wissen.de Artikel

Political Correctness: Sollten wir klassische Kinderbücher umschreiben?

Zu der Zeit, als die Klassiker unter den Kinderbüchern geschrieben wurden, war politisch korrekte Sprache längst nicht so ein großes Thema wie heute. Dementsprechend finden sich in Büchern wie Jim Knopf oder Pippi Langstrumpf durchaus klischeehafte Stereotype und teilweise sogar das N-Wort. Doch was bedeutet das für die Klassiker von damals? Sollten wir sie nochmal von Grund auf überarbeiten, sodass sie den heutigen Maßstäben politischer Korrektheit entsprechen? Was dafür und was dagegen spricht.
AMA, 15.03.2023
Symbolbild Liesen im Kindesalter

© HRAUN, GettyImages

Pippi Langstrumpfs Vater ist der Herrscher des Taka-Tuka-Landes und trägt deshalb im Original den Titel „Negerkönig“. In neueren Ausgaben heißt er allerdings „Südseekönig“. Die Herausgeber haben ihn mit dem Einverständnis von Astrid Lindgrens Erben geändert. Auch der Verlag von Otfried Preußler hat sich vor einigen Jahren dazu entschieden, seine Kinderbuchklassiker „mit Rotstift“ zu überarbeiten und diskriminierende Begriffe herauszustreichen. Sollten andere Verlage diesem Beispiel folgen?

Was für eine Überarbeitung von Kinderbüchern spricht

Öffentliche Debatten rücken zunehmend die Macht und Wirkung von Sprache in den Fokus. Advokaten politisch korrekter Sprache gehen davon aus, dass Formulierungen darüber bestimmen, wie wir über etwas denken. Diskriminierende Begriffe könnten also zum Beispiel dazu beitragen, ein Feindbild gegen ethnische Gruppen aufzubauen oder diese offen zu beleidigen. Es verwundert dementsprechend nicht, dass einige Anhänger der „Political Correctness“ nicht nur die gesprochene Sprache stärker reflektieren wollen, sondern auch die geschriebene – vor allem in Büchern, die für Kinder bestimmt sind. Diese sind in ihren Werten und Haltungen schließlich noch erheblich beeinflussbarer als Erwachsene.

Ein weiteres Argument für eine Überarbeitung liegt laut den Befürwortern darin, dass sich Sprache schon immer gewandelt hat und deshalb auch problemlos heutigen Maßstäben angepasst werden kann. Die Journalistin Ferda Ataman formuliert es in ihrem Buch so: „Unsere Sprache ändert sich nun mal und der Common Sense für Anständigkeit auch. Ich gehöre zu denen, die Grenzen für Sagbares gut finden. Ob Sie das nun politisch korrekt nennen oder Rücksicht im Miteinander, ist mir egal. Und ich finde es richtig, Kindern und Erwachsenen keine Bücher vorzulegen, in denen man sich erst kritisch-historisch mit der Semantik auseinandersetzen muss.“

Ataman argumentiert außerdem, dass viele der heute streichungswürdigen Begriffe auch schon während der Entstehung einiger Kinderbuchklassiker als diskriminierend wahrgenommen wurden. Das gelte unter anderem für das Wort „Neger“: „Es gab niemals, wirklich niemals, einen Kontext, in dem das Wort keine Erniedrigung und Beleidigung war. Es stand schon immer in direktem Zusammenhang mit Gewalt, Sklaverei und Kolonialismus.“ Damals sei lediglich keine Rücksicht darauf genommen worden, so Ataman.

Was gegen eine Überarbeitung von Kinderbüchern spricht

Kritiker eines politischen korrekten Updates klassischer Kinderbücher begründen ihre Position häufig mit einem durchaus ähnlichen Argument. Auch sie finden, dass man die Bücher im historischen Kontext ihrer Entstehung betrachten muss, doch dass sie genau deshalb eben nicht modernen Ansprüchen an Sprache genügen müssen. Sie unterstellen den Autoren keine diskriminierenden Absichten beim Schreiben, sondern gehen davon aus, dass die Begrifflichkeiten nur die damals gängige Praxis widerspiegelten. „Ich glaube, niemand wird auf die Idee kommen, Astrid Lindgren, Otfried Preußler oder Michael Ende als Rassisten zu bezeichnen“, sagt Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann. Sie hält es für einen Fehler, Literatur rückblickend zu zensieren. 

Genauso wie der Journalist Jan Fleischhauer, der bereits 2013 in einem Kommentar kritisierte, wie früh zum Rotstift gegriffen wird: „Oft reicht schon der Verdacht, jemand könnte sich in seinen Gefühlen verletzt fühlen, um zu einer Sprachbereinigung zu schreiten. Es ist die vorauseilende Entschuldigungsbereitschaft, die das politische Lektorat vom Ernsthaften ins Lächerliche führt.“ Außerdem sei es nur eine Frage der Zeit, bis auch neue Formulierungen wieder überarbeitungswürdig wären: „Kaum ist ein neuer Begriff gefunden, vergeht etwas Zeit, bis auch dieser als abwertend empfunden wird.“

Zu guter Letzt stellt Fleischhauer in Frage, ob Sprache wirklich die große Macht besitzt, die viele ihr zuschreiben: „Die beklagte Benachteiligung oder Zurücksetzung einer Minderheit ändert sich ja noch nicht dadurch, dass man anders über sie spricht.“ Einer ethnischen Gruppe sei seiner Meinung nach also noch lange nicht geholfen, indem man neue Begrifflichkeiten für sie findet, sondern erst indem man sich aktiv für ihre Gleichberechtigung im Alltag einsetzt.

Gibt es einen Mittelweg?

Modernisieren oder nicht – für beide Seiten gibt es Argumente. Das beantwortet aber trotzdem noch nicht die Frage vom Anfang: Sollten alle klassischen Kinderbücher politisch korrekt umgeschrieben werden? Letzten Endes muss das natürlich jeder Verlag selbst entscheiden, doch es gibt auch Mittelwege, die die beiden gegensätzlichen Perspektiven zumindest ein Stück weit miteinander vereinen. So raten etwa einige Jugendliteratur-Experten dazu, problematische Wörter stehenzulassen, sie aber gleichzeitig als Chance für eine einordnende Diskussion zu begreifen.

Die Formulierungen könnten den Kindern eine Gelegenheit bieten, sich schon früh mit problematischen Stereotypen auseinanderzusetzen und einen moralischen Mehrwert daraus zu ziehen. Diese Auseinandersetzung könnte durch erklärende Fußnoten, Einschübe und Kommentare in Gang gesetzt werden oder indem die Eltern und Lehrer zusammen mit den Kindern lesen und ihnen erklären, dass man gewisse Begriffe heute nicht mehr verwendet und warum jemand sich durch sie verletzt fühlen könnte.

Denkbar wäre es auch, bestimmte Klassiker in zwei Editionen herauszugeben: Eine Fassung wäre im Original, die andere mit angepasster Sprache. Ein entsprechender Hinweis auf dem Klappentext oder vorne im Buch würde über die entsprechende Version aufklären. Eltern können dann selbst entscheiden, welche Fassung sie mit ihren Kindern gemeinsam lesen möchten – und das historische Erbe der Literatur bleibt so bewahrt.

Mehr Artikel zu diesem Thema

Weitere Lexikon Artikel

Weitere Artikel aus dem Großes Wörterbuch der deutschen Sprache

Weitere Artikel aus der Wissensbibliothek

Weitere Artikel aus dem Wahrig Synonymwörterbuch

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon