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Sollten Elementarversicherungen zur Pflicht werden?
Wetterextreme wie die verheerende Flutkatastrophe im Ahrtal vor wenigen Jahren oder das aktuelle Hochwasser in Bayern und Baden-Württemberg sorgen für große Zerstörung, persönliches Leid und Schadenssummen in Millionenhöhe. Derzeit werden diese noch vorwiegend vom Staat und somit vom Steuerzahler finanziert, denn nur etwa die Hälfte aller Häuser sind hierzulande gegen Naturschäden versichert. Doch wenn es mit Voranschreiten des Klimawandels immer häufiger zu Extremwettereignissen kommt, braucht es bessere Lösungen. Könnten sogenannte Elementarschadenversicherungen die Antwort sein?
Was ist eine Elementarschadenversicherung?
Wenn wir auf dem Weg zum Supermarkt stolpern und uns dabei den Arm brechen, bezahlt unsere Krankenversicherung für die anschließende Behandlung im Krankenhaus. Doch was, wenn es ungewöhnlich stark regnet und im Keller unseres Hauses das Wasser hüfthoch steht? Wer haftet dann? In 50 Prozent der deutschen Gebäude hilft in einem solchen Fall die sogenannte Elementarschadenversicherung. Je nach Vertrag übernimmt diese entweder die komplette Schadenssumme oder Teile davon.
Elementarschadenversicherungen lassen sich als Extra zur Hausrat- beziehungsweise Gebäudeversicherung abschließen, die bereits Szenarien wie Diebstähle oder Wohnungsbrände abdecken. Die Elementarschadenversicherung erweitert diese Szenarien um Fälle, in denen die Natur unserem Hab und Gut zusetzt – zum Beispiel in Form von Starkregen, Hochwasser, Erdbeben oder Schneemassen, unter deren Druck das Hausdach einkracht.

Warum ist die Hälfte der Haushalte nicht versichert?
Klingt zwar nach einer sinnvollen Investition, wird in Deutschland bislang aber kaum genutzt. Nur etwa die Hälfte aller Haushalte sind derzeit gegen Naturschäden versichert. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen gibt es Haushalte, denen es fast unmöglich ist, eine Elementarschadenversicherung abzuschließen, weil sie zum Beispiel in Hochwasser-Risikogebieten liegen und somit ein zu großes Risiko für die Versicherungsgesellschaften bedeuten. Wenn Menschen in Risikogebieten dennoch eine Versicherung gegen Naturschäden abschließen können, dann müssen sie dafür in der Regel enorme Summen zahlen: bis zu 2.000 Euro pro Jahr.
In anderen Gegenden Deutschlands, in denen das Risiko für verschiedene Elementarschäden geringer ausfällt, kostet die Versicherung mit 100 bis 300 Euro jährlich zwar deutlich weniger, doch die Motivation, eine entsprechende Versicherung abzuschließen, fällt durch das mangelnde Risiko ebenfalls geringer aus. Sollte es in Nicht-Risikogebieten doch einmal zu Naturschäden kommen, nehmen die betroffenen Haushalte daher lieber in Kauf, selbst für die Schäden aufzukommen beziehungsweise auf staatliche Hilfe zurückzugreifen. Die zweite Option kommt vor allem bei großen Naturkatastrophen wie der Flut im Ahrtal in Frage, die Schäden in Milliardenhöhe verursacht hat.
Doch wenn es durch den Klimawandel immer häufiger zu gefährlichen Wetterextremen – auch fernab klassischer Risikogebiete – kommt, kann dieses System irgendwann nicht mehr funktionieren. Die Summen, die der Staat und somit der Steuerzahler zuschießen müssten, würden irgendwann in schwindelerregende Höhen steigen. Politiker und Verbraucherschützer fordern daher eine Reform des Versicherungssystems: Sie wollen die Elementarschadenversicherung zur Pflicht für alle Hausbesitzer machen und nicht mehr als rein freiwillige Option anbieten.

Was spricht für und gegen eine Versicherungspflicht?
Unter anderem hat sich bislang schon Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst für die Pflicht zur Elementarversicherung ausgesprochen: „Eine Pflichtversicherung für Elementarschäden würde nicht nur vielen Menschen Sicherheit geben und sie im Ernstfall vor dem wirtschaftlichen Ruin bewahren. Wir würden damit auch im Sinne des Steuerzahlers handeln, der nach den jetzigen Regelungen immer wieder für Milliarden-Schäden geradestehen muss“, so der CDU-Politiker. „Die aktuelle Lage in Süddeutschland mahnt: Ein nochmaliges Verschieben ist nach den Jahren des Nicht-Handelns nicht akzeptabel.“
Durch die Neuregelung könnten die Versicherer den Menschen in Risikogebieten keine Elementarschadenversicherungen mehr verweigern. Gleichzeitig müssten nun aber auch Hausbesitzer in kaum betroffenen Regionen Versicherungen abschließen, die sich im Einzelfall vielleicht kaum lohnen. Es entstünde eine erzwungene Solidargemeinschaft gegen Naturschäden, die jedoch den fälligen Versicherungssatz für alle ein wenig senken könnte. Nichtsdestotrotz würde das Wohnen in Deutschland dadurch zwangsläufig teurer – vor dem Hintergrund ohnehin gestiegener Lebenskosten nicht gerade attraktiv.
Immobilienbesitzer-Vertreter und einige Politiker stehen einer Pflichtversicherung daher kritisch gegenüber. Auch die Versicherer selbst sind gegen eine Neuregelung. Sie fordern stattdessen mehr Prävention – zum Beispiel, dass keine neuen Häuser mehr in Hochwasser-Risikogebieten gebaut werden oder dass die Flächenversiegelung, die Regenmassen vielerorts vom Versickern abhält, reduziert wird.

Wie geht es jetzt weiter?
Am 20. Juni 2024 wollen zunächst die Ministerpräsidenten mit Bundeskanzler Olaf Scholz über eine mögliche Pflichtversicherung beraten. Wie es danach weitergeht, ist noch unklar. Doch sollte es irgendwann tatsächlich zur Einführung einer Pflichtversicherung kommen, könnten wir uns dabei an unserem Nachbarland Frankreich orientieren. Dort sind 98 Prozent der Menschen über eine Elementarschadenversicherung vor Flut- und anderen Naturschäden geschützt – und das für gerade einmal 26 Euro beziehungsweise demnächst 42 Euro.
Von einer Pflichtversicherung im klassischen Sinne kann in Frankreich allerdings nicht die Rede sein. Vielmehr hat der Staat die Versicherer dazu verpflichtet, bei jeder abgeschlossenen Hausrat- und Gebäudeversicherung einen gewissen Prozentsatz der gezahlten Summe abzukoppeln und in einen separaten Geldtopf einzuspeisen. Ereignen sich schwere Naturkatastrophen, kommt dieser Topf für die entstandenen Schäden auf. Nur wenn die Schadenssumme einen bestimmten Betrag überschreitet, springt zusätzlich der Staat ein. Doch das ist seit der Einführung des Modells im Jahr 1982 nur ein einziges Mal passiert.
Ein Kompromiss könnte außerdem in der sogenannten „Opt-out Lösung“ liegen. Wenn man eine neue Hausrat- oder Gebäudeversicherung abschließt, ist das Elementar-Extra zunächst automatisch dabei und muss erst aktiv vom Kunden wieder abgewählt werden. Derzeit arbeitet unter anderem die Allianz mit Opt-out und konnte dadurch den Prozentsatz von Kunden mit Elementarversicherung bereits steigern.