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"Kinder werden als Gourmets geboren"

Immer nur Pizza, Pommes und Hamburger? Die Geschmacksvorlieben von Kindern sorgen an etlichen Familientischen immer wieder für besorgte Blicke, Stress und manchmal Streit. Denn oft wollen die Kleinen partout nicht das essen, was für sie gesund wäre. Aber wie kann man gegensteuern? Und woran liegen die oft so einseitigen Vorlieben der Kinder? Das erklärt Andrea Maier-Nöth, Expertin für frühkindliche Geschmacksprägung, im Interview.
Hochschule Albstadt-Sigmaringen, 14.10.2020

Beim Zubereiten und Einkaufen helfen, hilft: Häufig sind Kinder dann offener und probieren auch Gerichte, die sie nicht kennen.

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Andrea Maier-Nöth ist Professorin an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen und Expertin für frühkindliche Geschmacksprägung. Im Interview erklärt sie, warum der typische deutsche Babybrei nicht unbedingt ideal ist und wieso Kinder als Gourmets und nicht als Suppenkasper geboren werden.

Frau Maier-Nöth, viele Kinder interessieren sich nur für die Nudeln und nicht für die bunte Gemüsesauce darüber. Woran liegt das?

Kinder, die schon sehr früh einen abwechslungsreichen Speiseplan haben, sind bessere und unkompliziertere Esser als Kinder, die immer das gleiche Gemüse bekommen. Doch gerade in Deutschland ist es weit verbreitet, dass Kleinkinder bei der Beikosteinführung oft tagelang dasselbe bekommen. Die Eltern wissen es oft einfach nicht besser und folgen der überholten Empfehlung, erst einmal ausgiebig zu testen, ob das Kind ein Lebensmittel auch wirklich verträgt.

Das ist also gar nicht nötig?

Wenn Eltern in Deutschland an den ersten Brei denken, denken sie oft vor allem an eines: Allergien. Verträgt mein Kind die Möhre vielleicht nicht? Sollte es nicht doch besser als erstes die allergenarme Pastinake sein? Zur Sicherheit gibt es dann oft eine Woche lang „Pastinake satt“, bis ein neues Gemüse in Babys Mund und Magen darf. Im Nachbarland Frankreich gehen die Mütter da weitaus beherzter vor. Fast jeden Tag gibt es ein neues Gemüse und noch dazu den lange Zeit als allergiefördernd verrufenen Fisch. In Simbabwe wiederum werden Babys mit einer Extraportion Erdnussbutter im ersten Brei groß.

Gerade beim ersten Kind ist aber die Verunsicherung oft besonders groß, da wollen viele Eltern lieber auf Nummer sicher gehen…

Das stimmt. Und je weiter der Blickwinkel, desto verwirrender die Vielfalt der BeikostTraditionen. Ich rate da dringend zu mehr Entspannung. Um Müttern und Vätern Orientierung zu bieten, ist es sinnvoll, wenn jedes Land eigene Empfehlungen entwickelt, wie Kinder im Einklang mit Ressourcen und Traditionen gesund heranwachsen können. Denn egal ob fermentierte Mais-Sorghumpaste wie in Nigeria, Hirsebrei mit Sauermilch wie im Senegal oder thailändischer Reisbrei mit Bananen: Babys können lernen, fast alles zu mögen, so lange ihre Eltern es ihnen vorleben.

Vorbild Frankreich? Dort bekommen schon sehr kleine Kinder auch mal eher bittere Speisen angeboten. Und sie probieren Oliven, Fisch und jeden erdenklichen Käse.

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Wie bewerten Sie denn den typisch deutschen Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei?

Er bekommt immer mehr Konkurrenz. Die lange Zeit propagierte Ansicht, nur ein Gemüse pro Woche zu füttern, gilt inzwischen als überholt. Monotone Ernährung bietet keinen Schutz vor Allergien, und die Babys essen dadurch auch nicht mehr. Im Gegenteil: Säuglinge, die eine abwechslungsreiche und vielfältige Beikost erhalten, sind auch im späteren Leben bessere und unkompliziertere Esser. Eltern sollten also auf möglichst viel Abwechslung schon zu Beginn der Beikost achten.

In Frankreich bekommen schon sehr kleine Kinder ganz andere Breie als bei uns, beispielsweise aus der eher bitteren Artischocke oder Aubergine und Zucchini. Sie probieren Oliven, Fisch und jeden erdenklichen Käse. Deutsche Eltern geben sehr viel Kürbis, Pastinake, Karotte oder Kartoffel – alles süßliche Lebensmittel, die die Kinder auf diese Geschmacksrichtung konditionieren. Das macht es später schwerer, sie auch für bittere oder saure Lebensmittel zu begeistern. Obendrein wird in Deutschland oft einfach alles vermengt – im Gläschen sind Fleisch, Gemüse und Kartoffeln, alles durcheinander. Wie soll ein Kind da lernen, wie Rindfleisch schmeckt oder Broccoli?

Aber was können Eltern tun, wenn ihr Kind bestimmte Lebensmittel kategorisch ablehnt?

Vor allem nicht zu früh aufgeben und dem Kind die Mäkeleien nicht vorwerfen. Es ist nämlich ein fundamentaler Überlebensinstinkt, der die Kleinen vor Neuem warnt. Eltern sollten ihr Kind dasselbe Gemüse immer wieder probieren lassen, am besten im Abstand von ein paar Tagen und mindestens achtmal. So kann es sich mit dem Geschmack vertraut machen und lernen, ihn zu mögen. Geduldige Wiederholung zahlt sich aus.

Häufig berichten Eltern, dass ihre Babys praktisch alles mochten und als Kleinkinder plötzlich nur noch trockene Nudeln oder Schnitzel mit Pommes fordern. Woran liegt das?

An der Trotzphase. Diese sollte man möglichst entspannt ertragen: Wenn die Kinder als Babys bereits mit einer großen Vielfalt an gesunden Lebensmitteln vertraut gemacht wurden, „erinnern“ sie sich nach Abklingen dieser Phase daran zurück und essen wieder abwechslungsreicher.

Wann wird unser Geschmack denn eigentlich geprägt?

Ein kleiner Teil von etwa 20 Prozent ist genetische Veranlagung, der Rest Prägung. Und die geht schon im Mutterleib los. Über die Plazenta kann der Fötus bereits einen ersten Eindruck davon bekommen, wie gesunde Vielfalt schmeckt – oder eben nicht. Weiter geht es mit der Muttermilch: Je abwechslungsreicher sich die Mutter ernährt, umso abwechslungsreicher schmeckt auch die Milch. Damit ist sie der Flaschenmilch überlegen, die geschmacklich natürlich nicht variiert. Aber auch da können Eltern etwas tun und mit der Beikost-Einführung verschiedene pürierte Gemüse beimischen.

Je älter das Kind ist, desto mehr Geduld müssen Eltern aufbringen, um Ernährungsgewohnheiten umzustellen.

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Also kann die Mutter durch ihre eigene Ernährung viel Einfluss nehmen?

Unbedingt. Und auch hier können wir viel von anderen Ländern und Kulturen lernen: Französinnen essen in Schwangerschaft und Stillzeit genau wie sonst – in Deutschland sind für viele werdende Mütter Lebensmittel wie Knoblauch, bestimmte Hülsenfrüchte, Kräuter oder scharfe Gewürze tabu, das ist aus meiner Sicht unnötig.

Kann man denn auch noch bei älteren Kindern „umsteuern“, oder ist es irgendwann zu spät?

Nein, zum Glück ist es nie zu spät. Aber je älter das Kind ist, desto mehr Geduld müssen Eltern wahrscheinlich aufbringen. Während Babys noch 10.000 Geschmacksknospen haben, verkümmern diese, wenn sie nicht stimuliert werden. Kinder werden als Gourmets geboren! Wichtig ist es, sie ins Einkaufen und Kochen einzubeziehen. Einfach mal gemeinsam eine Pizza backen und diese witzig und gesund belegen – aus dem Gemüse wird dann einfach mal ein Gesicht. Man kann auch anfangen, ein paar Vollkornnudeln unter die normalen zu mischen und Kinder so langsam an den Geschmack gewöhnen.

Und auch bei älteren Kindern gilt: Lebensmittel wie verschiedene Gemüse immer wieder anbieten, nicht zu schnell aufgeben, vielleicht mal zur Suppe pürieren. Das Allerwichtigste ist, keinen Druck auszuüben und eine entspannte Atmosphäre zu schaffen. Wenn das gemeinsame Essen am Tisch als schönes Erlebnis wahrgenommen wird, bei dem auch erzählt und gelacht wird, ist schon viel gewonnen. Und natürlich sind die Eltern wichtige Vorbilder. Wenn sie sich selbst gesund, ausgewogen und abwechslungsreich ernähren, färbt das ganz automatisch ab.

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