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Jean-Jacques Rousseau: Zurück zur Natur

Welche Erziehung erhält der Philosoph?

Jean-Jacques Rousseau, der Begründer der modernen Kulturkritik, wird am 28. Juni 1712 im calvinistisch geprägten Genf geboren. Seine Erziehung verläuft nicht kontinuierlich, da seine Mutter bald nach der Geburt stirbt und der Vater ihn 1722 in Pension zu einem Pfarrer gibt. Er erwirbt sich seine Bildung als leidenschaftlich lesender Autodidakt. Sein impulsiver Zugang zum Wissen wird auch seine Denk- und Schreibweise beeinflussen. Rousseaus unstete Jugend kommt nach vier Jahren des Vagabundierens 1732 in Chambéry bei Madame de Warens zur Ruhe, die ihm Gönnerin, Ersatzmutter und Geliebte ist. Nach der Trennung von ihr begibt er sich 1742 als angehender Literat und Komponist nach Paris. Nach Tätigkeiten als Musik- und Hauslehrer, als Sekretär und Notenkopist findet er in Paris Zugang zu literarischen und philosophischen Zirkeln. Er lernt dort seine spätere Frau, die Wäscherin Thérèse Levasseur, kennen, die ihn bis zu seinem Lebensende begleiten wird, und findet Freunde in Diderot und d'Alembert, den Herausgebern der »Encyclopédie«. Für dieses große Buchprojekt verfasst er die musiktheoretischen Artikel.

Wie kommt Rousseau zu seiner Zivilisationskritik?

1749 stößt Rousseau zufällig auf die Preisfrage der Akademie von Dijon, ob Wissenschaft und Künste die Entwicklung der Menschheit befördert haben. Dies ist der Moment der Initialzündung für Rousseaus Zivilisationskritik. Denn ihm drängt sich der Gedanke auf, dass jeglicher Fortschritt nur eine zunehmende Entfernung vom ursprünglichen Naturzustand bewirkt hat. In der für die Akademie verfassten »Rede über die Künste und die Wissenschaften« führt er diesen Gedanken aus und gewinnt überraschend den Preis. Damit ist auch der Grundstein für sein weiteres philosophisches Werk gelegt. In der 1755 verfassten »Rede über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen« wiederholt und verschärft er seine Thesen von der verderblichen Wirkung des Bewusstseins und der Zivilisation auf die natürlichen Instinkte. Diese werden von Rousseau vor allem deswegen als unverdorben und moralisch gut idealisiert, um vor diesem Hintergrund den verkommenen Gesellschaftszustand stärker kritisieren zu können. Die Ungleichheit der materiellen und ständischen Bedingungen seiner Zeit gelten ihm als deutlichstes Zeichen der Entfremdung von der Natur. Rousseau wird mittlerweile von der wohlhabenden Mäzenatin Madame d'Epinay gefördert.

Was ist sein Gesellschaftsvertrag?

»Der Gesellschaftsvertrag« (1762) bereitet schon zentrale Ideen der Französischen Revolution vor. »Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten«, so lautet die provozierende Ausgangsthese, bevor Rousseau seine Gedanken vom Gemeinwillen und dem Volkssouverän als Vertragsgrundlage einer Gesellschaft entwickelt, in der alle die gleichen Rechte und Pflichten haben sollen.

Der noch im selben Jahr erschienene Roman »Émile« erstellt ein idealtypisches Erziehungsprogramm, das nicht als konkrete Handhabe gedacht ist, sondern den Übergang vom Natur- zum Kulturzustand darstellt. Die beiden letzten Werke bringen Rousseau erhebliche Schwierigkeiten sowohl mit den Pariser als auch mit den Genfer Behörden ein: Sie werden als umstürzlerisch und antireligiös verboten und sogar öffentlich verbrannt.

Wie reagiert Rousseau auf die Ablehnung?

Rousseau fühlt sich zunehmend verstoßen und verfolgt. Er hat sich bereits mit den Freunden Diderot und d'Alembert überworfen. Seine letzte Lebensphase sollte ihn immer mehr in die Isolation und in das gesellschaftliche Abseits führen. In seinem 1770 abgeschlossenen Lebensbericht »Die Bekenntnisse« (1782 posthum publiziert) legt er Rechenschaft vor sich selbst ab und gibt rückhaltlos die intimsten Beweggründe seines Handelns und Denkens preis. Mit diesen nicht ohne Exhibitionismus und Ichsucht vorgetragenen Memoiren schafft Rousseau das Vorbild zukünftiger Bekenntnisliteratur. Die ebenfalls autobiografischen Betrachtungen »Träumereien eines einsamen Spaziergängers« dokumentieren Rousseaus Rückzug in die Natur. Finanzielle Not, Depressionen und Verfolgungswahn verdüstern seine Existenz. Auf dem Gut eines Gönners in Ermenonville nördlich von Paris verbringt er die letzten Wochen, ehe er am 2. Juli 1778 stirbt.

Welchen Beitrag leistete Rousseau zur zeitgenössischen Literatur?

Vor allem zwei seiner Hauptwerke, »Julie oder die neue Héloïse« (1761) und »Die Bekenntnisse« (1782), spielen in der europäischen Literaturgeschichte eine wichtige Rolle. Der sentimentale Briefroman um Julie zählt zu den zentralen Werken der europäischen Empfindsamkeit und beeinflusste die Entwicklung der Gattung auch in Deutschland. Leidenschaftliches Gefühl wird darin zur höchsten Instanz erhoben, muss aber unter den Bedingungen der damaligen Zeit tragisch an Standesunterschieden scheitern. Für das neue Naturgefühl der Romantik sind Rousseaus Landschaftsbeschreibungen der Schweizer Alpen und des Genfer Sees wegweisend.

Wussten Sie, dass …

Rousseau sich spontan zur Auswanderung entschloss, als er eines Abends bei der Rückkehr von einem Spaziergang die Genfer Stadttore verschlossen fand?

sich der Philosoph auf Anregung Mme. de Warens' katholisch taufen ließ? Nach seiner Rückkehr nach Genf 1754 schwor er dem Katholizismus wieder ab.

Rousseau und Thérèse Levasseur aus Geldmangel alle ihre fünf Kinder als Findelkinder in einem Waisenhaus unterbrachten?

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