wissen.de Artikel

Was kosten unsere Lebensmittel wirklich?

Viele Lebensmittel müssten eigentlich deutlich teurer sein. Denn ihre Herstellung verursacht Folgekosten, die sich nicht im Ladenpreis widerspiegeln - Kosten, die zum Beispiel durch Umweltbelastungen entstehen. Forscher haben diese versteckten Kosten nun erstmals für deutsche Landwirtschaftserzeugnisse ermittelt. Ihre Auswertung offenbart den "wahren Preis" von Fleisch, Milch und Co.
Universität Augsburg / DAL, 08.10.2018

In Deutschland macht die Ernährung rund ein Drittel des "ökologischen Fußabdrucks" aus. Die Lebensmittelproduktion kostet die meiste Fläche und Energie.

thinkstock.com, sergeyryzhov

Ob Flugreisen, Kleiderkauf oder Essen: Fast alles was wir tun, hinterlässt einen ökologischen Fußabdruck. Die Lebensmittelproduktion schlägt dabei besonders kräftig zu Buche. Immerhin rund ein Drittel aller Treibhausgasemissionen weltweit gehen auf die Herstellung von Nahrungsmitteln zurück. Hinzu kommt, dass dieser Industriezweig große Mengen weiterer, potenziell problematischer Substanzen wie Stickstoff in die Umwelt freisetzt und enorm viel Energie verbraucht.

Versteckte Kosten

Diese negativen Begleiterscheinungen ziehen letzten Endes Kosten für Mensch und Umwelt nach sich. Ein Beispiel: Wasserversorger müssen inzwischen teuer aufrüsten, um Nitrat aus unserem Trinkwasser zu filtern, das durch Gülle und Düngemittel dort hineingelangt. Das Problem: "Für viele negative Klima-, Umwelt- und Gesundheitsfolgen kommen aktuell weder die Landwirtschaft noch die Konsumenten auf", sagt Tobias Gaugler von der Universität Augsburg. Stattdessen muss die Gesamtgesellschaft die Zeche zahlen.

Was aber wäre, wenn sich diese versteckten Kosten auch im Ladenpreis widerspiegeln würden? Anders gesagt: Was ist der wahre Preis unserer Lebensmittel? Diese Frage haben Gaugler und seine Kollegen nun erstmals für deutsche Landwirtschaftserzeugnisse beantwortet. Dafür ermittelten sie die verborgenen Kosten, die durch drei maßgebliche Umweltbelastungen entstehen: Stickstoff, Treibhausgasemissionen und Energieverbrauch.

Preisaufschläge auf Erzeugerpreise bei Internalisierung externer Effekte

Universität Augsburg/MRM

Dreimal so teuer

Das Ergebnis: "Die höchsten externen Folgekosten und damit größten Fehlbepreisungen gehen mit der Produktion konventionell hergestellter Produkte tierischen Ursprungs einher", berichtet Gaugler. Diese müssten der Untersuchung zufolge auf Erzeugerebene dreimal so teuer sein wie derzeit bepreist - das entspricht einem Aufschlag von 196 Prozent auf den Erzeugerpreis.

Auf Platz zwei der Lebensmittel mit den höchsten versteckten Kosten rangieren konventionell hergestellte Milchprodukte. Sie müssten 96 Prozent teurer sein. Am besten schneiden dagegen Bio-Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs ab, wie die Forscher berichten. Bei ihnen liegt der Aufschlag für verborgene Kosten mit sechs Prozent am niedrigsten.

Bio schlägt konventionell

Wie kommen diese Unterschiede zustande? Bei tierischen Produkten ist die Höhe der externen Kosten und Preisaufschläge den Wissenschaftlern zufolge insbesondere durch die energieintensive Aufzucht der Nutztiere zu erklären. Dazu zählen der Futtermittelanbau, die Beheizung und Belüftung der Ställe sowie der Stoffwechsel der Tiere.

Diese Faktoren führen unter anderem zu einer bedeutend höheren Austragung von reaktivem Stickstoff und Treibhausgasen sowie zu einem höheren Energiebedarf als bei pflanzlichen Produkten. Demnach ist der größte Anteil der Preisaufschläge jeweils auf den Treiber Stickstoff zurückzuführen, gefolgt von Treibhausgasen und Energie. Die ökologische Lebensmittelproduktion schneidet vor allem deshalb grundsätzlich besser ab, weil sie im Pflanzenanbau auf mineralischen Stickstoffdünger verzichtet und bei der Nutztierhaltung weniger industriell produziertes Kraftfutter einsetzt.

Versteckte Kosten am Beispiel der Milcherzeugung

Normal 0 21 false false false DE X-NONE X-NONE /* Style Definitions */ table.MsoNormalTable {mso-style-name:"Normale Tabelle"; mso-tstyle-rowband-size:0; mso-tstyle-colband-size:0; mso-style-noshow:yes; mso-style-priority:99; mso-style-parent:""; mso-padding-alt:0cm 5.4pt 0cm 5.4pt; mso-para-margin-top:0cm; mso-para-margin-right:0cm; mso-para-margin-bottom:8.0pt; mso-para-margin-left:0cm; line-height:107%; mso-pagination:widow-orphan; font-size:11.0pt; font-family:"Calibri",sans-serif; mso-ascii-font-family:Calibri; mso-ascii-theme-font:minor-latin; mso-hansi-font-family:Calibri; mso-hansi-theme-font:minor-latin; mso-bidi-font-family:"Times New Roman"; mso-bidi-theme-font:minor-bidi; mso-fareast-language:EN-US;} Universität Augsburg/MRM

Nur eine Annäherung

Dank der nun veröffentlichten Zahlen lässt sich der "wahre Preis" der Lebensmittel in Deutschland erstmals annähernd abschätzen. Gaugler und sein Team betonen aber, dass die tatsächliche Preisdifferenz wahrscheinlich noch erheblich größer ist. Der Grund: Die Datenlage zu weiteren Folgekosten - beispielsweise den gesellschaftlich-sozialen Auswirkungen von Antibiotikaresistenzen oder den ökologischen Auswirkungen durch den Einsatz von Pestiziden - ist so unzureichend, dass die Forscher darüber keine Aussagen treffen konnten.

Klar ist aber: "Die Preise sagen uns nicht die Wahrheit", kommentiert Niels Kohlschütter von der Schweisfurth Stiftung, die die Studie gemeinsam mit der unter anderem im Bereich von Umweltaktivitäten und ökologischen Projekten aktiven Tollwood GmbH in Auftrag gegeben hat. Nach Ansicht der Forscher stellt diese Preisverzerrung eine Form von Marktversagen dar, der es mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu begegnen gilt.

Auswirkungen der externen Kosten auf die Verbraucherpreise

Universität Augsburg/MRM

"Verzerrung abstellen"

Das sieht auch Stephanie Weigel von Tollwood so: "Die Politik muss diese extreme Verzerrung abstellen, die vor allem die Bio-Lebensmittel am Markt benachteiligt. Es kann nicht angehen, dass die Kosten für ökologische Schäden bei der Lebensmittelproduktion nicht eingepreist sind und stattdessen von der Allgemeinheit bezahlt werden müssen. Wenn die Lebensmittel im Supermarkt mit dem wahren Preis ausgezeichnet wären, würden mehr Menschen zu Bio-Produkten greifen, die dann kaum mehr teurer wären als konventionell erzeugte."

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch