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Luftpost aus dem belagerten Paris
Sogar Otto von Bismarck war beeindruckt: Teufelskerle, diese Pariser, einfach genial! Von der Außenwelt abgeschnitten, eingekreist von einer 150.000 Mann starken deutschen Streitmacht – und was machen sie? Lassen Ballons in die Luft steigen, die in unerreichbarer Höhe über die feindlichen Linien hinwegschweben.
In seinem Quartier auf Schloss Ferrières-en-Brie rund 25 Kilometer östlich der französischen Hauptstadt hatte der preußische Ministerpräsident und Kanzler des Norddeutschen Bundes immer wieder Gelegenheit, sich über die „verdammten Ballons“ zu ärgern, durch die, wie er kommentierte, „die Pariser Regierung unaufhörlich mit den Generälen in den Provinzen spricht“.
Die Belagerung von Paris
Seit gut zwei Monaten dauerte im Frühherbst 1870 der Deutsch-Französische Krieg bereits an. Die großen Schlachten bei Weißenburg, Wörth, Spichern, Mars-la-Tour, Gravelotte, schließlich Sedan waren geschlagen, die Truppen Napoleons III. besiegt. Der Kaiser selbst war abgesetzt, die Republik ausgerufen, doch der Friede nach wie vor nicht in Sicht. Zwar hatte die neue französische Regierung Verständigungsfühler ausgestreckt, mochte sich mit der deutschen Forderung nach Abtretung des Elsass und Lothringens bis auf weiteres indes nicht abfinden. Die Franzosen beschlossen daher, den Widerstand fortzusetzen, während deutsche Truppen einen Belagerungsring um Paris zogen.
Bis zum frühen Morgen des 18. September war die Stadt noch auf der Schiene erreichbar. Am Abend gegen 20 Uhr rollten die letzten beiden Züge aus Paris in Richtung Normandie und Bretagne. Am 19. September schloss sich der Ring der deutschen Armee. Vier Tage später, am 23. September, stieg vom Montmartre der Ballon „Le Neptune“ auf. An Bord waren 125 Kilogramm Post. Nach drei Stunden und 15 Minuten und einem Flug über 104 Kilometer landete die Fracht sicher im Park des Schlosses Cracouville bei Évreux in der nicht besetzten Normandie.
67 Ballons bringen Post aus der Stadt
„Le Neptune“ war der erste von insgesamt 67 Ballons, die bis zum Waffenstillstand am 28. Januar 1871 die belagerte französische Hauptstadt verließen. Von ihnen führten 55 hauptsächlich Postsendungen mit, im Durchschnitt jeweils 200 Kilogramm, zweieinhalb Millionen Briefe und Karten in den gut 17 Wochen der Belagerung mit einem Gesamtgewicht von rund elf Tonnen.
Befördert wurden auch 164 Passagiere, unter ihnen ranghohe Politiker und Militärs, dazu 381 Brieftauben, die nach der Landung mit Nachrichten zurück nach Paris geschickt werden sollten, sowie fünf Hunde, denen ebenfalls zugetraut wurde, mit Kassibern im Halsband den Weg durch die deutschen Linien in die belagerte Hauptstadt zu finden. Mit dem Balloneinsatz gelang den Parisern eine in mehrfacher Hinsicht innovative Leistung. Erstmals wurde Post in organisierter Form auf dem Luftweg befördert. Erstmals auch wurden Fluggeräte, nämlich die Ballons, in Serie gefertigt.
Besondere Sammlerstücke
Und der philatelistischen Nachwelt hinterließen die Initiatoren ein reizvolles eigenes Sammelgebiet. Faltbriefe und Karten aus der Zeit zwischen Mitte September 1870 und Ende Januar 1871, die den Vermerk „Par Ballon monté“ tragen, also „durch bemannten Ballon“, zählen heute zu den begehrten und teuren Liebhaberstücken. Sie gelten als umso wertvoller, je vollständiger sich aufklären lässt, mit welchem Ballon sie wann wohin transportiert wurden.
Hilfreich ist, dass die Flüge recht umfassend dokumentiert sind. Jeder Ballon hatte einen eigenen Namen; überliefert sind in der Regel Abflugs- und Ankunftszeiten, Art und Gewicht der Ladung, Namen des Ballonführers und gegebenenfalls der Passagiere.
Die Idee, während der Belagerung auf dem Luftweg mit der Außenwelt zu kommunizieren, kam von dem Fotografen, Journalisten und satirischen Schriftsteller Félix Tournachon, genannt „Nadar“, der über einschlägige Erfahrungen verfügte. Er hatte seit 1855 mit Luftbildaufnahmen zu militärischen Zwecken vom Ballon aus experimentiert.
Außerhalb der Reichweite deutscher Gewehre
Im August 1870 gründete Nadar in Paris die „Gesellschaft militärischer Ballonfahrer“, die am ersten Tag der Belagerung mit dem neuen Innenminister Léon Gambetta einen Vertrag über Bau und Einsatz von zunächst drei Ballons schloss. Der zweite Ballon, die „Ville de Florence“, hob am 25. September mit 120 Kilogramm Briefen und 30 Kilogramm Drucksachen ab. Der von der französischen Post gecharterte Ballon des Unternehmers Eugène Godard hatte erstmals auch einen Passagier an Bord. Eine Brieftaube brachte die Erfolgsmeldung des Luftschiffers Gabriel Mangin nach Paris: „Gute Landung in Vernouillet, gegenüber Triel, um halb drei. Keine Preußen. … Ich reise weiter nach Tours.“
Am 27. September gab der Generaldirektor der französischen Post, Germain Rampont-Léchin, einen Erlass heraus, um die Briefbeförderung auf dem Luftweg mit verbindlichen Regeln auszustatten. Zulässig waren demnach Schriftstücke, die frankiert, aber ohne Umschlag eingeliefert wurden und nicht mehr als vier Gramm wiegen durften. Akzeptiert wurden auch Postkarten im Format von elf mal sieben Zentimetern mit einem Gewicht von höchstens drei Gramm.
Zwei Hersteller lieferten die benötigten Ballons: Nadar mit seinen Geschäftspartnern Camille Dartois und Gabriel Yon sowie Eugène Godard. Als Fertigungshallen dienten die ungenutzten Bahnhöfe. Godard produzierte in der Gare d’Orléans und zog, nachdem dieser Bahnhof durch deutschen Artilleriebeschuss beschädigt worden war, in die Gare de l’Est um. Nadar richtete sich in der Gare du Nord ein. Alle zwölf Tage verließ ein neuer Ballon die Fabrikationsstätten.
Zu ihrem Ärger stellten die Deutschen fest, dass die Ballons weit oberhalb der Reichweite des preußischen Zündnadelgewehrs schwebten. Die Firma Krupp lieferte Luftabwehrgeschütze, doch auch damit gelang nur ein Abschuss. Die meisten Ballons gingen über sicherem Gelände nieder, einige auch in Belgien und Holland. Zwei wurden ins Meer abgetrieben. Den Streckenrekord erzielte am 24. November der Ballon „La Ville d’Orléans“, der nach knapp 1300 Kilometern im norwegischen Lifjell landete.
Versteigerung von Ballonpost
Vom 25. bis zum 30. September 2017 versteigert das Auktionshaus Heinrich Köhler in Wiesbaden zwei Sammlungen, die mit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 zusammenhängen. Eine Kollektion umfasst rund 150 Briefe, die mit Ballons aus dem belagerten Paris befördert wurden. Im anderen Fall handelt es sich um Stücke unterschiedlicher Provenienz, darunter auch Ballonpost.