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Worauf wir warten, wenn wir warten (Podcast 98)

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Fünf Jahre seines Lebens verbringt der Mensch mit Warten. Jeder kennt es, und keiner schätzt es: Das Warten. Eigentlich warten wir fast immer auf etwas. Wir warten auf das Frühstück, auf den Bus und auf die Mittagspause, wir erwarten den nächsten Gehaltsscheck, den Sommerurlaub oder den Nachwuchs. Auch die nächste Folge unserer Lieblingsserie oder das nächste Spiel des Fußballvereins können wir kaum erwarten. Was ist es also, was das Warten ausmacht? Und welche Möglichkeiten hat man, damit umzugehen? Hören Sie heute dazu den Beitrag "Worauf wir warten, wenn wir warten".

 

Warten auf das Warten

Niemand wartet gern. Wartezimmer, Warteschleife, Wartezone – schon bei Nennung der Begriffe verdreht man die Augen, wünscht sich woanders hin und verspürt wenig Neigung, sich auf die "Warterei“ einzulassen. Warten ist für die meisten tote Zeit, die überbrückt werden muss und als eine Spanne gilt, mit der sich nichts Vernünftiges anfangen lässt. Da kann man wahrlich warten, bis man schwarz wird, und auf Momente wie diese hat man bekanntlich gerade noch gewartet.

Geflügelte Worte wie diese sagen viel darüber aus, wie wir das Warten verstehen und wie wenig Neigung wir verspüren, und darauf einzulassen. Doch die Sprache enthüllt auch eine andere Seite. Schließlich gibt es auch den als "Warte“ bezeichneten Beobachtungsstand, der offenbar zu einer übergeordneten und damit umfassenderen Sicht verhilft, und mit "Warten wir’s ab“ fordert man das Gegenüber zu einer gelasseneren Haltung auf. Nicht selten heißt es dann später: Das Warten hat sich gelohnt. Offensichtlich ist es mit dem Warten also doch nicht so einfach. Dazu gehört auch, dass Warten etwas rein Subjektives ist. Wartet der Mann auf der Parkbank, oder liest er nur zum Vergnügen ein Buch? Niemand außer dem Betroffenen könnte diese Frage beantworten.

 

Worauf wir warten

Tatsächlich wartet man in der Regel nicht auf irgendetwas. Man wartet zumeist auf etwas Angenehmes, auf etwas, das dem Alltag einen Höhepunkt verleiht. Dazu gehören natürlich in erster Linie zwischenmenschliche Belange – man wartet auf ein gemeinsames Essen, auf Nachricht von den Kindern oder auf seine Partnerin. Warten und die Wahrnehmung der Wartezeit – beides ist relativ. Albert Einstein wird der Satz zugeschrieben, dass eine Minute mit einer schönen Frau als sehr kurz, eine Minute mit der Hand auf einer heißen Herdplatt hingegen als sehr lang empfunden wird, was viel mit dem Thema zu tun hat. Wir warten nämlich meistens nicht auf Mahnungen, Bußgeldscheide oder Aufforderungen zur Steuernachzahlung. Wenn die eintreffen, ist das ärgerlich genug; gelegentlich hat man aus Erfahrung mit ihnen gerechnet. Beim Warten hingegen haben wir für gewöhnlich positive Momente im Sinn – Dinge, die den Alltag im besten Fall zu etwas Besonderem machen und aus dem täglichen Einerlei herausstechen. Das Warten zeigt sich ja gerade darin, dass man auf den speziellen Moment hinlebt und die Gegenwart dagegen weniger interessant erscheint. Man sieht auf die Uhr, ist ungeduldig, ärgert sich vielleicht sogar, wenn der erwartete Zug, der einen seinem Reiseziel näher bringen soll, Verspätung hat.

Natürlich kann man nicht immer auf ein Konzert oder einen Ausstellungsbesuch warten. Der Alltag ist viel profaner – man wartet in der Post darauf, ein Paket abzuliefern, oder will endlich an der Supermarktskasse vorbei, um mit seinen bezahlten Einkäufen nach Hause gehen zu können. So gesehen ist der Alltag in vielen kleinen und größeren Augeblicken auf das Warten fixiert, und man könnte soweit gehen, festzustellen, dass wir fast immer auf etwas warten. Und so summiert sich die Wartezeit, die wir im Laufe unseres Lebens absolvieren, auf stolze fünf Jahre, wie das Kulturamt der Stadt Fürth mitgeteilt hat.

Am unangenehmsten aber sind Warteschleifen – telefonische Systeme, die den Anrufer – oft sogar kostenpflichtig –"parken“, bis an der anderen Seite jemand Zeit hat, um sich mit dem Anliegen zu beschäftigen. Sofern man denn überhaupt durchkommt.

Ob bei der Störungsstelle, der Bestellannahme eines Kaufhauses oder TV-Anbieters – wenn es ums Geschäft geht, kann Warten richtig Zeit kosten und verursacht oft Unmut. Sollte es nicht vielmehr eine Freude sein, die entsprechenden Nummern zu wählen und sein Anliegen oder den Bestellwunsch zu äußern? Immerhin gibt es bereits Versuche, das Warten angenehmer zu gestalten und eine freundlichere Atmosphäre zu entwickeln.

 

Wie man warten kann

Der irische Autor und Literaturnobelpreisträger Samuel Beckett hat sich in seiner Komödie Warten auf Godot aus dem Jahr 1952 ausführlich damit beschäftigt. Zwei Landstreicher befinden sich an einem kargen Ort und warten auf Godot – eine Figur, von der sie kaum etwas wissen, und die nie erscheint. Wer Godot ist, bleibt dabei ebenso offen wie die Frage, was die beiden eigentlich von ihm erwarten, und warum sie auf seine Ankunft hoffen. Das Stück lädt vorgeblich zu metaphysisch-religiösen Interpretationen ein, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten aber in seiner Unausdeutbarkeit behauptet, weswegen es sich als Chiffre auf das Warten selbst verstehen lässt – jenem Warten, dem wir alle tagtäglich unterliegen, meist mit einer kleineren oder größeren Hoffnung im Gepäck. Hier erscheint das Leben als einziger Warteprozess.

Ganz anders ist die Haltung im Buddhismus, der das Warten im spirituellen Sinn nicht kennt. Wer es sich zur Aufgabe gemacht hat, im Hier und Jetzt zu leben, gewichtet sein Dasein nicht nach besonderen Momenten, zwischen denen jeweils eine ereignisärmere Durststrecke zu überwinden ist. Der Zen-Buddhismus – eine Unterströmung, die etwa seit dem 5. Jahrhundert existiert – hat einen anderen Ansatz. Wer sich für Zen entscheidet, möchte den gegenwärtigen Moment wahrnehmen – bewusst, fortgesetzt und vollständig. Aus dieser Perspektive existiert kein Warten mehr. Praktisch zeigt sich dies in der Meditation, aber auch in der Konzentration auf alltägliche Tätigkeiten. Doch glücklicherweise man muss kein Zen-Buddhist werden, um zum Warten Alternativen zu entwickeln.  

 

Warten, ohne zu warten

Warten gilt einem gern als vergeudete Zeit – das gilt insbesondere dann, wenn man sich dazu in einem Wartezimmer oder in einer Wartezone aufhalten muss. Man greift zur Zeitschrift, hängt seinen Gedanken nach und sieht – je länger das Warten dauert – immer öfter auf die Uhr. Hier zeigt sich auch, warum es als unhöflich gilt, jemanden warten zu lassen. Derjenige, der warten lässt, erscheint sozial übergeordnet, kann mit seiner Zeit eigenständig haushalten, während sich der Wartende mit den Umständen arrangieren muss. Umso wichtiger wird es, zumindest den inneren Mechanismus auszubremsen und sich nicht als Wartender zu fühlen, auch wenn man es der Situation nach zweifelsohne ist.

Eine clevere Lösung entdeckte der bekannte US-amerikanische Comiczeichner Robert Crumb: Beim Warten in Restaurants begann er, auf die mancherorts noch üblichen Papieruntersetzer spontan Figuren zu zeichnen. Was als Zeitvertreib begann, entwickelte sich zu einer veritablen Einnahmequelle, denn die auf diese Weise entstandenen Zeichnungen konnte er nicht nur in der Buchreihe Waiting for Food sammeln, sondern auch in Galerien verkaufen. Als Alternative bietet es sich zunächst einmal an, Lektüre bereitzuhalten. Taschenbücher oder Reclamhefte nehmen nicht viel Platz weg und sorgen dafür, dass man Lesestoff seiner Wahl zur Hand hat. Discman, Handy oder MPEG3-Player eignen sich hingegen weniger gut, weil sie andere stören könnten – und ihr Einsatz nicht überall erlaubt ist. Ein mitgeführtes Notizbuch – das durchaus nicht elektronischer Art sein muss – erlaubt es, Gedanken zu notieren, die von der nötigen Einkaufsliste bis hin zum Tagebuch führen können. Wer eine Fremdsprache lernt oder seine Kenntnisse auffrischt, hat beim Warten die beste Gelegenheit, Vokabelkarten durchzugehen oder einen Blick ins Arbeitsbuch zu werfen. Warten kann also eine ausgesprochen produktive Zeit sein – und sich damit selbst aufheben, denn ein Warten, das nicht mehr als solchen empfunden wird, ist keins mehr.

Vielleicht aber gelingt es auch der Technik, das Warten wenn nicht abzuschaffen, so doch zu verkürzen. Eine Service-Applikation für das Mobiltelefon ist bereits in Vorbereitung – hier wird der Patient per SMS-Nachricht über Terminänderungen informiert und braucht dann nicht im Wartezimmer zu sitzen, sondern kann die Zeit anders nutzen.

Natürlich ist nichts so dringend, als dass es nicht durch Abwarten noch dringender werden könnte. Letztlich aber gilt beim Warten die Börsenweisheit  "Wer es aushalten kann, zu warten, der gewinnt immer!“ Denn: "Alles kommt zur rechten Zeit für den, der warten kann.“

 

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