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Die biologischen Voraussetzungen des Lernens

Lernen ist nicht nur Aneignung von Wissen, sondern auch ein ständiger Kampf gegen das Vergessen. Diesen Kampf können wir umso besser führen, je mehr wir über die biologischen Vorgänge, die uns das Lernen ermöglichen, wissen.

Die Funktionsweise des Gedächtnisses

Die Datenmenge, die die Sinnesorgane an das Gehirn liefert, ist gigantisch. Nur ein kleiner Teil davon wird vom Menschen benötigt, um sich in seiner Umgebung zurechtzufinden. Würden alle eintreffenden Informationen vom Gedächtnis verarbeitet und auf Dauer gespeichert, wäre eine Orientierung nicht mehr möglich. Vergessen ist somit ein für den Menschen lebensnotwendiger Prozess. Das Gedächtnis ist ein wichtiger Filter, der uns vor Datenmüll und Überforderung schützt!

Die Informationsselektion und -speicherung geschieht in mehreren Schritten. Daher unterscheidet man im Allgemeinen drei Gedächtnissysteme: das sensorische Gedächtnis oder Ultrakurzzeitgedächtnis (UZG), das Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis (KZG) und das Langzeitgedächtnis (LZG).

Das Ultrakurzzeitgedächtnis (UZG)

Im sensorischen Gedächtnis werden alle eintreffenden Sinnesreize für circa ein bis zwei Sekunden gespeichert. Nur ein Bruchteil dieser Informationen wird ans Kurzzeitgedächtnis weitergereicht; viele werden ignoriert bzw. gelöscht, andere Ausgewählte hingegen werden weitervermittelt. Dies können für den Organismus lebenswichtige Informationen sein oder aber auch solche, denen die eigene Aufmerksamkeit zukommt.

Das Kurzzeitgedächtnis (KZG)

In das Kurzzeitgedächtnis gelangen also nur die Informationen, denen im Ultrakurzzeitgedächtnis genügend Aufmerksamkeit zuteil wurde. Sie werden zunächst für etwa 20 Sekunden gespeichert. Auch für dieses Gedächtnissystem gilt: Daten, die nicht stabilisiert werden, die also nicht genug Beachtung erfahren, werden gelöscht. Dies trifft auf den größten Teil der Informationen zu, nur ein kleiner Rest wird ans Langzeitgedächtnis weitergegeben.

Das Kurzzeitgedächtnis wird auch Arbeitsgedächtnis genannt. Denn es ist das einzige Gedächtnissystem, in dem Daten bewusst verarbeitet werden. Falsche Informationen, die sich bereits einen Platz im Langzeitgedächtnis erobert haben, können nur hier korrigiert werden. Bewusst verarbeitetes Material hält sich wesentlich länger als 20 Sekunden im Kurzzeitgedächtnis.

Im Arbeitsgedächtnis werden die eintreffenden Daten mit Informationen aus dem Langzeitgedächtnis verglichen, die zu diesem Zweck ins Kurzzeitgedächtnis zurückgeholt und dort bewusst gemacht werden. Diesen Vergleich benötigt der Mensch, um situationsadäquat handeln zu können. So erfordert zum Beispiel der Wunsch, eine bestimmte Person anzurufen, ausgelöst vielleicht durch den Anblick einer Telefonzelle, den Abruf der entsprechenden Telefonnummer aus dem Langzeitgedächtnis.

Der Vergleich von neuen Informationen mit bereits gespeicherten durch das Kurzzeitgedächtnis ist von enormer Bedeutung für den Erfolg des Lernens. Lässt sich der Lerninhalt in ein schon vorhandenes Netz von Informationen eingliedern, wird er leichter behalten. Deswegen ist es vernünftig, Lernstoff gut zu strukturieren. Auch interdisziplinäres Arbeiten trägt zum Aufbau von Informationsnetzen bei.

Das Langzeitgedächtnis (LZG)

Hier werden die eintreffenden Informationen dauerhaft gespeichert. Das bedeutet aber nicht, dass sie jederzeit problemlos abrufbar sind. Wissen, welches nicht oft genug benötigt wird, wird zum passiven Wissen und gleitet schließlich ins Unbewusste ab.

Im Langzeitgedächtnis werden die abgelegten Inhalte nach ihrer Bedeutung organisiert. Man unterscheidet zwei Formen des Langzeitgedächtnisses: das deklarative und das prozedurale Gedächtnis. Das deklarative Gedächtnis speichert Informationen, die Personen, Gegenstände oder Orte betreffen. Sie können fakten- oder ereignisbezogen sein. Im ersten Fall werden sie im semantischen Gedächtnis abgelegt, im zweiten im episodischen. Das prozedurale Gedächtnis speichert vor allem motorische Fertigkeiten wie zum Beispiel Schwimmen.



Das Gedächtnis hat keinen festen Ort. An vielen verschiedenen Stellen des Gehirns sind Gedächtnisinhalte gespeichert. So befinden sich sprachliche Informationen in einem anderen Bereich als visuelle usw. Dies bedeutet, dass unser Wissen über einen Gegenstand, beispielsweise über eine Rose, nicht an demselben Ort abgespeichert ist, sondern über unser Gehirn verteilt abgelegt wurde. Bei Bedarf, also wenn wir uns an die Rose erinnern, werden die vielen Einzelinformationen (Form, Bezeichnung, Geruch usw.) wieder zusammengefügt.

Von einigen Wissenschaftlern werden die Begriffe Ultrakurzzeitgedächtnis, Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis anders verwendet als oben beschrieben. Doch wie auch immer man das Gedächtnis fasst, der Prozess der Speicherung bleibt derselbe. Aber wie funktioniert er?

Die Information trifft in Form eines wahrnehmbaren Reizes auf eine Sinneszelle, die ihn als elektrischen Impuls an eine Nervenzelle (Neuron) weiterleitet. Wird ein bestimmter Energiewert überschritten, gibt diese Nervenzelle den Reiz über einen faserartigen Fortsatz, das Axon, an ein oder mehrere andere Neuronen weiter, die ihn ihrerseits ebenfalls weiterleiten können. Die Information hinterlässt so charakteristische Spuren. Durch häufiges "Nachziehen" dieser Spuren verstärken sich die Verbindungen (Synapsen) zwischen den betreffenden Zellen. Es entsteht ein bleibendes Muster, ein Engramm. Die Information ist gespeichert. Für das Lernen bedeutet dies:
Damit sich der Lernstoff in dem Gedächtnis einprägt, muss er häufig wiederholt werden!

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