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Alles über Intersexualität

Seit 1996 findet jedes Jahr am 26. Oktober der Intersex Awareness Day statt. Der Tag soll intersexuelle Menschen sichtbarer machen und ihre Rechte stärken. Doch was genau versteht man unter Intersexualität? Und vor welchen Herausforderungen stehen intersexuelle Menschen auch heute noch?
AMA, 25.10.2022
Symbolbild Intersexualität

Fosin2, GettyImages

Biologisch betrachtet gibt es zwei Geschlechter. Das weibliche hat die Geschlechtschromosomen-Kombination XX und eine hohe Konzentration des Sexualhormons Östrogen. Beim männlichen ersetzt ein Y das zweite X und es befindet sich vermehrt Testosteron im Blut. Die Hormone sorgen jeweils dafür, dass sich geschlechtstypische Merkmale wie Gebärmutter oder Hoden entwickeln. Doch eine Welt, in der viele nur zwischen Mann und Frau unterscheiden, stellt diejenigen vor Herausforderungen, die gewissermaßen zwischen den Stühlen stehen. Intersexuelle Menschen haben nämlich sowohl männliche als auch weibliche Merkmale und fallen damit aus dem klassischen binären Schema.

Was ist Intersexualität?

Intersexuelle Menschen haben von Geburt an sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsmerkmale. Sie stellen dadurch eine Mischung beider Kategorien dar, die sich – rein biologisch – weder eindeutig dem einen noch dem anderen Geschlecht zuordnen lässt. Experten schätzen, dass 0,018 bis 1,7 Prozent der Bevölkerung mit intergeschlechtlichen Merkmalen geboren werden. Intersexualität ist dabei ein Sammelbegriff für ein großes Spektrum verschiedener Merkmale, die unter anderem Chromosomen, Hormone und Genitalien betreffen. 

Intersexualität lässt sich nicht immer von außen erkennen und kann deshalb manchmal nicht direkt nach der Geburt festgestellt werden. Es kann ebenso vorkommen, dass Betroffene ihre Intergeschlechtlichkeit erst im Laufe der Pubertät bemerken, wenn sich ihr Körper nicht dem Geschlecht entsprechend verändert, das auf der Geburtsurkunde eingetragen ist.

Welche Formen von Intersexualität gibt es?

Intersexualität zeigt sich auf viele verschiedene Weisen. So kommt es zum Beispiel vor, dass Babys mit männlichen Chromosomen ohne Penis auf die Welt kommen. Oder Säuglinge – egal ob chromosomal männlich oder weiblich – von Geburt an sowohl einen Eierstock als auch einen Hoden besitzen.

Auch der Chromosomensatz an sich kann verändert sein und zu Variationen wie X (Turner-Syndrom) oder XXY (Klinefelter-Syndrom) führen, was sich auch im äußerlichen Erscheinungsbild zeigt. Das Turner-Syndrom betrifft Frauen und führt zu Kleinwüchsigkeit. Ausbleibende Pubertät und Unfruchtbarkeit sind weitere mögliche Symptome. Menschen mit Klinefelter-Syndrom erscheinen äußerlich zwar meist männlich, haben aber breitere Hüften und niedrige Testosteronwerte aufgrund verkleinerter Hoden.

Manche Formen der Intergeschlechtlichkeit liegen auch darin begründet, dass der Körper Sexualhormone nicht in der richtigen Menge bildet oder nicht richtig mit ihnen umgehen kann. Die Sexualhormone führen normalerweise dazu, dass sich typisch weibliche oder männliche Merkmale bilden, wie Eierstöcke oder Hoden.

Ein Beispiel für hormonell bedingte Intersexualität ist das Androgeninsensitivitätssyndrom (AIS). Dabei reagiert der Körper kaum oder sogar gar nicht auf das männliche Sexualhormon Testosteron. Kinder mit männlichen Chromosomen können dadurch keine männlichen Genitalien bilden, sondern entwickeln stattdessen weibliche. Denn diese bilden sozusagen den Default- oder Grundzustand, männliche Genitalien entstehen hingegen nur unter Einfluss des männlichen Geschlechtshormons Teststeron. Die genannten Beispiele spiegeln allerdings nur einen Bruchteil der möglichen Formen einer Intersexualität wieder.

Opfer unnötiger Operationen

Intersexualität ist dadurch zwar sehr vielfältig, doch es gilt in der ganzen Bandbreite bis heute offiziell als krankhafte „Störung“. Das ist irreführend, da intergeschlechtliche Menschen nicht krank sind. Nur in sehr wenigen Fällen besteht die Notwendigkeit, intersexuelle Merkmale zu behandeln, zu entfernen oder anzugleichen. „Intergeschlechtliche Menschen sind in erster Linie Menschen. Sie werden von der Medizin jedoch zu ‚Syndromen‘ erklärt. Wir sehen intergeschlechtliche Menschen in erster Linie als natürliche Varianten menschlichen Lebens an“, appelliert der Bundesverband intergeschlechtlicher Menschen.

Fast alle Mitglieder des Verbandes seien nach eigenen Angaben „medikamentös oder operativ und ohne umfassende Aufklärung von Ärzten behandelt“ worden und würden bis heute gesundheitliche Folgen davontragen. Solche Behandlungen werden laut einer Umfrage des Deutschem Ethikrate (PDF-Doc) aus dem Jahr 2012 bei einem Großteil der Betroffenen bereits im Vorschulalter vorgenommen. In derselben Umfrage sprachen sich neun von zehn Intersexuellen dafür aus, Eingriffe an den Genitalien nur von den Betroffenen selbst und erst in einem angemessenen Alter genehmigen zu lassen.

Selbstfindung als Prozess

Intergeschlechtlichkeit findet natürlich nicht nur auf der biologischen, sondern auch auf der Ebene der Identität statt. Diese Selbstfindung sei für viele intersexuelle Menschen ein langer Prozess, so der Bundesverband intergeschlechtlicher Menschen. In dem häufig immer noch binär geprägten Geschlechterverständnis sei es für sie nicht immer leicht, einen Platz zu finden.

Manche Intersexuelle verstehen sich ungeachtet hormoneller und äußerer Merkmale als eindeutig weiblich oder männlich. Andere bleiben bei dem Konzept des Intersexualität und sehen sich als Mischung beider Pole.

Männlich/weiblich/divers

Seit 2018 ist es auch ganz offiziell möglich, bei der eigenen Geschlechtsidentität nicht mehr nur zwischen männlich und weiblich wählen zu müssen. Im Geburtenregister gibt es seitdem zusätzlich die Option „divers“ für intersexuelle Menschen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die vorige Regelung als Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht gewertet hatte, erweiterte der Bundestag die wählbaren Optionen.

Betroffene können ihr behördlich erfasstes Geschlecht auch noch nachträglich ändern lassen, wenn sie das Gefühl haben, bei der Geburt einem falschen zugeordnet worden zu sein. Natürlich muss noch viel geschehen auf dem Weg hin zu einer Welt, in der ein drittes Geschlecht zur gesellschaftlichen Normalität wird, aber Schritte wie der Beschluss des Bundestages ebnen den Weg in diese Richtung.

Der Bundesverband intergeschlechtlicher Menschen unterstützt Betroffene auf ihrem Lebensweg und bietet dafür Informationsangebote, Selbsthilfegruppen und (Online-)Beratung an.

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