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Gertrude Bell – die Königin der Wüste

Lawrence von Arabien kennt fast jeder, Gertrude Bell dagegen kaum jemand – völlig zu unrecht. Denn die Archäologin, Historikerin und Schriftstellerin bereiste als erste Frau allein die unerforschten Weiten der Arabischen Wüste. Sie arbeitete als britische Geheimagentin und war die politisch einflussreichste Frau ihrer Zeit. Ohne Gertrude Bell hätte es vielleicht sogar den Irak nie gegeben. Der Film "Königin der Wüste" von Werner Herzog gibt nun einen Einblick in das Leben Gertrude Bells.
NPO, 03.09.2015

Als Gertrude Bell 1868 in England geboren wurde, war die Rolle einer Frau noch ziemlich klar umrissen: Sie hatte zu heiraten und für die Familie zu sorgen, höhere Bildung war nicht unbedingt erforderlich und Abenteuer waren schon gar nicht vorgesehen. Doch für Gertrude Bell kam es anders: Sie durchbrach die engen viktorianischen Konventionen – und das gründlich.

Lady Margaret Hall, das College Getrude Bells während ihres Oxford-Studiums.

Es beginnt schon mit ihrer Bildung: Damals ist es in wohlhabenden Kreisen üblich, Mädchen zuhause unterrichten zu lassen. Doch sowohl der Vater Gertrudes, ein Industrieller, als auch ihre Stiefmutter, die Schriftstellerin Florence Ollife, sind fortschrittlich eingestellt und schicken das wissbegierige Mädchen auf das Londoner Queens College – für damalige Zeit sehr ungewöhnlich. Später ermöglichen sie der jungen Gertrude ein Studium an der renommierten Universität von Oxford. Dieses schließt sie als mit einem erstklassigen Abschluss in moderner Geschichte ab – als erste Frau überhaupt.

Gertrude Bell im Jahr 1909 bei Ausgrabungen im Irak.

Historisch

Die Entdeckung des Orients

Das aber ist Bell nicht genug: Sie bringt sich selbst Persisch bei und reist 1892 nach Teheran in Persien, wo ihr Onkel britischer Botschafter ist. Ursprünglich als kurzes Abenteuer geplant, entdeckt Gertrude Bell dabei ihre Passion: die Erkundung fremder Gegenden, die Archäologie und vor allem die Natur und Kultur des Nahen und Mittleren Ostens.

"Ich habe nie gewusst, was eine Wüste ist, bis ich hierher kam", beschreibt sie ihre ersten Eindrücke in Persien. "Es ist etwas ganz Wunderbares! Und plötzlich, aus dem Nichts, aus einem bisschen kalten Wasser bricht ein Garten hervor. Und was für ein Garten! Bäume, Brunnen, Becken, Rosen und ein Haus darin. Häuser, wie in unseren Kindermärchen!"

Unglückliche Liebe

In Teheran verliebt sich Gertrude in den britischen Diplomaten Henry Cadogan, der diese Liebe erwidert. Doch ihnen ist kein Glück beschwert: Zunächst verweigern ihre Eltern ihre Zustimmung zu dieser Ehe, weil sie herausfinden, dass Cadogan ein Spieler ist. Gertrude muss daher nach sechs Monaten Persien ohne ihren Geliebten verlassen. Es kommt noch schlimmer: Ein Vierteljahr später bekommt Gertrude die Nachricht, dass Cadogan tot ist. 

Durch diesen Verlust zutiefst getroffen, stürzt sich Gertrude Bell nun wieder in ihre Passion für Abenteuer: Sie entdeckt das Bergsteigen für sich und bezwingt als erster Mensch alle Gipfel des Engelhörner Massivs in den Schweizer Alpen. In der Zeit bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs unternimmt sie zudem zwei Weltreisen.

Allein in der Wüste

Vor allem aber erkundet sie weiter ihren geliebten Orient: Sie lernt Arabisch, bringt sich selbst Archäologie bei und unternimmt mehrere ausgedehnte Reisen in den Nahen Osten, wo sie bis in Regionen vordringt, die vor ihr kaum ein Europäer und erst recht keine Frau erreicht hatte. Obwohl sie als Frau allein unter Beduinen, Drusen und anderen arabischen Stämmen unterwegs ist, erwirbt sich Gertrude Bell ihren Respekt. Sie wird eher als Mann behandelt und ehrerbietig als "Khatun" bezeichnet – "hohe Dame".

Bells Arbeiter während der Ausgabungen im türkischen Binbirkilise.

Historisch

Schon bald ist Gertrude Bell in der gesamten Region bekannt und genießt den Respekt und Schutz der Stammesfürsten. Dies nimmt die britische Regierung 1914 zum Anlass, Bell als Geheimagentin anzuwerben – wie ihren Zeitgenossen Thomas Edward Lawrence, bekannt als Lawrence von Arabien. Das Ziel der Briten: Sie wollen die arabischen Stämme in der Region Mesopotamien einen und gegen den gemeinsamen Feind stärken, die mit Deutschland verbündeten Osmanen. Als Anreiz soll Arabien eine weitgehende Unabhängigkeit von Großbritannien erhalten.

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