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Chancen und Risiken von Lehrvideos für die Schule

Digitalisierung fürs Klassenzimmer: Um in der Schule auch komplexe Unterrichtsinhalte verständlich zu machen, spielen heutzutage digitale Medien eine immer wichtigere Rolle. Nicht selten greifen Lehrer im Unterricht - oder auch die Jugendlichen zu Hause - auf digitale Medien zurück: Sie nutzen zum Beispiel YouTube-Kanäle, die Lehrvideos ins Internet stellen. Aber nicht jedes Video ist zum Lernen geeignet.
ABO, 03.09.2020

Jede Lehrkraft ihr eigener Progammgestalter?

iStock.com, SrdjanPav

Die Digitalisierung nimmt einen immer größeren Raum in unserem Alltag ein. Statt den Fernseher anzuschalten, werden Serien über Streaming-Dienste geschaut. Statt in den Supermarkt oder ins Restaurant zu gehen, wird das Essen per Klick nach Hause bestellt. Diese Gewohnheit weitet sich bis ins Klassenzimmer aus: Lehrer und Jugendliche wissen sich auch dort mit dem Internet zu helfen: Online-Angebote dienen als Vorbereitung auf den Unterricht, Unterstützung oder sogar als digitale Nachhilfe.

Laut Umfragen der Bertelsmann-Stiftung glaubten schon 2017 etwa 70 Prozent der Lehrer, dass die Digitalisierung den Schulalltag attraktiver mache. Noch deutlicher war die Meinung der befragten Schüler:  80 Prozent bestätigen, dass sie durch Lernvideos, Internetrecherche oder Präsentationen aktiver und aufmerksamer seien und wünschten sich einen vielseitigeren Einsatz digitaler Medien. „Digitalisierung im Bildungsbereich ist dann erfolgreich, wenn sie hilft, schulische Inhalte besser zu verstehen“, sagt die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Yvonne Gebauer. 

Lernvideos als Helfer in Schule und Studium?

Doch das können beispielsweise Lernvideos -und was nicht? „Es gibt unterschiedliche Lerntypen – einige prägen sich vor allem visuell viel ein, anderen hilft das gesprochene Wort“, erklärt Heinrich Dieckmann von der APOLLON Hochschule. Digitale Formate, die die klassischen Materialien ergänzen, können beiden Lerntypen helfen und seien daher eine Chance für individuellen Unterricht. In der Corona-Krise, durch die Schule wochenlang nur noch als Fernunterricht und Homeschooling stattfand, haben digitale Angebote noch einmal an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewonnen.

„SimpleClub“, „Quarks& Co“ und „die Merkhilfe“ sind nur einige Anbieter, die auf Plattformen wie YouTube tausende Lernvideos hochladen. Von Biologie über Mathematik bis hin zu Informatik: Die meisten Themen der Lehrpläne sind kinderleicht im Internet zu finden – für die Lehrer und die Schüler zu Hause. Auch Studierende kommen nicht zu kurz: Seit 2019 kooperiert die Hochschule Fresenius sogar mit „SimpleClub“, um das Studium mit visuellen Angeboten zu begleiten. „Mit den Videos von SimplelClub werden unseren Studierenden gezielte Inhalte auf lockere Art und Weise praxisnah nähergebracht“, begründet Oliver Faber, Studiengangsleiter der Hochschule Fresenius in Köln.

Per Video lassen sich nicht nur komplexe Sachverhalte wie zum Beispiel die Keplerschen Gesetze anschaulich darstellen, sondern durch Stoppen, Zurückspulen und Noch-einmal-Ansehen lässt sich auch das Lerntempo besser individualisieren.

Physik - simpleclub (Screenshot)

Nicht blind vertrauen

Doch kann man den öffentlichen Video-Anbietern blind vertrauen? Auch wenn die Produzenten der Lernvideos die Themen schülergerecht und anschaulich erklären, weiß der Zuschauer nicht immer, ob es sich wirklich um einen Experten aus dem Gebiet handelt. Gerade die Masse an verschiedenen YouTube-Videos erschwert es zu entscheiden, ob die Quelle auch vertrauenswürdig ist.

Schaut man sich mehrere Videos zum gleichen Thema an, fällt oft sogar auf, dass es große Unterschiede geben kann – inhaltlich wie sprachlich. Experten warnen bereits, weil die meisten online verfügbaren Materialien keiner Qualitätskontrolle unterzogen werden. Teilweise gelange über solche Videos sogar versteckte Werbung ins Klassenzimmer, kritisieren sie.

Woran lässt sich also eine seriöse Quelle erkennen? Generell gilt: Je mehr man über den Produzenten des Videos erfahren kann, desto besser. So kann man mithilfe einer Recherche im Internet vorab überprüfen, ob es sich zum Beispiel um einen Experten einer Universität handelt. Auch lassen sich Videos von professionellen Mediengruppen wie dem WDR finden. Hinter „Quarks& Co“ stecken zum Beispiel studierte Wissenschaftler, die auch eine wissenschaftliche Fernsehsendung moderieren. Bei YouTubern, die nichts über ihre wissenschaftliche Ausbildung Preis geben, lässt sich nicht prüfen, ob ihre Inhalte fachlich fundiert sind.

Video und Unterricht abstimmen

Die zweite Schwierigkeit: Die Formate der Videos unterscheiden sich stark. Ein YouTuber singt über die quadratische Funktion, der zweite erklärt klassisch vor der Tafel, der nächste Kanal arbeitet mit Animationen und einer Stimme aus dem Off. Aber welches ist das geeignete Format für welchen Zweck und welchen Schüler?

Aus Erfahrung wissen viele Lehrer, dass sich nicht jede Präsentationsform für jedes Thema eignet. Allerdings bietet die Vielfalt der angebotenen Vermittlungsmethoden Schülern auch die Chance, sich das Wissen individuell nach ihren Lernvorlieben und Lerntypen anzueignen. Demnach ist es sicher nicht immer sinnvoll, den Unterricht auf diesen Videos aufzubauen. Aber die digitalen Lernangebote als zusätzliche Unterstützung zu nutzen, kann hilfreich sein – sofern sie sachlich korrekt sind.

Machen statt gucken: Bei der Produktion eigener Lehrvideos muss nicht nur das Thema beherrscht werden, sondern auch didaktisch so aufbereitet werden, dass es für andere verständlich erklärt wird.

iStock.com, SDI Productions

Selbst tätig werden

Der digitale Trend geht noch weiter: Machen statt gucken heißt dabei die Devise. Inzwischen gibt es bereits einige Apps, mit denen die Schüler sogar selbst Lernvideos erstellen können. Dazu können zum Beispiel kleine Clips mit dem Handy gefilmt und anschließend mit Texten, Überschriften und Musik veranschaulicht werden. Auch eigene Tonaufnahmen zur Erklärung eines Themas können aufgenommen und hinzugefügt werden. Die Schüler üben dabei eine Menge: zum Beispiel, wie ein Video aufgebaut sein sollte, wie viel Fachsprache es verträgt und den Umgang mit den digitalen Medien.

Gleichzeitig stellen sich die Jugendlichen dabei vor, wie ihre Mitschüler am besten verstehen können, wie beispielsweise eine Nervenzelle funktioniert. Dies fördert nicht nur Kreativität, sondern ist gleichzeitig auch eine intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten. Aber auch hier spielen das Engagement der Lehrer und die zeitlichen Möglichkeiten eine wichtige Rolle.

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