zum Beispiel noch 2010 rund 33 Prozent der Befragten durch die vielen Muslime als Fremde im eigenen Land, sind es 2018 in Ost wie West schon 55 Prozent.  Aus dem Blick gerät häufig auch die massive Abwertung von Sinti und Roma: 60 Prozent der Deutschen stimmen der Aussage, dass Sinti und Roma zur Kriminalität neigen. Im Osten findet diese Position bei fast 70 Prozent Zustimmung.

Neigung zum Autoritären

Was aber sind die Gründe für diese Ablehnung von Ausländer und anderen "Fremden"? Nach Ansicht der Wissenschaftler spielt hier ein Hang zu einer autoritären Persönlichkeit eine wichtige Rolle. Menschen mit autoritärem Charakter neigen zu rigiden Ideologien, die es gestatten, sich gleichzeitig einer Autorität zu unterwerfen, an ihrer Macht teilzuhaben und die Abwertung anderer im Namen dieser Ordnung zu fordern. Der Studie nach zeigen rund 40 Prozent der Deutschen Merkmale eines autoritären Typus, nur 30 Prozent sind dagegen ausdrücklich demokratisch orientiert.

Immerhin: Vor allem im Osten ist die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie von 27,3 im Jahr 2006 bis auf 46,9 Prozent heute angestiegen. "Es ist natürlich erfreulich, dass wir hier höhere Zustimmungswerte finden. Andererseits muss es aber zu denken geben, dass mit der tatsächlichen Praxis der Demokratie nur etwa die Hälfte der Befragten zufrieden ist", sagt Decker. Hinzu kommt, dass sich auch fast 30 Jahre nach dem Mauerfall rund 30 Prozent der Deutschen als Bürger zweiter Klasse fühlen. Interessanterweise gilt dies im Westen fast genauso wie im Osten.

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