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Droht uns das digitale Vergessen?
Unser Bild vergangener Zeiten ist von dem geprägt, was überdauert hat: Höhlenmalereien verraten uns, was die Steinzeitmenschen jagten und woran sie glaubten. Mittelalterliche Manuskripte und alte Bücher zeugen vom Wissen und den Erfahrungen unserer Vorfahren. Und die in Ton geritzten Keilschriftzeichen oder Hieroglyphen helfen uns, vergangene Kulturen zu verstehen.
Doch was, wenn es all diese historischen Zeugnisse nicht gäbe? Ein großer Teil des kulturellen Erbes der Menschheit wäre dann unbekannt – für immer verloren. Genau das aber könnte vielen Erkenntnissen und kulturellen Errungenschaften unserer heutigen Zeit blühen. Denn ein großer Teil unseres Lebens, unserer Kunst und unserer Wissenschaft findet heute in der digitalen Welt statt. Doch so praktisch digitale Daten im alltäglichen Umgang sind – für die Archivierung über lange Zeiträume hinweg taugen sie nichts.
"Zerbröselnde" Bits
Einer der Gründe dafür: Daten, die auf digitalen Trägermedien gespeichert sind, degradieren im Laufe der Zeit. So können Umwelteinflüsse wie Licht oder Magnetfelder dazu führen, dass Bits auf Magnetbändern, Disketten und Festplatten zerstört oder verändert werden. Als Folge ist im Extremfall die gesamte Datei unlesbar – und die Information damit verloren.
Nach bisherigen Erkenntnissen halten Daten auf optischen Speichermeiden wie CD-ROMs oder DVDs zwischen fünf und rund 100 Jahren – optimale Bedingungen vorausgesetzt. Magnetbänder, USB-Sticks und andere Flash-Speicher bleiben wahrscheinlich rund 30 Jahre lesbar. Die Festplatten in unseren Rechnern, aber auch externe Festplattenspeicher halten maximal zehn Jahre, wenn sie häufiger genutzt werden. Ungenutzt liegt ihre Lebensdauer nach Expertenschätzungen bei rund 30 Jahren.
Wenn das passende Gerät fehlt
Ein weiterer Grund: Digitale Daten sind nur mit entsprechender Hard- und Software lesbar. Doch die Standards ändern sich im Laufe der technischen Entwicklung sehr schnell. Eine Floppy-Disk oder das Magnetband eines alten Datenspeichers beispielsweise sind für die meisten heutigen Computer schon nicht mehr lesbar: Es fehlt das passende Disketten-Laufwerk und auch viele der in den 1980er und 1990er Jahren verbreiteten Programme gibt es gar nicht mehr.
Schon bei ehemals gängigen Programmen wie dem Tabellenkalkulationsprogramm Lotus 1-2-3 oder Word für DOS lassen sich die Informationen oft nur noch mit speziellen "Übersetzungsprogrammen" auslesen. Bei weniger verbreiteten Formaten gibt es solche Programme jedoch häufig nicht. In ähnlicher Weise könnten unsere heutigen Festplatten und USB-Sticks, aber auch die gängigen Dateiformate schon in wenigen Jahrzehnten komplett überholt sein. Die von uns heute so sorgsam gespeicherten Erkenntnisse, Erinnerungen oder Kunstwerke wären dann verloren.