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"Reparieren macht Schule"

Der Toaster, die Kaffeemaschine oder das Bügeleisen sind kaputt? Egal, dann eben neu kaufen. Während das Reparieren alter Geräte früher Standard war, ist es heute eher die Ausnahme – zu kompliziert und nicht mehr lohnend, so die gängige Ansicht. Doch in Zeiten von Klimawandel und schwindenden Ressourcen bekommt das Reparieren und Weiternutzen eine neue Dringlichkeit. Ein spannendes Projekt macht Schulkinder mit dem Reparieren vertraut und macht ihnen Mut, Geräte nicht immer gleich wegzuwerfen.
KMI, 27.05.2022
Mädchen vor einem Werkzeugschrank

jittawit.21, GettyImages

Tatsächlich ist das Reparieren in manchen deutschen Schulen schon längst Alltag. Vorbild ist dabei die Rudolf-Steiner-Schule in München-Schwabing, an der 2016 Deutschlands erste Schüler-Reparaturwerkstatt entstand. Hier werden Toaster, elektrische Zahnbürsten, Wasserkocher, Kaffeemaschinen und vieles, vieles mehr wieder zum Leben erweckt.

Die Idee hatte der Physiklehrer und passionierter "Reparierer" Walter Kraus, inspiriert von den Repair-Cafes, wo ehrenamtliche Experten mit Laien bei Kaffee und Kuchen reparieren. Er wollte dieses Konzept in der Schule umsetzen, um bei den Schülern die Freude am Handwerk und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu fördern. Die Schüler sollen lernen, dass es Spaß macht, etwas zu reparieren, dass es Ressourcen schont und dass auch defekte Geräte wieder einen Wert erhalten können.

Symbolbild Messen und Prüfen
Vor einer möglichen Reparatur muss natürlich zunächst mal der Fehler ermittelt werden.

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Wie funktioniert eine Schüler-Reparaturwerkstatt?

Um die Idee auch an anderen Schulen zu verbreiten, stellt die Schule das Projekt unter dem Begriff "Reparieren macht Schule" in einem Leitfaden vor und hat mittlerweile in sieben Schulen deutschlandweit Nachahmer gefunden. Die Werkstatt wird für Schüler jeder Altersgruppe angeboten und während sie anfangs nur für die Eltern gedacht war, ist sie mittlerweile für alle Interessenten geöffnet. Fast also, wie eine ganz normale, öffentliche Werkstatt und das ist auch das Besondere.

Dabei organisieren die Schüler sich selbst. Das heißt, sie sprechen mit ihren Kunden, entscheiden, wer was repariert und gehen erst einmal ganz ohne Hilfe an die Aufgaben heran. Dann beginnen sie mit der "Fehlersuche und fragen sich als erstes: "Was könnte dem Gerät fehlen?". Auf der Suche nach Lösungen können sie beispielsweise im Internet nach Bedienungsanleitungen oder You-Tube Tutorials recherchieren. Falls sie doch Hilfe brauchen, können sie sich aber auch an erfahrene Tüftler vor Ort wenden.

Wenn der Fehler gefunden ist und es daran geht, dem Gerät neues Leben einzuhauchen, stehen alle möglichen Materialien und Werkzeuge, von Pinzetten und unterschiedlichsten Zangen über Kabelbinder und Messgeräte aller Art bis zum Standbohrer, der Stichsäge und der Schleifmaschine zur Verfügung. Auch können die Schüler Ersatzteile bestellen und, wenn es diese nicht mehr gibt, weil das Gerät zu alt ist, die Teile sogar selber im 3D Drucker passend nachdrucken. Bis auf die Kosten für mögliche Ersatzteile, ist die Schüler-Reparaturwerkstatt dabei für die Kunden vollkommen kostenlos.

Im Rahmen des Projekts haben die Schüler in ihren Unterrichtsstunden allein in zwei Jahren mehr als 300 Dinge erfolgreich repariert und zeigen, dass so eine Reparatur manchmal viel einfacher ist als gedacht. Denn oft sind es Kleinigkeiten, wie lose Kabel oder Sollbruchstellen, die ein Funktionieren verhindern.

Zwei Schülerinnen bei der Arbeit an einer Drohne
Manchmal ist eine Reparatur viel einfacher als gedacht, weil Kleinigkeiten, wie lose Kabel oder Sollbruchstellen, ein Funktionieren verhindern.

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Gegen die Vermüllung unserer Welt

Die Reparatur leistet einen wichtigen Beitrag, um ein verfrühten Wegwerfen von vielleicht noch funktionsfähigen Geräten zu verhindern. Denn genau diese losen Kabel, Sollbruchstellen und andere Defekte sind das Problem: Die Dinge sind von Seiten der Hersteller bewusst nicht mehr darauf ausgelegt, lange zu halten. Stattdessen sorgt gewollter Verschleiß dafür, dass Menschen die Sachen wegwerfen und baldmöglichst wieder Geld ausgeben, um etwas Neues zu kaufen. Dazu kommt, dass die Reparatur oft absichtlich erschwert wird, mit verschweißten Akkus, die sich nicht auswechseln lassen oder zugeklebten Rückseiten, die man nicht aufschrauben kann. Dadurch scheint Neukaufen die einzige Option und ist nicht nur einfacher, sondern meist sogar günstiger.

Dieses Verhalten ist jedoch alles andere als günstig für unsere Umwelt. Laut statistischem Bundesamt produzierten wir allein in Deutschland im Jahr 2018 rund 853.000 Tonnen Elektroschrott, das sind 10,3 Kilogramm pro Person. Das schont nicht gerade unsere Ressourcen, wie der Living-Planet Report der Naturschutzorganisation WWF zeigt: Die Menschheit verbraucht jedes Jahr 60 Prozent mehr Ressourcen als die Welt bereithält. Im Jahr 2030 bräuchten wir bei weiterhin so hohem Verbrauch schon eine zweite Erde. Mit dem Reparieren, dem Erhalt von bestehenden Sachen, kann man dagegen etwas tun und unsere Umwelt entlasten.

Von Geschicklichkeit bis Selbstvertrauen

Aber nicht nur die Umwelt, auch die Schüler profitieren. Neben Spaß am Handwerk und Bewusstsein für den Wert einzelner Gegenstände, lernen die Schüler im Reparaturprojekt eine Menge neue Fähigkeiten und profitieren in vielen Lebensbereichen. Dazu zählt die Förderung der Feinmotorik, also der Geschicklichkeit beispielsweise beim Hantieren mit kleinen Schrauben oder feinen Kabeln, die mit Pinzette bewegt werden. Gerade das ist heute in Zeiten der Digitalisierung von Vorteil, denn Studien zufolge waren noch nie so viele Kinder motorisch auffällig wie heutzutage. Zusätzlich bekommen sie beim Reparieren ein Gefühl für den Umgang mit verschiedenem Werkzeug und lernen, damit selbstständig und verantwortungsbewusst zu arbeiten.

Auch erwerben Kinder ein besseres technisches Verständnis, wenn sie ein Gerät einfach mal aufschrauben und selbst herausfinden, wie es funktioniert. So kann man die Funktion wirklich von Grund auf verstehen und lernt mit jedem Gerät etwas dazu.

Aber auch das Selbstvertrauen wird gefördert. Denn die geglückte Reparatur gibt den Kindern das Gefühl, mit diesem Erfolgserlebnis etwas geschafft, etwas wieder "zum Laufen" gebracht zu haben - und zwar ganz alleine. Dazu kommt die Freude, damit auch noch jemandem geholfen zu haben. Dadurch bekommt man auch den Mut, Neues auszuprobieren und Selbstsicherheit, für jedes Problem schon eine Lösung zu finden. Genau das wird auch durch das eigenständige Arbeiten gefördert, denn die Helfer geben die Tipps nicht sofort, die Schüler sollen Lernen sich selbst zu helfen.

In einem solchen Projekt lernt man viel mehr als "einfach nur" das Reparieren. Ein sehr guter Ausgleich also zu Mathe, Deutsch, Englisch und Co. Und ein guter Grund, sich zweimal zu überlegen, ob man etwas kurzerhand wegschmeißt, weil es nicht mehr funktioniert. Gerade bei defekten Geräten hat man bei einem Reparaturversuch nichts zu verlieren und sollte nicht schon vor dem ersten Versuch aufgeben. Für Eltern und Lehrer könnte das Fazit lauten: Mit- und Nachmachen beim Reparaturprojekt erwünscht.

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