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Zeitempfinden: Warum die Zeit nicht immer gleich schnell vergeht

Wer kennt das nicht: Zwei Wochen Sommerurlaub sind wie im Flug vergangen - zurück in der Heimat scheint sich die Zeit bis zum nächsten Wochenende dagegen wie Kaugummi in die Länge zu ziehen. Manchmal rast die Zeit in unserer Wahrnehmung und manchmal schleicht sie. Doch wie kommt dieses Phänomen zustande? Spannende Erklärungen von einer Psychologin.
TU Chemnitz / DAL, 03.08.2018

Während die physikalische Zeit unbeeinflusst fließt, ist die subjektiv erlebte Zeit eine dehnbare Angelegenheit.

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"Wenn man mit dem Mädchen, das man liebt, zwei Stunden zusammensitzt, denkt man, es ist nur eine Minute. Wenn man aber nur eine Minute auf einem heißen Ofen sitzt, denkt man, es sind zwei Stunden." Das Phänomen, das der Physiker Albert Einstein einmal so schön auf den Punkt gebracht hat, kennt wohl jeder: Zeit vergeht in unserer subjektiven Wahrnehmung nicht immer gleich schnell. Mal scheinen die Zeiger auf der Uhr zu rasen, mal zu schleichen. Doch woran liegt das?

Genau dieser Frage gehen Forscher um Isabell Winkler von der Technischen Universität Chemnitz in einem aktuellen Forschungsprojekt genauer auf den Grund. "Die Neuropsychologische Forschung zeigt, dass es mehrere Bereiche im Gehirn gibt, die verantwortlich für das Zeitempfinden sind", erklärt die Psychologin. "Auch Tiere und kleine Kinder können bereits Unterschiede in der Dauer von Reizen wahrnehmen. Daher kann man davon ausgehen, dass die Wahrnehmung von Zeit angeboren ist. Was jedoch eine lange beziehungsweise kurze Dauer bedeutet, muss gelernt werden, wie Zählen oder die Uhr lesen."

Warten hält die Zeiger an

Dabei gibt es Faktoren, die die Zeitwahrnehmung beeinflussen und damit auch verfälschen können - zum Beispiel Ablenkung, starke Emotionen oder körperliche Anstrengung. "Wenn Menschen warten müssen und sich dabei nicht ablenken können, kommt ihnen die Zeit meist ziemlich lang vor. Lenkt man sich ab – etwa durch das Internet, Videos schauen oder Musik hören – scheint die Zeit dagegen schneller zu vergehen", sagt Winkler.

Auch wenn wir rückblickend über bereits länger vergangene Zeitspannen urteilen sollen, neigen wir dazu, die tatsächliche Dauer als kürzer wahrzunehmen. Hierbei ist vor allem entscheidend, welche Ereignisse uns wie gut in Erinnerung geblieben sind und wie routiniert die damaligen Handlungen waren. Dies zeigt sich zum Beispiel an dem Phänomen, dass die Zeit im Alter schneller zu vergehen scheint als in der Kindheit.

Wenn wir warten müssen und uns dabei nicht ablenken können, kommt uns die Zeit meist ziemlich lang vor.

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Ticken die Uhren im Alter schneller?

"In der Forschungsliteratur gibt es eine Reihe von Theorien zu diesem Alterseffekt. Aber die Ergebnisse der jeweiligen Studien waren nicht schlüssig und sogar etwas paradox", berichtet Winkler. Denn: "Der Effekt trat nur dann auf, wenn die Geschwindigkeit des Zeitvergehens für vergangene Lebensperioden beurteilt wurde. In der Regel wurde jedoch kein Unterschied festgestellt, wenn das Zeitempfinden in der aktuellen Lebensperiode zwischen Teilnehmern verschiedener Altersgruppen verglichen wurde."

Damit handele es sich also nicht um einen tatsächlichen Wahrnehmungsunterschied, der vom Alter abhängt - sondern um ein Gedächtnisphänomen beziehungsweise einen Erinnerungseffekt. Der Alterseffekt der Zeitwahrnehmung entstehe somit beim Vergleich des rekonstruierten Zeitempfindens zwischen den verschiedenen Lebensperioden eines Menschen.

Routinen fressen Zeit

Um diesen Zusammenhang näher zu beleuchten, führten Winkler und ihre Kollegen selbst eine Untersuchung mit rund 500 Menschen im Alter von 20 bis 80 Jahren durch. Dabei wurden die Probanden nach ihrem Zeitempfinden in der aktuellen und in früheren Lebensperioden befragt. Es zeigte sich: Übereinstimmend mit früheren Ergebnissen wurde ein deutlicher Alterseffekt erzielt, wenn die Teilnehmer verschiedene Lebensperioden retrospektiv miteinander verglichen.

"Wichtige Erklärungsfaktoren dafür sind die im Laufe des Lebens zunehmenden Handlungsroutinen und damit einhergehend das Erfahren immer weniger Lebensereignisse, die man zum ersten Mal erlebt", erläutert Winkler. "Retrospektiv rekonstruieren wir die Dauer von Zeitspannen auf Basis erinnerter Ereignisse. Je mehr unterschiedliche Ereignisse erinnert werden, desto länger wird ein Zeitabschnitt geschätzt. Zunehmende Routinen führen zu weniger intensiv und bewusst erlebten Ereignissen oder Handlungen - und damit wird die Dauer als kürzer wahrgenommen."

Stress zählt zu den Faktoren, die das subjektive Zeitempfinden besonders stark beeinflussen können.

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Stress beschleunigt

Daher stelle sich rückblickend der Eindruck ein, die Zeit müsse schneller vergangen sein, obwohl sich dies in der entsprechenden Situation nicht so anfühlen muss. Zusätzlich können Stress und Zeitdruck im Erwachsenenalter bewirken, dass Handlungen und Ereignisse weniger bewusst, detailreich und damit weniger achtsam erlebt werden. "Meist müssen mehrere Dinge gleichzeitig erledigt werden und man kann sich nicht die Zeit nehmen, sich auf Einzelheiten zu konzentrieren. Rückblickend werden dann meist weniger Elemente des Erlebten erinnert und die Zeitspanne als kürzer wahrgenommen", sagt Winkler.

Auch die Digitalisierung und die ständige Erreichbarkeit in der heutigen Zeit könnten das Zeitempfinden beeinflussen, so die Forscherin:  "Es gibt dadurch potentiell mehr Ablenkung und im Gegenzug kaum noch Wartezeiten, die zur Entschleunigung und zur Achtsamkeit zwingen." Es sei jedoch bereits ein Trend hin zur reflektierten Gegensteuerung erkennbar - zum Beispiel in Form von Achtsamkeitskursen oder Meditationen.

Um das Beste aus seiner Zeit rauszuholen, rät die Psychologin, seine Zeit bewusster zu verbringen. "Wann immer es der Alltag zulässt, könnte man Routinen durchbrechen und sich positive, bleibende Erinnerungen schaffen". Hilfreich sei vor allem, bewusst neue Dinge zum ersten Mal auszuprobieren.

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