wissen.de Artikel

Warum spielen wir so gern?

Die Freude am Spielen zieht sich quer durch Altersgruppen, Kulturen und Geschichte. Aber nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene und Tiere spielen. Es muss also deutlich mehr als purer Zeitvertreib dahinterstecken. Doch warum spielen Groß und Klein? Bei was kann uns spielen helfen? Und was haben Spiel und Kultur miteinander zu tun?
SSC, 20.08.2025
Freundeskreis beim Spielen von Sternhalma ("Chinese Checkers")

© eyecrave productions, iStock

Gespielt wird seit Jahrtausenden: Schon in der Steinzeit griffen Kinder zu Spielzeugen – zum Beispiel in Form von speziell bearbeiteten Knochen und Steinen, die Archäologen in Kindergräbern fanden. Aber zum Spielen gehört nicht nur das Spielen mit Gegenständen. Auch wer in andere Rollen schlüpft, virtuelle Gegner am Computer bekämpft oder beim Mannschaftssport aktiv ist, spielt. Aber warum tun wir das? Einfach nur aus Spaß oder steckt mehr dahinter?

Übung macht den Meister

Zu der Frage, warum wir spielen, haben Wissenschaftler im Laufe der Zeit viele verschiedene Ansätze entwickelt. Ende des 19. Jahrhunderts erklärte etwa der deutsche Philosoph und Psychologe Karl Groos das Spielverhalten von Mensch und Tier mit der sogenannten „Einübungstheorie“. Demnach soll Spielen Lebewesen auf die Herausforderungen des Lebens vorbereiten und ihnen die dafür nötigen Fähigkeiten beibringen.

Jagen und kämpfen Tierkinder beispielsweise spielerisch miteinander, können sie dadurch lernen, sich später gegen einen echten Feind zu verteidigen oder Beute zu reißen. Über Stock und Stein zu klettern, hilft Tier- und Menschenkindern wiederum, Balance und Koordination zu trainieren. Kinder, die mit Bauklötzen Türme bauen, können außerdem ihre Kreativität, Feinmotorik und räumliche Vorstellungskraft verbessern.

Kleines Mädchen beim "Himmel und Hölle"-Spiel
Das Hüpfspiel "Himmel und Hölle" scheint die Einübungstheorie zu belegen, denn der weltweit verbreitete Spieltyp fördert die motorische Entwicklung,

© omrodinka, iStock

Ausdruck von Stabilität oder Bewältigung von Problemen?

Aber wenn Spielen dazu dient, grundlegende Lebenskompetenzen zu trainieren, wieso spielen wir als Erwachsene dann immer noch? Müssten wir alle wichtigen Kompetenzen nicht längst erlernt haben? Wahrscheinlich schon, doch das ist dem niederländischen Anthropologen, Biologen und Psychologen Frederik Buytendijk zufolge auch nicht das Wesentliche beim Spielen. Vielmehr müssen zwei Grundvoraussetzungen erfüllt sein, damit wir spielen – egal in welchem Alter. Erstens müssen unsere Grundbedürfnisse, wie zum Beispiel Hunger und Durst, gestillt sein und zweitens müssen wir uns sicher fühlen. Spielen ist laut Buytendijk also in erster Linie Ausdruck psychischer und physischer Stabilität.

Eine eindeutige Erklärung ist auch das jedoch nicht, denn: Wie eine Auswertung historischer Dokumente des Historikers George Eisen zeigt, spielten Kinder auch in Konzentrationslagern und jüdischen Ghettos. Oft stellten sie in Rollenspielen nach, was ihnen und Menschen in ihrem Umfeld widerfahren war. Demnach kann Spielen selbst in existenziell bedrohlichen Lebenssituationen eine wichtige Strategie sein, um Probleme zu bewältigen oder sie zeitweise zu verdrängen.

Procesión de la Borriquilla ("Little Donkey procession") am Palmsonntag,  Logroño, Spain
Ursprung der Kultur im Spiel? Dass viele religiöse Handlungen Schauspielcharakter haben, lässt sich kaum bestreiten.

Der „Homo ludens“

Eine weitere Erklärung für unser Spielverhalten lieferte der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga 1938 in seinem Buch „Homo ludens“ ( „Der spielende Mensch“). Huizingas Auffassung nach entsteht das Spiel nicht durch Kultur, sondern schafft sie stattdessen. „Kultur ist demnach Resultat spielerischer Verhaltensweisen einer Gemeinschaft, deren Gewohnheiten sich ‚eingespielt‘ und zu Normen entwickelt haben“, erklärt das Institut für Ludologie der SRH Berlin University of Applied Sciences. „Die ursprünglich im Spiel ersonnenen Regeln haben sich ritualisiert, aus dem Spiel wurde Ernst und die eingeschliffenen Regeln haben Zwangscharakter angenommen.“

Nicht nur klassische Kinderspiele und sportliche Wettkämpfe, sondern auch Religion oder Gerichtsverhandlungen können demnach Spiele sein. Laut Huizinga tragen all diese Bereiche ein spielerisches Grundprinzip in sich, bei dem Menschen sich auf Regeln einigen und Rollen einnehmen.

Den Zusammenhang von Spiel und Kultur zeigen auch kulturvergleichende Analysen: In wettbewerbsorientierten Kulturen, wie sie in vielen westlichen Industriestaaten vertreten sind, sind Spiele wie Schach oder Monopoly beliebt, in denen sich die Spieler direkt miteinander messen. In Kulturen, in denen Gemeinschaft und gegenseitige Unterstützung wichtiger sind, bevorzugen Menschen hingegen kooperative Spielformen. Die Art eines Spiels spiegelt somit auch die Werte einer Gesellschaft oder Kultur wider.

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon