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Geodaten
Stasi 2.0
„Der Fall der Mauer wäre vielleicht nicht möglich gewesen, wenn damals alle Protestierenden ein Mobiltelefon in der Tasche gehabt hätten“, sagt Grünenpolitiker und Medienexperte Malte Spitz auf der TEDGlobal-Konferenz 2012 in Edinbourgh. „Denn dann hätte die Stasi schnell überschauen können, wer alles so an den Demos teilnahm und wer die Drahtzieher waren.“
Utopisch? Nein. Dass Telefongesellschaften Zeit und Dauer von Telefonaten sowie die angerufenen Nummern aufzeichnen, ist bereits lange der Fall. Bei Mobilfunkkunden kommt auch noch der Aufenthaltsort hinzu, und der lässt sich nicht nur während eines Gesprächs ermitteln. Die Sender in den Handys suchen ständig die Verbindung zur nächsten Relais-Station und sind damit durchweg zu orten, liefern ununterbrochen so genannte Geodaten.
Stellt man zudem ausgehend von einer Person die Verbindungen zur nächsten, übernächsten und so weiter bildlich dar, erhält man ein weitverzweigtes Kommunikationsnetzwerk. Und zeichnen sich hier Knotenpunkte ab – Handys, über die besonders viele Gespräche laufen –, können Fahnder davon ausgehen, dass es sich bei den Besitzern um Leute handelt, die etwa in einem politischen Kontext eine zentrale Rolle spielen.
Vor diesem Hintergrund mag der Begriff Stasi 2.0 für die Datensammelwut der Telekommunikationsbranche nicht so sehr weit hergeholt sein. Besonders, da diese seit 2006 laut der EU-Richtlinie zur Vorratsspeicherung angehalten ist, möglichst viele Daten über ihre Kunden zu sammeln.
Daten für Apple?
Übertrieben hingegen scheint da die Befürchtung, Nutzer von iPhones und iPads würden seit dem Betriebssystem iOS 4 auf Schritt und Tritt überwacht. Ist das System doch von Werk aus schon darauf eingerichtet, die Wege seines Benutzers aufzuzeichnen.
Doch wer soll hier wen überwachen? Das Handy seinen Besitzer? Die betreffende Datei mit dem Namen Consolidated.db gelangt beim Erstellen von Sicherungskopien über iTunes zwar auch auf den Rechner des Nutzers – und das unverschlüsselt –, doch nicht zu Apple oder sonst jemandem. Es sei denn, er benutzt iCloud, aber die mit diesem Service gespeicherten Daten sind für die Anbieter grundsätzlich tabu.
Zu dem Grund für die Speicherung von Geodaten auf dem eigenen Handy gibt es nur Vermutungen. Eine lautet, sie könnte mit dem Test eines Dienstes zusammenhängen, über den sich gestohlene Geräte wiederfinden ließen. Kritiker hingegen behaupten, Apple würde die Daten irgendwann für ortsgebundene Werbung nutzen. Die Frage bleibt hier nur, wie.
„Standortdaten sind hochsensibel“
Über das Wie muss sich in diesem Punkt Telefonica keine Gedanken machen. Als Mobilfunkanbieter verfügt das Unternehmen über die Daten seiner Kunden. Und jüngst kündigte es an, es wolle mit deren Bewegungsprofilen auch Handel treiben – natürlich anonymisiert, wie es verspricht.
Von Bedeutung ist dabei, welche Kunden – bezogen auf Geschlecht und Alter – wie lange welche Geschäfte besuchen oder vor welchen Schaufenstern stehen bleiben. Für Handelsketten wertvolle Marketing-Daten. Eigens zu diesem Zweck hat der angeschlagene Mutterkonzern von O2 in London die neue Tochter Telefonica Dynamic Insights gegründet. Ziel sei es, die Chancen zur Wertschöpfung aus Daten zu identifizieren und freizusetzen, ließ der Konzern in einer Pressemitteilung verlauten. Man werde Unternehmen und Behörden auf der ganzen Welt mit analytischen Erkenntnissen versorgen, die ihnen helfen, effizienter zu werden. „Für Deutschland gibt es aber noch keine konkreten Pläne“, zitiert die „Frankfurter Rundschau“ einen Telefonica-Sprecher. Der Datenschutz müsse zu hundert Prozent gewährleistet sein.
Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein, warnt dennoch vor hohem Missbrauchspotenzial. „Standortdaten sind hochsensibel, weil eben über sie eindeutig erkennbar ist, wo sich jemand aufhält“, sagt er dem Sender HR-Info. „Insofern sehe ich es mit großen Bauchschmerzen, dass jetzt Telekommunikationsunternehmen beginnen, sie in die Welt zu streuen.“