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Baltische Briefmarken: Dokumente der Unabhängigkeit

Nach dem Frieden von Brest-Litowsk, mit dem das Zarenreich im März 1918 aus dem Ersten Weltkrieg ausschied, strebten die baltischen Staaten in die Unabhängigkeit. Von den Alltagsmühen der Staatengründung künden auch die Briefmarken der jungen Länder.
Dr. Winfried Dolderer

Die spätere litauische Hauptstadt Vilnius in einer Darstellung aus dem 19. Jahrhundert (Blick von Nordwesten aus).

AKG / Album / Prisma

In Vilnius erlebt in diesem Jahr ein interessiertes Publikum die Wiederbegegnung mit einem lange entbehrten Schriftstück. Zur Jahrhundertfeier der Neugründung des litauischen Staates kommt aus Berlin als Leihgabe das einzige bekannte Exemplar des Manifests, mit dem am 16. Februar 1918 der damalige litauische Staatsrat, die Taryba, nach 123 Jahren Zugehörigkeit zum Russischen Reich die Unabhängigkeit verkündet hatte.

Die Wiederentdeckung des Dokuments im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes hatte im Frühjahr 2017 Politik und Medien der Baltenrepublik in einen Freudentaumel versetzt. Von einem "Jahrhundertfund" war die Rede, und die Regierung hätte es am liebsten gesehen, hätte Deutschland ihr das Manuskript geschenkt. Bis Jahresende ist es immerhin am Schauplatz der damaligen Proklamation, im Signatarhaus in Vilnius, ausgestellt.

Geteiltes Baltikum

Das Original der Urkunde ist seit dem Einmarsch der Roten Armee im Juni 1940 verschollen. Die Litauer besitzen nur noch eine Fotokopie. Das Papier, das der Politikwissenschaftler Liudas Mažylis nach einem halben Tag Suchen im Lesesaal des Berliner Archivs in Händen hielt, ist eine handschriftliche Zweitausfertigung in litauischer und deutscher Sprache, persönlich unterzeichnet von allen 20 Mitgliedern der Taryba. Dass sie sich ausgerechnet in Berlin gefunden hat, entbehrt nicht einer historischen Logik.

Die Unabhängigkeit nicht nur Litauens, sondern aller baltischen Republiken ist letztlich dem Umstand zuzuschreiben, dass das Zarenreich im Ersten Weltkrieg den Mittelmächten militärisch unterlegen ist. Der am 3. März 1918 mit der Sowjetregierung geschlossene Frieden von Brest-Litowsk teilte das gesamte Baltikum dem deutschen Machtbereich zu. Das Gebiet des heutigen Litauen war seit Herbst 1915 von deutschen Truppen besetzt; die Taryba tat ihre ersten Schritte zur Staatsgründung unter widerwillig ertragener deutscher Aufsicht. Immerhin schickte sie nach Verkündung der Unabhängigkeit eine Kopie ihres Manifests nach Berlin.

Der neue Staat improvisiert – auch auf dem Postamt

Erste litauische Marken von 1918, mit provisorischem Stempel entwertet.

Heinrich Köhler Auktionshaus GmbH & Co. KG, Wiesbaden

Nicht von den hehren Prinzipien, sondern von den Alltagsmühen einer Staatsgründung – von Improvisation, instabilem Geld, organisatorischen Anlaufschwierigkeiten – berichten Briefmarken als historische Dokumente. In Gargždai, einer Kleinstadt an der Grenze zum damals ostpreußischen Memelland, wurde im Februar 1919 ein litauisches Postamt eingerichtet.

In den ersten Wochen gab es keinen Stempel; man beschrieb die Briefmarken mit Tintenstrichen, um sie zu entwerten. Zwischen April 1919 und Anfang 1920 wurde Post aus Gargždai einzeilig mit dem Namenszug der Stadt gestempelt. Ende 1919 gingen plötzlich für eine Zeitlang die Briefmarken aus. In der Not notierte man den Wert der Sendungen handschriftlich auf den Umschlägen und stempelte sie ab.

 

Seit 1920 waren schließlich in Gargždai kreisrunde Stempel nach deutschem Vorbild in Gebrauch. Anfangs waren litauische Briefmarken schlichte schwarz-weiß bedruckte Zettel aus Zeitungspapier. Die ersten Farbdrucke wurden im Februar 1919 in Berlin hergestellt. Nach einer Währungsreform 1922 wurden die alten Wertzeichen mit neuen Ziffern überdruckt.
Heldentum in Szene gesetzt

Briefmarken eigneten sich aber auch, um den jungen Staat mit nationaler Identität aufzuladen. Persönlichkeiten, Bauten und Ereignisse der Vergangenheit dienten als Bildmotive: Großfürst Vytautas der Große, dessen 500. Todestag 1930 mit einer Sondermarke gewürdigt wurde, die Burg der Zwischenkriegshauptstadt Kaunas, die litauischen Siege über den Schwertbrüderorden 1236 bei Schaulen und über den Deutschen Orden 1410 bei Tannenberg.

Nach der Einführung der neuen litauischen Währung Litas (unterteilt in Centas) wurden alte Briefmarken mit dem neuen Wert überdruckt.

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Philatelistisch in Szene gesetzt wurde aber auch modernes litauisches Heldentum, so der 1933 tragisch gescheiterte Versuch einer Atlantik-Überquerung. Der in New York gestartete Zweisitzer "Lituanica" stürzte knapp östlich der Oder bei Soldin in der damaligen Neumark ab; die Piloten kamen ums Leben. Zwei Jahre später musste die "Lituanica II" auf dem Weg von New York nach Kaunas bei Ballinrobe im Westen Irlands notlanden.

Unter den baltischen Republiken ist Litauen ein Sonderfall, weil sie als einzige bereits vor der Unabhängigkeit im 20. Jahrhundert auf eine eigenstaatliche Tradition zurückblickte. Reichsgründer Mindaugas einigte im 13. Jahrhundert die litauischen Stämme. Unter seinen Nachfolgern dehnte sich das Großfürstentum über Weißrussland und die Ukraine fast bis ans Schwarze Meer aus. Großfürst Jogaila gewann 1385 durch Heirat die polnische Krone, ließ sich taufen und gründete die Jagiellonen-Dynastie. Der polnisch-litauische Doppelstaat bestand vier Jahrhunderte; erst 1795 kam Litauen unter russische Herrschaft.

Esten und Letten müssen sich den Neuanfang erkämpfen

Dagegen wurden im Mittelalter die heutigen Republiken Estland und Lettland (zu der Zeit noch die Gebiete Livland, Kurland und Lettgallen) von auswärtigen Mächten kolonisiert. Daran waren zu Beginn des 13. Jahrhunderts die Dänen beteiligt, vor allem aber der Deutsche Orden, der bis 1346 das gesamte Gebiet unter seine Kontrolle brachte. Der Orden holte deutsche Siedler ins Land; die Städte traten im 14. Jahrhundert dem Handelsbund der Hanse bei. Bis in die Neuzeit sprachen städtisches Bürgertum und adlige Großgrundbesitzer Deutsch. Im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert fielen Estland und Livland an Schweden, 1721 schließlich an Russland.

Sie führten Freikorps-Einheiten in den Wirren der Unabhängigkeitskämpfe in Lettland: Rüdiger von der Goltz (links) und Pawel Bermondt-Awaloff.

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Anders als Litauen und Kurland blieb das nördliche Baltikum bis zum Frühjahr 1918 von deutschen Truppen frei. Die Unabhängigkeitsbestrebungen entwickelten sich ohne Einwirkung einer Besatzungsmacht aus den russischen Revolutionswirren. Bis 1920 lieferten sich Bolschewiki, estnische und lettische Nationalisten sowie Deutsch-Balten erbitterte Kämpfe. Letztere wollten Adolf Friedrich zu Mecklenburg zum Herrscher eines "Vereinigten Baltischen Herzogtums" erheben. Die deutsche Kapitulation im November 1918 ließ diesen Plan platzen. Auch der schwäbische Herzog Wilhelm von Urach, den die Taryba im Juli 1918 zum litauischen König wählte und der als Mindaugas II. den Thron hätte besteigen sollen, bekam sein Reich nie zu Gesicht.

Versteigerung baltischer Briefmarken

Das Auktionshaus Heinrich Köhler versteigert vom 20. bis zum 24. März 2018 Briefmarken der Länder Estland, Lettland und Litauen aus den Jahren 1918 bis 1945. Im Angebot sind unter anderem rund 1000 Lose der Sammlung Dr. Pier Matteo Lucibello.

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