Sandstein-Ensemble unter dem Himmel Kastiliens
Am Anfang war der Platz. Historikern mögen die Haare zu Berge stehen, wenn sie das hören. Salamanca hat schließlich Älteres zu bieten als diese Plaza Mayor mit Rathaus, königlichem Pavillon und anderem barocken Prunk. Man denke nur an die römische Brücke. Seit den Zeiten Vespasians zieren ihre steinernen Bögen die Wasser und Inseln des Río Tormes. Auch die Alte Kathedrale sowie Teile der Neuen Kathedrale, deren storchennestbewehrte Türme vom höchsten Punkt der hügeligen Stadt aus dem Himmel Kastiliens entgegenstreben, standen bereits, als Philipp V. Salamancas Loyalität im Erbfolgekrieg mit dem Bau der Plaza Mayor belohnte; ganz zu schweigen von der fast 800 Jahre alten Universität, die den Ruhm der Stadt begründete und mehrte.
Aber berauscht von all der Schicksalsschwere und Schönheit ringsum, überkommt den Besucher auf der Plaza Mayor das Gefühl, ja die Gewissheit, dass hier alles begonnen haben muss. Und eines steht fest: selbst wenn dieses Geviert nicht der Ausgangspunkt der Stadtgeschichte ist, so war und ist es doch die Mitte, der Schwerpunkt, das Herz dieses gewaltigen Sandstein-Ensembles mit dem Namen Salamanca. Hier pulsiert das Leben. Gut ein halbes Dutzend Straßen, Gassen und Wege münden irgendwo in die Arkadengänge ein und bringen aus allen Himmelsrichtungen Studenten, Professoren, Marktfrauen, Kaufleute, Reisende hierher, so wie das schon vor 100 oder 200 Jahren war. Seit dieser Platz fertiggestellt wurde, hat er, ob als Stierkampfarena, Wochenmarkt oder Riesenschachbrett, ein großes Publikum in seinen Bann gezogen. Aus einem Guss ist er, ein Festsaal im Freien, der Spielerisches und Strenges, Altes und Neues wie selbstverständlich vereint.
Es lohnt, den Blick langsam an den Sandsteinfassaden ringsum nach oben wandern zu lassen. Unten schwingen Laternen an Arkadenhimmeln. An den Säulen künden Medaillons von berühmten oder berüchtigten Spaniern. Neben dem Bildnis des kastilischen Königs Alfons XI., der in Salamanca das Licht der Welt erblickte, kommt da sogar noch der 1975 gestorbene Diktator Francisco Franco zu unverdienten Ehren. In den Stockwerken darüber mit ihren schmiedeeisernen Balkongittern dominieren strenge, gerade Linien. Ziegeldächer, die im Laufe der Jahrhunderte hier und da etwas absackten, lassen das Gesamtkunstwerk in weichen Wellen nach oben ausklingen.
Alles, fast alles, was den Reiz dieser Stadt ausmacht, findet sich hier auf der Plaza, sei es auch nur in Andeutungen. Und so sollte eine Entdeckungsreise durch Salamanca denn auch hier ihren Ausgang nehmen. Nach Süden spazierend, erreicht man die altehrwürdige Universität. Viel scheint sich in den Hörsälen nicht verändert zu haben, seit Christoph Kolumbus vor gelehrtem Publikum Thesen vortragen durfte, die anderswo als verrückt abgetan worden waren. Toleranz und Weltoffenheit, im Mittelalter und in Zeiten der Inquisition eher eine Seltenheit, zeichneten diese Hochschule besonders aus. Salamancas Studenten erörterten damals das kopernikanische Weltbild, während ihre Kommilitonen an anderen Universitäten für so freie Rede als Ketzer verfolgt wurden.
Vom alten liberalen Geist zeugt noch heute die Fassade über dem Eingangsportal. In dem für die Altstadt so charakteristischen Platereskenstil, der arabische Ornamente mit Schmuckformen abendländischer Gotik und Renaissance verbindet, wird den Studiosi das ganze pralle Leben präsentiert: Da ermahnt nicht nur ein in Stein gehauener Papst seine Glaubensbrüder zu frommer Lebensführung; da treiben auch, umgeben von geflügelten Löwen und verschlungenen Leibern, Trunkenbolde, Teufel, Drachen und Geister ihr Unwesen. Auf einem Totenschädel thront gar ein fetter Frosch. Noch immer hoffen Studenten, die heutzutage vor allem zum Erlernen der spanischen Sprache aus aller Welt nach Salamanca strömen, dass es ihnen Glück bringt, wenn sie das kleine Tier inmitten dieses sinnenfreudigen Treibens entdecken können.
Wen soviel demonstrativer Aberglaube irritiert, der kann sich ein paar Schritte weiter auf der Plaza Anaya erholen, am Fuß der Neuen Kathedrale. Ihre Sandsteinmauern passen sich dem Himmel Kastiliens an, sind je nach Lichteinfall mal ocker-, mal orangefarben und dann wieder graubraun. Aber das gilt ja für die ganze Altstadt Salamancas und nicht zuletzt auch für die Plaza Mayor.
Axel Veiel