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Anthropozän - ein Zeitalter des Menschen?

Der Mensch hat die Erde so stark verändert wie wohl kaum ein Wesen vor ihm. Doch sind wir durch unser Wirken sogar zu einer gestaltenden geologischen Kraft geworden? Viele Forscher sind inzwischen überzeugt davon, dass wir in einem neuen, menschengemachten Zeitalter leben – dem sogenannten Anthropozän. Was aber steckt hinter diesem Begriff?
DAL, 30.01.2020

Der Mensch prägt die Erde nachhaltig.

iStock.com, acquesvandinteren

Längst haben wir Menschen unseren Planeten nachhaltig und messbar geprägt: Wir verändern chemische und biologische Kreisläufe, beeinflussen das Klima, bauen ganze Landschaften und Ökosysteme um. Fachleute sprechen daher inzwischen von einem menschengemachten Zeitalter. Im Anthropozän gestaltet nicht mehr vorwiegend die Natur die Erde, sondern der Homo sapiens. Demnach ist unsere Spezies zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren der Prozesse im Erdsystem geworden – und hinterlässt ihren Fußabdruck sogar in den geologischen Schichten.

Das Ende des Holozäns

Bislang befanden wir uns aus Sicht der Geologen im sogenannten Holozän. Der Beginn dieser Epoche wurde mit dem Ende der letzten Eiszeit vor rund 11.700 Jahren eingeläutet und bedeutete unter anderem den Anfang vom Ende der Mammuts. Der Übergang in diese Ära war durch eine deutliche Erwärmung gekennzeichnet, auf die ungewöhnlich stabile klimatische Verhältnisse folgten. Im Holozän waren Temperatur, Meeresspiegel und CO2-Konzentrationen fast zwölf Jahrtausende lang weitestgehend konstant.

Doch viele Forscher glauben, dass diese Ära nun zu Ende gegangen und von einer neuen Epoche - dem Anthropozän – abgelöst worden ist. Als Indiz dafür gilt unter anderem die Treibhausgaskonzentration: So viel CO2 wie heute befand sich das letzte Mal vor drei Millionen Jahren in der Atmosphäre. Dabei ist das Verbrennen fossiler Treibstoffe durch den Menschen der entscheidende Treiber hinter diesem Emissionsanstieg. Unsere Spezies hat die Zusammensetzung der Luft und der Weltmeere messbar verändert.

Der Bergbau, insbesondere der Tagebau, stellt einen massiven Eingriff in den obersten Teil der Lithosphäre dar.

pixabay.com, Michael Gaida

Eindeutige Spuren

Auch in der Tier- und Pflanzenwelt hat unser Tun Spuren hinterlassen. So sprechen einige Forscher inzwischen von einem sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte. Solche verheerenden Aussterbeereignisse gingen in der Vergangenheit häufig mit dem Übergang in eine neue geologische Zeit einher, weil sich viele Arten nicht an die neuen Umweltbedingungen anpassen konnten.

Angesichts dieser und weiterer globaler Entwicklungen hat sich eine internationale Arbeitsgruppe zum Thema Anthropozän inzwischen dafür ausgesprochen, nach einem sogenannten "Golden Spike" zu suchen – einer charakteristischen Veränderung in den Sedimenten, die den Beginn des Anthropozäns offiziell definiert. Das kann das Auftreten bestimmter Fossilien sein oder eine Veränderung in der Isotopenzusammensetzung des Gesteins.

Referenz in den Sedimenten gesucht

Ist ein solches stratigraphisches Signal gefunden, wird in der Regel ein möglichst repräsentatives Sedimentgestein ausgewählt, in dessen Schichtfolge sich der Übergang von der alten zur neuen Epoche deutlich zeigt. Für den Beginn des Holozäns gilt zum Beispiel ein Eisbohrkern aus Nordgrönland als charakteristisch: In ihm dokumentieren Isotopenwerte den schnellen Temperaturanstieg in dieser Phase. Doch welche in den Erdschichten abgelagerten Stoffe sollen als Referenz für das Anthropozän dienen?

Festmachen ließe sich die neue Epoche zum Beispiel am Auftauchen neuer Minerale. Denn Studien legen nahe, dass der Mensch die Vielfalt solcher kristallinen Verbindungen so rapide erhöht hat wie kaum ein Ereignis zuvor. Vor allem der Bergbau und die Metallverarbeitung schufen dabei die Voraussetzungen für neue Verbindungen. Auch der Niederschlag radioaktiver Elemente gilt als eine charakteristische Spur: Durch die Atombombentests zwischen 1945 und 1963 wurden Radionuklide weltweit verbreitet und sind an vielen Stellen klar als mögliche Schichtgrenze nachweisbar.

Diese bläulich schimmernde Simonkolleit-Probe stammt aus einer Kupfermine im US-Bundesstaat Arizona. Es handelt sich um eines von 208 neuen Mineralen, die in den letzten 250 Jahren mit menschlicher Hilfe entstanden sein sollen.

Raman Research Used For Fun / RRUFF

Fossile Technik

Andere Forscher schlagen dagegen vor, das Anthropozän anhand sogenannter Technofossilien zu charakterisieren – technischen Objekten und Strukturen, die eingebettet in geologische Schichten erhalten bleiben und von der Dominanz der Menschheit zeugen. Das können zum Beispiel Plastikteile, Betonreste oder Relikte von Fabriken, Brücken oder Maschinen sein. "Die Technosphäre hat schon jetzt einen tiefen Abdruck auf unserem Planeten hinterlassen", sagt Jan Zalasiewicz von der University of Leicester.

Bei der Suche nach einem "Golden Spike" drängt sich automatisch die Frage auf, wann das Anthropozän überhaupt begonnen haben könnte. Oder anders ausgedrückt: Seit wann ist der Mensch zu einer geologischen Kraft geworden, die die Erde nachhaltig verändert? Zwei mögliche Startpunkte kristallisieren sich in der aktuellen Debatte um das Anthropozän heraus – einer davon ist der Beginn der industriellen Revolution im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. So stiegen durch die zunehmende Industrialisierung damals die Konzentrationen von CO2 und Methan in der Atmosphäre entscheidend an. Aber auch Schwermetalle wie Blei gelangten vermehrt in die Umwelt.

Begann das Anthropozän mit dem Anfang der industriellen Revolution?

Adolf von Menzel / Gemeinfrei

Die große Beschleunigung

Für noch gravierender halten viele Wissenschaftler inzwischen jedoch das, was mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann: eine Phase der Hochindustrialisierung und der Eintritt ins sogenannte Nuklearzeitalter. Fachleute bezeichnen diese Zeit auch als "große Beschleunigung", weil das kollektive Handeln der Menschen die natürliche Welt plötzlich viel stärker belastete als zuvor. Als Kennzeichnung für den Anthropozän-Start könnten sich zum Beispiel die veränderten Isotopenwerte durch die Atombombeneinsätze und -tests in dieser Zeit eignen.

Kritiker meinen allerdings, dass der Mensch bereits zuvor deutlich sichtbare Fußabdrücke auf dem Planeten hinterlassen hat – sei es durch die erstmalige Nutzung des Feuers oder die Erfindung der Landwirtschaft.

"Eine Aufforderung"

Ob sich die geologische Fachwelt letztlich darauf einigt, eine neue geologische Epoche namens Anthropozän auszurufen, steht noch in den Sternen. Doch schon jetzt ist die Debatte um diese menschengemachte Ära ein Novum: Wohl zum ersten Mal überhaupt steht die Stratigraphie im Mittelpunkt einer öffentlichen Debatte, wird die Definition einer geologischen Epoche auch von Umweltwissenschaftlern, Philosophen, Politikern und Journalisten diskutiert.

Daran zeigt sich, dass die Idee eines Anthropozäns auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Umdenkens ist: Mehr und mehr erkennen wir Menschen, welchen Einfluss wir auf die Welt um uns herum ausüben – und welche Folgen das möglicherweise für kommende Generationen hat. "Das Anthropozän-Konzept enthält zugleich eine Aufforderung, die Stellung des Menschen zur Natur und im Kosmos neu zu bestimmen und verantwortlich mit den begrenzten natürlichen Ressourcen umzugehen", erklärt die Kulturwissenschaftlerin Gabriele Dürbeck in einer Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung.

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