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Die Fruchtbarkeitskrise: Sterben wir bald aus?

Seit dem Anfang der 1970er Jahre geht die Spermienqualität bei Männern weltweit zurück. Sie haben weniger und dafür mehr deformierte Spermien. Setzt sich dieser Trend weiter fort, könnten bis 2045 kaum noch funktionsfähige Spermien übrig und ein Großteil der Männer unfruchtbar sein – so die Meinung einiger Experten. Doch was ist dran an dieser provokanten These? Sterben wir also ab der Mitte des Jahrhunderts einfach aus? Und warum nimmt die Spermienqualität überhaupt ab?
AMA, 18.09.2023
Spermien und Eizellle

© rez-art, GettyImages

Von ihrem Entstehungsort, dem Hoden,  bis zur weiblichen Eizelle zu gelangen, ist für Spermien Hochleistungssport. Sie müssen es zunächst durch das chemisch unbekömmliche Milieu der Scheide schaffen und dann den langen Weg durch Gebärmutter und Eileiter schwimmen, um schließlich an ihrem Ziel anzukommen. Diese Reise voller Strapazen gelingt nur den fittesten Samenzellen. Sobald Spermien in Größe, Form oder Beweglichkeit von der Norm abweichen, wird es schon schwierig für sie. Besitzt ein Mann außerdem nur wenige Spermien, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie es bis zur Eizelle schaffen, noch weiter.

Wir sind in einer Spermienkrise

Dass Spermium und Eizelle zueinander finden, könnte in Zukunft immer unwahrscheinlicher werden. Denn Männer auf der ganzen Welt haben mittlerweile deutlich weniger Spermien als noch vor ein paar Jahrzehnten. Eine groß angelegte Studie hat herausgefunden, dass die Spermienzahl zwischen 1973 und 2018 im Schnitt um 62 Prozent gesunken ist, die Spermienkonzentration um 52 Prozent. Auch die Qualität hat in einigen Weltregionen abgenommen. Der Trend ist deutlich: Die männliche Fruchtbarkeit geht immer weiter zurück. Hochrechnungen zufolge könnten bereits bis zum Jahr 2045 kaum noch funktionsfähige Spermien übrig sein und der Fortbestand der Menschheit somit auf dem Spiel stehen.

Doch auch schon vor der Mitte des Jahrhunderts könnte der Spermienrückgang zum Problem werden. Aktuell haben Männer im Schnitt noch 49 Millionen Spermien pro Milliliter Samenflüssigkeit. Damit sind sie zwar noch deutlich von dem Unfruchtbarkeits-Grenzwert entfernt, der bei 16 Millionen liegt, aber trotzdem ist ihre Zeugungsfähigkeit womöglich schon vermindert. Im Jahr 1973 lag die Spermienzahl noch bei 101 Millionen pro Milliliter.

Warum die Fruchtbarkeit zurückgeht

Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich die Frage, warum die männliche Unfruchtbarkeit in einer Krise steckt. Was auch immer dafür verantwortlich ist, scheint außerdem einen immer größeren Einfluss zu haben, denn seit dem Jahr 2000 hat sich der Spermienrückgang nochmal deutlich beschleunigt. Seitdem verlieren Männer im Schnitt 2,64 Prozent ihrer Spermien pro Jahr, vorher waren es „nur“ 1,16 bis 1,9 Prozent.

Experten gehen davon aus, dass der Rückgang viele verschiedene Gründen hat. Großen Einfluss haben demnach verschiedene Chemikalien und Umweltgifte, die in Alltagsgegenständen und unserer Luft stecken. Unter anderem ist bekannt, dass Pestizidrückstände auf Obst und Gemüse die Spermienqualität verringern. Auch sogenannte endokrine Disruptoren, also hormonell wirksame Chemikalien, schädigen die Spermien. Sie stecken zum Beispiel in Zahnpasta, Sonnencreme, Plastikflaschen und Textilien. Auch Abgase und steigende Temperaturen wirken sich negativ auf Anzahl und Qualität der Spermien aus.

Hinzu kommen Faktoren, die jeder Mann durch seinen individuellen Lebensstil beeinflusst. So ist etwa bekannt, dass Übergewicht, Fastfood, Rauchen, Alkohol und Cannabiskonsum spermienschädigend wirken. Aber auch Stress und das Alter spielen eine Rolle.

Sterben wir bald aus?

„Wenn wir unsere Lebensweise, die Umwelt und die Chemikalien, denen wir ausgesetzt sind, nicht ändern, mache ich mir große Sorgen, was in Zukunft passieren wird“, sagte Spermienforscher Hagai Levine von der Hebräischen Universität in Jerusalem jüngst gegenüber der BBC. „Irgendwann werden wir ein Problem haben mit der Fortpflanzung im Allgemeinen, und das könnte das Aussterben der menschlichen Spezies bedeuten.“

Wenn sich der aktuelle Trend weiter fortsetzt, könnte bis 2045 nicht einmal mehr künstliche Befruchtung dabei helfen, die menschliche Fortpflanzung weiter zu gewährleisten. Levine fordert daher ein Umdenken hinsichtlich der Chemikalien, mit denen wir tagtäglich in Kontakt kommen. Nur Verbote und Alternativen könnten die Belastung spermienschädigender Stoffe lindern.

Zusätzlich dazu können Männer aber auch selbst etwas für die Gesundheit ihrer Spermien tun. Etwa indem sie weniger rauchen und trinken, sich gesünder ernähren, Stress vermeiden und Sport treiben. Alle 75 Tage werden neue Spermien gebildet. Männer haben also alle zweieinhalb Monate die Chance, die Qualität ihrer Samenflüssigkeit zu verbessern.

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