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Höhlenmalerei der Altsteinzeit: Bilder im Herzen der Erde

Wie alt sind die Höhlenmalereien?

Erste Zeichnungen und Ritzungen von Tieren und stilisierten Frauen gab es schon seit rund 33000 v.Chr. im so genannten Aurignacien; doch im Magdalénien erlebte die Malerei eine 10000-jährige Blüte, vor allem im Südwesten Europas. Die Bilder wurden mit Erdfarben gemacht und sind mit Pinsel oder Blasrohr aufgetragen. Zumeist handelt es sich um einzelne Figuren ohne Beziehung zueinander und ohne einheitliche Größe. Oft überlagern sie sich in mehreren Schichten.

Was wird dargestellt?

Die häufigsten Darstellungen gelten der Jagdbeute: Mammut, Wisent, Auerochse, Pferd, Rentier, Hirsch, Fisch und Vogel, aber auch Raubtiere wie der Bär kommen vor. Daneben gibt es Jäger und seltsame Mischwesen sowie abstrakte Zeichen – die weibliche Scham als Fruchtbarkeitssymbol oder negative Handabdrücke – die vielleicht einen zeremoniellen Hintergrund haben.

In der Höhle von Rouffignac (um 22000 v.Chr.) überwiegen noch Gravierungen und einfarbige Bilder vor allem von Mammuts und Nashörnern. In der etwas jüngeren Tropfsteinhöhle von Pech-Merle wurden zwei Pferde über eine längere Zeit hinweg immer wieder mit farbigen Punkten »getroffen«. Das bekannteste Bild in der nach ihren Entdeckern benannten Höhle Les Trois Frères (um 18000 v.Chr.) ist der aus verschiedenen Lebewesen zusammengesetzte »Zauberer«.

Fand eine künstlerische Entwicklung statt?

Ja, die Entdeckung der Höhle von Lascaux 1940 durch Jugendliche galt als Sensation. Dort waren seit etwa 16000 v.Chr. mehrfarbige Bilder in einem immer reiferen, plastischen Stil entstanden, vor allem Pferde, Auerochsen und Wisente in einer Größe bis über fünf Meter. Neu sind die Jäger, die zur gleichen Zeit auch in Le Portel und Niaux auftauchen. Dort wurde die Darstellung um 11000 v.Chr. zunehmend realistischer, es gibt viele Waffen und verwundete Beutetiere. Bis heute werden neue Funde gemeldet, so 1991 die nur per Tauchgang aus dem Meer zugängliche Cosquer-Höhle bei Marseille (17. Jahrtausend v.Chr.), in der viele Meerestiere, Robben und Riesenalken zu sehen sind.

Warum wurden die Höhlenwände verziert?

Mit Sicherheit verfolgten die Malereien einen konkreten Zweck. Fußabdrücke in der Galerie Noir von Niaux und in der Höhle Le Tuc d'Audoubert sowie Musikinstrumente deuten auf Tänze und kultische Handlungen hin. Da auch Jugendliche anwesend waren, könnten Initiationsriten eine Rolle gespielt haben. Viele Bilder und Tonreliefs wie in Le Tuc d'Audoubert und in Bédeilhac haben symbolische »Einstichwunden«, die nur mit einem Jagdzauber zu erklären sind.

Gab es in der Steinzeit bereits eine Religion?

Vieles deutet darauf hin. Ein wichtiger Hinweis auf religiöse Vorstellungen sind die seltsamen Mischwesen wie etwa der »Zauberer« in Les Trois Frères und Le Gabillou. Es handelt sich um verkleidete Menschen oder um verwandelte Wesen, die wie die Schamanen heutiger Naturvölker Kontakt zum Geist der Tiere aufnehmen. Die stilistisch recht einheitlichen Malereien dürften von einer solchen Priesterschaft stammen, die ihr Wissen und ihre Kunstfertigkeit nur unter sich weitergab.

Zieht man ethnologische Studien bei Naturvölkern wie den australischen Aborigines zum Vergleich heran, wird deutlich, dass auch die Menschen der älteren Steinzeit an übernatürliche Kräfte geglaubt haben müssen. Ihre Rituale dienten dazu, sich in ihrer Welt zurechtzufinden. Gleichzeitig förderten sie die Abgrenzung zu benachbarten Stämmen und das Zugehörigkeitsgefühl zum eigenen Stamm – beides sollte sich als wichtiger Faktor für das Überleben und die kulturelle Weiterentwicklung bewähren.

Wann lebten die Menschen der Magdalénien-Kultur?

Als die letzte Eiszeit um 20000 v.Chr. ihrem Höhepunkt entgegenging und die nördliche Hälfte Europas bedeckte, entstand im wildreichen Tundragürtel von Frankreich bis zur Ukraine eine neue, an das Klima gut angepasste Kultur. Die Menschen machten entscheidende Fortschritte im sozialen Leben, in Kunst und Technik und produzierten vielfältige Werkzeuge wie Harpunen, Meißel und Speerschleudern. Nach der Felsüberhangsiedlung La Madeleine im südfranzösischen Vézère-Tal wird die ganze Epoche als »Magdalénien« bezeichnet. Günstige Lebensbedingungen vor allem in Südfrankreich und Nordspanien ließen die Bevölkerung wachsen, die sich nun in Stammesgruppen formierte. Zur Organisation, zum Austausch von Waren und zur Partnerwahl waren Treffen nötig, die möglicherweise im Zusammenhang mit den ausgemalten Höhlen stehen.

Wussten Sie, dass …

die steinzeitlichen Höhlenbilder auch modernen Künstlern noch etwas zu sagen haben? Picasso zum Beispiel sah in ihnen eine Brücke zur Ursprünglichkeit der Kunst.

die kleine Tochter des Hobby-Gelehrten Don Marcelino de Sautuola die erschreckend naturnahen Tierbilder in der Höhle von Altamira in Spanien fand, als dieser 1879 nach vorgeschichtlichen Steinwerkzeugen suchte? Die Wandmalereien waren so ungewohnt, dass niemand an die Echtheit glauben mochte, bis Ausgrabungen das hohe Alter bestätigten.

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