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„Make Europe Great Again“: Was Ungarns EU-Ratspräsidentschaft für uns bedeuten könnte

Heute übernimmt Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft und viele machen sich Sorgen über die Folgen. Denn das Land gilt als EU-skeptisch und zunehmend undemokratisch. Doch was genau ist an Ungarns Regierung so kritisch zu sehen? Was hat sie mit Donald Trump zu tun? Und welche Folgen könnte es überhaupt haben, wenn Ungarn nun ein halbes Jahr lang den Vorsitz im Rat der Europäischen Union innehat?
AMA, 01.07.2024
Ungarn übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft

© rarrarorro, iStock

Alle sechs Monate übernimmt ein anderes der 27 EU-Mitgliedsländer den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Ab heute ist zum ersten Mal seit 2011 wieder Ungarn an der Reihe. Doch die Übergabe des Postens wurde bereits im Vorfeld von viel Kritik und Sorgen begleitet. Schließlich gilt der ultranationalistische, populistische Staatschef Viktor Orbán als größter EU-Skeptiker in den Reihen der Mitgliedsländer. Doch was genau ist an Ungarn überhaupt so undemokratisch.

Ein EU-Mitglied als EU-Skeptiker

Seit fast 15 Jahren ist Ministerpräsident Viktor Orbán nun schon mit seiner rechtskonservativen Partei Fidesz in Ungarn an der Macht. In dieser Zeit hat er bereits einige zweifelhafte Gesetzesänderungen bewirkt, die unter anderem demokratische Institutionen geschwächt und die Gewaltenteilung im Land eingeschränkt haben. Damit versucht die Regierung zum Beispiel, Presse und Justiz unter die eigene Kontrolle zu bringen und ihre Unabhängigkeit somit auszuhöhlen. Auch der Spielraum der Opposition ist in den vergangenen Jahren immer weiter geschrumpft.

Auf EU-Ebene verstößt Ungarn somit gegen zahlreiche rechtsstaatliche Prinzipien, zu deren Erfüllung es sich als EU-Mitglied eigentlich verpflichtet hat. Und auch sonst tanzt das Land immer wieder aus der Reihe, wenn es um gesamteuropäische Probleme wie die Flüchtlingskrise oder die Haltung zu Russland geht. Weil Ungarn im Hinblick auf seine Asylpolitik gegen europäische Vorgaben verstoßen hat, wurde es sogar schon vom Europäischen Gerichtshof zu Bußgeldern im dreistelligen Millionenbereich verurteilt.

Orbans Auftritt beim Nuclear Energy Summit 2024 in Brüssel.
Orbans Auftritt beim Nuclear Energy Summit 2024 in Brüssel.

© Belgian Presidency of the Council of the EU 2024 from Belgium / CC BY 2.0

Was könnte uns jetzt bevorstehen?

Nun wird erwartet, dass Ungarn auch in seiner neuen Position als Vorsitzender des Rats der Europäischen Union vermehrt eigene Interessen durchsetzt statt auf Kompromisse und Harmonie einzugehen. Aufgrund dieser Befürchtungen hatte sich das Europäische Parlament bereits im Vorfeld gegen eine Ratsübernahme Ungarns ausgesprochen, war damit allerdings gescheitert. Zwar verleiht dieser temporäre Titel der ungarischen Regierung keine diktatorische Vollmacht, aber dennoch das Recht, alle Ministertreffen der EU-Mitgliedsstaaten zu leiten – etwa das aller Justiz- oder das aller Agrarminister. Dadurch hat Ungarn indirekt die Möglichkeit, die Gesetzgebung der Europäischen Union voranzutreiben – oder zu behindern.

Beobachter gehen zum Beispiel davon aus, dass Ungarn den neuen Posten nun dazu nutzen könnte, die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine auszubremsen oder die klimapolitischen Ziele der EU zu entschärfen. Dazu passt auch der Slogan, den sich Ungarn für den sechsmonatigen Vorsitz ausgesucht hat. Mit „Make Europe Great Again“ will das Land unübersehbar an Donald Trumps „Make America Great Again” anknüpfen und so die eigenen rechtskonservativen Einstellungen zum Ausdruck bringen.

Alles halb so schlimm?

Doch auch, wenn man die EU-Ratspräsidentschaft nicht unterschätzen sollte, so sollte man sie gleichzeitig auch nicht überbewerten, wie ein anonymer, westeuropäischer Diplomat der „Deutschen Welle“ im Interview mitgeteilt hat. „Orbán und seine Leute sind sich im Klaren darüber, dass andere EU-Staaten eingreifen und übernehmen würden, wenn er die Agenda der EU durcheinanderwirbelt“, sagte er darin. „Sie werden die Plattform höchstens dazu nutzen, um ein wenig zu provozieren. Wie mit ihrem Slogan. Es liegt an uns, diszipliniert genug zu sein und darauf nicht anzuspringen.“

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