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Angriff der Exoten: Invasive Arten auf dem Vormarsch

Waschbär, Ochsenfrosch, Tigermücke: Keines dieser Tiere war ursprünglich in Deutschland heimisch und doch sind sie nun hier und fühlen sich sogar überaus wohl. Sie sind sogenannte invasive Arten, eingeschleppt aus anderen Regionen der Welt. Für unsere heimischen Ökosysteme stellen sie mitunter eine große Gefahr dar. Doch welche Lebewesen werden unserer heimischen Natur besonders gefährlich? Und lässt sich überhaupt etwas dagegen machen?
AMA, 09.03.2023
Symbolbild invasive Arten

© Sonsedska (Waschbär) und Viktoriia-Ablohina (Hintergrund), GettyImages

Immer mehr Tiere und Pflanzen werden durch den Menschen aus fremden Gebieten eingeschleppt – manchmal bewusst, manchmal unabsichtlich. Allein in Deutschland sind etwa 1.150 nicht-heimische Tier- und 12.000 Pflanzenarten registriert. Man nennt sie Neobiota. Schätzungen zufolge haben sich hierzulande mittlerweile 600 der eingeschleppten Pflanzen und 260 Tiere fest etabliert. Bei vielen von ihnen ist uns heute gar nicht mehr bewusst, dass sie ursprünglich von woanders kamen, beispielsweise bei Mais, Tomaten oder Kartoffel. Doch es gibt auch eingeschleppte oder eingewanderte Arten, die heimischen Ökosystemen, Tieren und Pflanzen schaden. Sie werden als invasiv bezeichnet.

Nordamerikanischer Ochsenfrosch (Lithobates catesbeianus)
Amphibischer Gierschlund: Ausgewachsene Ochsenfrösche fressen alles, was sie überwältigen können.

© ygluzberg, GettyImages

Woher kommen die eingeschleppten Arten?

Schon vor tausenden Jahren gab es einen großen Ringtausch der Tiere und Pflanzen. Nutztiere kamen von Asien nach Europa, die Römer brachten uns Kulturpflanzen wie den Apfel und die Birne, Getreidearten wie Weizen und Gerste sowie Heilpflanzen und Blumen. Die Wikinger beförderten am Rumpf ihrer Schiffe unwissentlich Sandklaffmuscheln an die Küsten Nordeuropas. Mit der Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 und dem Beginn der Kolonialzeit haben Handelsrouten und mit ihnen das Einschleppen fremder Arten globale Maßstäbe angenommen.

Von Europa und Asien aus wurden Kulturtiere wie Ziegen, Schafe und Rinder in alle Welt verfrachtet, um dort als Nahrungsquelle zu dienen. Ebenso erging es Fasan, Regenbogenforelle und Königskrabbe.  Bisam, Nutria, Nerz, Marderhund und Waschbär landeten in europäischen Pelzfarmen. Als der Pelz-Hype abgeklungen war, entließen die Besitzer sie häufig einfach in die Natur. Wieder andere Arten sollten als natürliche Waffe in der Landwirtschaft dienen und wurden deshalb gezielt ausgesetzt. Dazu zählt etwa der asiatische Marienkäfer, der Blattläuse fressen sollte.

Dann gibt es noch Lebewesen, die allein aufgrund ihres schönen Aussehens hier gelandet sind. Dazu gehören ausländische Zier- und Teichpflanzen wie das indische Springkraut oder der Riesen-Bärenklau ebenso wie exotische Haustiere. Viele überforderte Halter haben die ungewöhnlichen Lieblinge – darunter Schildkröten und sogar Kaimane – allerdings im nächstbesten Wald oder Teich wieder ausgesetzt. Auch über den Flug- und Schiffverkehr gelangen viele Arten unabsichtlich in neue Gebiete und machen es sich dort gemütlich.

Was macht sie so gefährlich?

Von eingeschleppten Aren gehen verschiedene Gefahren aus. Sie schädigen heimische Ökosysteme, verdrängen einheimische Arten und schleppen Krankheiten ein, die Mensch und Tier gleichermaßen bedrohen. Dass invasive Arten negative Folgen für die Lebensräume haben, in denen sie sich neu etablieren, ist bereits seit Jahrhunderten der Fall. So haben etwa Ratten und Katzen, die mit europäischen Schiffen auf tropische Inseln gelangten, in kürzester Zeit die dortigen bodenbrütenden Vögel ausgelöscht. Ziegen und Schafe haben ganze Inseln kahlgefressen, Europäische Kaninchen sind in Australien mittlerweile eine Plage.

Hierzulande verdrängt der asiatische Marienkäfer aktuell die einheimischen Varianten dieser Käfer, der Kamberkrebs verdrängt den europäischen Flusskrebs, das Grauhörnchen das europäische Eichhörnchen. Außerdem siedelt sich gerade die Nordamerikanische Rippenqualle in Nord- und Ostsee an und wird dort wahrscheinlich Sardelle und Sprotte an den Rand des Aussterbens drängen. Auch für uns Menschen können invasive Arten zum Problem werden. So kann etwa die eingeschleppte Tigermücke das gefährliche Zika- und Dengue-Virus übertragen. Im 14. Jahrhundert hatte die aus Asien eingeschleppte Wanderratte mit ihren Flöhen bereits die Pest mit nach Europa gebracht und hier für Millionen Tote gesorgt.

Chinesische Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis)
Kaum eine andere invasive Tierart macht Anglern und Fischern so zu schaffen wie die Chinesische Wollhandkrabbe

© MikeLane45, GettyImages

Beispiele für invasive Arten in Deutschland

Ein eingeschlepptes Tier, das sich hier besonders wohlfühlt, ist der Amerikanische Nerz. Er kam in den 1920er und 30er Jahren als Pelztier nach Deutschland und gelangte durch gewolltes Freilassen und Ausbrechen in die Natur. Seit den 1950er Jahren hat er sich hierzulande zunehmend etabliert. Das Problem: Der Amerikanische Nerz ernährt sich von Kleinsäugern, Bodenbrütern und Amphibien und gefährdet damit ihre Populationen. Außerdem steht er im Verdacht, den ohnehin vom Aussterben bedrohten Europäischen Nerz und den Europäischen Iltis zu verdrängen.

Im Wasser setzt die Chinesische Wollhandkrabbe heimischen Ökosystemen zu. Sie gelangte einst mit Schiffen von Ostasien nach Europa und kommt heute in allen Flüssen vor, die in Nord- und Ostsee münden. Sie ist sehr unempfindlich, was Salzgehalt und Wassertemperatur angeht, und kann sich deshalb besonders leicht ausbreiten. Sie steht mit heimischen Wassertieren in Konkurrenz und gilt außerdem als bedeutender Schädling in der Fischerei. Außerdem zerstört sie regelmäßig Dämme und andere Uferbefestigungen, indem sie Gänge gräbt.

Auch unter den Pflanzen gibt es in Deutschland einige invasive Arten. Ein Beispiel dafür ist das Indische Springkraut. Es wurde bereits 1839 als Zierpflanze nach England gebracht und gelangte schließlich auch aufs europäische Festland. Das Springkraut verbreitet sich seither massiv und verdrängt dabei heimische Arten. Außerdem schädigt es den Wasserhaushalt an den Orten, an denen es wächst.

Kalifornische Kettennatter (Lampropeltis californiae) im Gras
Alljährlich werden Reptilien im sechsstelligen Bereich allein nach Deutschland importiert. Da wundert es auch nicht mehr, wenn zum Beispiel Kalifornische Kettennattern dank unachtsamer oder ignoranter Halter in der Natur landen.

© Mark Kostich, GettyImages

Was können wir gegen das Problem tun?

Wenn manche eingeschleppte Arten solche Schäden über Fauna und Flora bringen, wieso wird dann nicht vehementer gegen sie vorgegangen? „Letztlich ist die Invasion von Arten unvermeidlich, wenn sie einen geeigneten Lebensraum vorfinden. Wenn es mal so weit gekommen ist, kann man eigentlich nichts mehr dagegen tun – auch nicht mit Ausrottungsaktionen. Zu spät erkannt, kann die Invasion nur eingeschränkt und in einigen Fällen verzögert werden“, erklärt Janosch Arnold vom World Wildlife Fund (WWF). Die effektivste Waffe gegen invasive Arten ist es daher, ihre Einschleppung von vorneherein zu verhindern. Da viele Arten allerdings unbemerkt nach Deutschland gelangen, ist das nur schwer möglich.   

Hat eine Art hierzulande erst einmal Fuß gefasst, ist es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, sie wieder loszuwerden. Um sich der Bedrohung durch invasive Arten zu stellen, hat die Europäische Union im Jahr 2016 die sogenannte Unionsliste invasiver Arten veröffentlicht. Die Arten darauf dürfen weder gehandelt noch gehalten noch gezüchtet werden. Aktuell stehen 88 Tier- und Pflanzenarten auf dieser Liste, darunter das Finlayson-Hörnchen und die Kalifornische Kettennatter. Das Problem: Auf der Liste sind nur Arten, die bereits nachweislich Schäden verursacht haben. Die Maßnahme greift also zu spät ein, kritisieren Umweltschutzorganisationen.

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