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Was steckt hinter dem biogenetischen Grundgesetz?

Deutscher Mediziner, Forscher und Zoologe – Ernst Haeckel zählte zu den bekanntesten Wissenschaftlern seiner Zeit und war einer der ersten Verbreiter der Evolutionstheorie von Charles Darwin. Er verbreitete sie aber nicht nur, sondern wollte sie mit seinem „biogenetischen Grundgesetz“ auch begründen und zeigen, dass alle Wirbeltiere – und auch der Mensch – den gleichen Ursprung haben. Aber was besagt das Gesetz genau? Und hatte Haeckel damit Recht?
ABO, 11.02.2021

Ernst Haeckel war einer der berühmtesten Wissenschaftler seiner Zeit und hat wie kein anderer Darwins Evolutionslehre in Deutschland verbreitet und weiter entwickelt

Nicola Perscheid / Gemeinfrei

Charles Darwin postulierte in seiner Evolutionstheorie, dass alle Tiere miteinander verwandt sind und einen entfernten gemeinsamen Vorfahren haben: Jede Art habe sich im Laufe der Zeit aus einer anderen Spezies entwickelt, indem immer die Individuen überlebt haben, die am besten an die Umwelt angepasst waren – also sich zum Beispiel am besten vor Räubern tarnten. Über Generation hinweg führte diese Auslese schließlich zur Veränderung einer Spezies und dann zur Bildung einer neuen Art.

Der Mensch, ein Tier

Während Mitte des 19. Jahrhunderts noch kaum ein Mensch Darwins Theorie glaubte, verbreitete schließlich der deutsche Naturwissenschaftler Ernst Haeckel als Vorreiter seiner Zeit die Ideen Darwins. Haeckel ging dabei sogar noch weiter und versuchte auch die Abstammung des Menschen mit der Evolutionstheorie zu erklären.

Er wagte es damit als einer der ersten, den Menschen mit den Tieren in einen Stammbaum zu schreiben und den Affen als unseren Vorfahren zu benennen. Zwar traf er mit dem Gedanken auf viel Kritik und Spott, fand aber dennoch auch eine Begründung dafür. Auf ihrer Basis formulierte er im Jahr 1866 sein sogenanntes „biogenetisches Grundgesetz“, die Rekapitulationstheorie.

Evolution im Schnelldurchlauf

Haeckels biogenetisches Grundgesetz besagt, dass bei Wirbeltieren jeder Embryo oder jede Larve in den ersten Wochen der körperlichen Entwicklung die gesamte stammesgeschichtliche Entwicklung der eigenen Tiergruppe im Schnelldurchgang durchlebt. Er sah das Heranwachsen jedes Embryos als kurzes Abbild der Evolution der jeweiligen Tierart.

Haeckel kam auf diese Theorie, weil er beobachtete, dass die Embryos zweier unterschiedlicher Arten – wie etwa von Fischen und Säugetieren – sich in ihren ersten Stadien der Entwicklung stärker ähneln als erwachsene Exemplare derselben Arten. Zum Beispiel sind ein Jungfisch und ein menschlicher Embryo im ersten Stadium nach der Befruchtung noch kaum zu unterscheiden.

Bei uns bilden sich im Alter von wenigen Wochen nach der Befruchtung beispielsweise in der Halsregion Strukturen aus, die Kiemenspalten ähneln. Die Struktur wächst sich bei uns zwar im Laufe der weiteren Entwicklung heraus, könnte aber nach Haeckel ein Hinweis auf unsere ferne Verwandtschaft zu Fischen sein und den gemeinsamen Ursprung beider Tiergruppen.

Dabei betonte der Forscher zudem, dass sich die Embryonen umso ähnlicher sehen, je verwandter die Tiergruppen sind. Das bedeutet, dass beispielsweise Embryos von Reptilien den Fischen noch ähnlicher sehen als die menschlichen. Der menschliche Embryo ähnelt aber zum Beispiel anderen Säugetieren stärker: In unseren ersten Stadien besitzen wir etwa einen kleinen Schwanzwirbel, der etwa so groß ist wie bei einem Schweineembryo im gleichen Stadium und erst später verschwindet.

Abbildungen aus Haeckels 1874 veröffentlichtem Werk "Anthropogenie; oder, Entwickelungsgeschichte des Menschen", in denen embryonale Entwicklungsphasen verschiedener Arten gezeigt werden.

Hatte Haeckel Recht?

Seit Haeckel sein Gesetz aufstellte, wurde es stark diskutiert. Denn einerseits stimmt es zwar, dass sich die Embryonen aller Wirbeltiere im ersten Stadium einander ähnlich sehen und auch Merkmale entwickeln, die sie bei der Geburt nicht mehr haben. Aber dennoch wiederholen Embryos und Larven in ihrem Wachstum weder die vollständige stammesgeschichtliche Evolution, noch in der ursprünglichen Reihenfolge.

Zum Beispiel bilden Vögel in ihrer Entwicklung keine Vorstufen von Zähnen aus, obwohl sie von zahntragenden Vorfahren abstammen. Ein weiteres Beispiel ist auch, dass die menschliche Hand zwar in der sechsten Woche der Entwicklung zunächst wie eine Flosse mit Schwimmhäuten aussieht. Dieses Wachstum ist aber einfach die Voraussetzung dafür, dass sich die einzelnen Finger ausbilden können. Deshalb ist dies kein Beleg für unsere Abstammung von den Fischen.

Auch die Funde einer seit rund 350 Millionen Jahren ausgestorbenen Fischart widersprechen Haeckels Theorie. Die Forscher fanden Fossilien von Embryos sowie von Jungtieren und bis hin zum fast erwachsenen Tier dieser Spezies. Beim Vergleich der Embryonalentwicklung dieser uralten Fische und heutiger Arten fiel auf, dass die Entwicklungen ähnlich waren - obwohl die Urfische laut Haeckel eine viel kürzere Stammesgeschichte während ihres Wachstums wiederholen müssten.

Aufgrund dieser und vieler weiterer Ausnahmen weiß man heute, dass Haeckels Theorie stark vereinfacht ist und nur begrenzt gilt. Deshalb spricht man nicht mehr vom biogenetischen Grundgesetz, sondern nur noch von der „biogenetischen Grundregel“ oder der Rekapitulationshypothese.

Heute folgt die Biologie eher der 1828 formulierten Theorie Karl Ernst von Baers, einem der Vorläufer Haeckels. Demnach folgt die Embryonalentwicklung bei Tier und Mensch nicht der Stammesgeschichte der Art, sondern schreitet von allgemeineren zu immer spezifischeren Merkmalsausprägungen fort.

Hox-Gene entdeckt

In den 1970er Jahren erregte Haeckels Theorie aber noch einmal besondere Aufmerksamkeit. Denn Forscher entdecken die sogenannten „Hox-Gene“. Bei diesen Genen handelt es sich um sehr alte und komplexe Gene, die allgemeine Körperstrukturen festlegen. Bei Fliegen bestimmen sie beispielsweise, ob sich Antennen, Beine oder Flügel ausbilden.

Das Erstaunliche: Diese Gene kommen in gleicher Form bei Tieren unterschiedlichster Gattungen vor – bei Fliegen wie bei Fischen und sogar beim Menschen – und greifen relativ früh in die Embryonalentwicklung ein.

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