wissen.de Artikel
Erdbeben bei Santorini: Wie schlimm wird es?
Seit Ende Januar verzeichnen Seismologen im östlichen Mittelmeer einen Erdbebenschwarm. Dort treten seither täglich hunderte Erdbeben auf, im Schnitt wackelte die Erde fünfmal pro Stunde. Insgesamt wurden an die 20.000 Erdstöße rund um die Inselgruppe der Kykladen registriert. Manche sind nur ganz schwach, andere sogar bis in die rund 230 Kilometer entfernte griechische Hauptstadt Athen spürbar.
Das bisher stärkste Beben am Montag, 10. Februar, hatte eine Magnitude von 5,3. Nachdem Experten am Wochenende von einer Abschwächung der seismischen Aktivitäten gesprochen hatten, ereignete sich am Montagmorgen, 17. Februar, ein Erdbeben der Stärke 5,1 und ein Ende der laut Angaben von Seismologen beispiellosen Erdbebenserie rückte wieder in die Ferne.
Zuletzt kam es dadurch zu einigen Erdrutschen. Große Schäden gibt es bislang zwar nicht, doch die Anwohner sind besorgt, dass sich die Lage weiter zuspitzen könnte. Etwa 11.000 Menschen sind daher bereits geflohen. Doch wie kommt es zu der seismischen Aktivität und warum tritt sie ausgerechnet bei Santorini auf?

Warum treten die Beben gerade dort auf?
Dass die Beben in der Ägäis zwischen Santorini und Amorgos auftreten, ist kein Zufall. Die Region ist für ihre Geodynamik bekannt, die sie zum europäischen Erdbeben-Hotspot macht, erläutert Klaus Reicherter von der RWTH Aachen, Experte für Plattentektonik und Georisiken. „Dort gibt es große Verwerfungen, also Brüche in der Erdkruste. Die afrikanische Platte sinkt dort unter die eurasische Platte ab“, erklärt er. An der Plattengrenze, die südlich von Kreta liegt, wird dabei die Erdkruste gestaucht. Weiter im Norden, hinter der abtauchenden Platte, wird die Erdkruste hingegen gedehnt. Dadurch kommt es zu Spannungen und immer wieder zu Erdbeben.
„Zugleich werden dort so Bedingungen für den Aufstieg von Magma geschaffen“, so Reicherter. An der Stelle im Ägäischen Meer gibt es daher eine Reihe von Inseln vulkanischen Ursprungs sowie Unterseevulkane, die bis heute aktiv sind. Dazu zählen die Halbinsel Methana und die Inseln Milos, Santorini, Nisyros und Kos sowie der Kolumbo-Vulkan, der heute bis fast unter die Wasseroberfläche reicht.

Steht ein Vulkanausbruch bevor?
Von diesem Unterseevulkan befürchten Experten, dass er – angeregt durch die aktuelle Erdbebenserie – erneut ausbrechen könnte. Hinzu kommt, dass sich der Füllstand der Magmakammer unter dem Kolumbo allmählich wieder dem vor seiner letzten großen Eruption nähert. Sollte er erneut ausbrechen, könnte es zu einem gewaltigen Tsunami kommen.
Wie schwer ein solches Ereignis sein könnte, zeigt ein Blick in die Vergangenheit: „Der Kolumbo hatte bereits massive Eruptionen, zum Beispiel 1649/1650. Damals ragte der Vulkan über die Wasseroberfläche, und der der Eruption folgende Tsunami verursachte große Zerstörungen in der Ägäis“, erklärt Reicherter. Die Wellen an den Küsten waren damals meterhoch.
„Santorini wiederum ist bei einer Eruption vor rund 3.600 Jahren entstanden, die die gesamte minoische Kultur ausgelöscht hat. Die Flutwellen des Tsunamis auf Kreta waren damals 50 Meter hoch. Die Insel hat es damals förmlich zerrissen“, so der Experte. Wegen ihrer potenziellen Zerstörungskraft sind die Vulkane in dem Gebiet unter ständiger Beobachtung. Ebenso wird die seismische Aktivität der Erde überwacht. Auch Rettungspläne für den Notfall gibt es.

Wie schlimm wäre ein stärkeres Erdbeben?
Ob es bei Santorini demnächst zu einer Eruption kommen wird, ist unter Fachleuten allerdings umstritten. Doch auch ohne Vulkanausbruch könnten die Anwohner der griechischen Inseln in Gefahr sein. Denn wenn die Erdbebenserie so weitergeht, könnte es nach den Vorbeben ein noch stärkeres Hauptbeben geben, fürchten Seismologen. Das könnte dann Häuser zerstören und ebenfalls einen Tsunami auslösen. „An der Westseite mit der Steilküste besteht die Gefahr von Felsstürzen, an der flachen Ostseite mit den Stränden die Gefahr von Tsunamis“, sagt Reicherter.
Das letzte große Beben in der Region war 1956 und hatte eine Stärke von über 7. Die momentanen Beben liegen bei Magnituden um die 5. Das sind zwar nur zwei Punkte mehr auf der Richterskala, doch die Kräfte und Auswirkungen unterscheiden sich enorm. „Die Richter-Skala ist logarithmisch, das bedeutet, zwischen 5 und 6 wird 32-mal mehr Energie freigesetzt und zwischen 6 und 7 nochmal 32-mal mehr, also fast 1.000-mal mehr zwischen 5 und 7“, erklärt Reicherter.
Obwohl bereits Hunderte Beben aufgetreten sind, ist die momentane Spannungsenergie in der Region noch nicht abgebaut. Es wird daher wahrscheinlich in den nächsten Wochen weitere Erdbeben geben. Wann genau sie auftreten und wie stark sie ausfallen werden, lässt sich jedoch nicht klar vorhersagen.
Gibt es einen Zusammenhang mit Erdbeben in der Türkei?
Vor zwei Jahren gab es bereits ein starkes Erdbeben in der Türkei. Dahinter steckt ebenfalls eine Bewegung der Erdplatten und Deformation der Erdkruste, allerdings an anderer Stelle: „An der ostanatolischen Störung drückt die arabische Platte in die eurasische Platte hinein“, erklärt Reicherter. Dadurch wird die Türkei nach Westen in die Ägäis hinein gequetscht.
Zusammen mit der Subduktion der afrikanischen unter die eurasische Platte gibt es demnach in der Ägäis gleich zwei Phänomene, die zu Spannungen in der Erdkruste führen und sich verstärken. Das ist mit ein Grund für die derzeitige Erdbebenserie. „Das Deformationsverhalten in der Region ist gewaltig, die Ägäis ist der Georisiken-Hotspot in Europa“, so Reicherter.