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Vor 65 Jahren: Erstes Atom-U-Boot erreicht den Nordpol

„Für die Vereinigten Staaten und die amerikanische Marine haben wir am Sonntag, dem 3. August 1958, um 23:15 Uhr amerikanischer Sommerzeit den Nordpol erreicht“, verkündet vor 65 Jahren der Kapitän des ersten Atom-U-Bootes der Welt. In einer Prestigemission war es den USA an diesem Tag gelungen, unter dem arktischen Eisschild hinweg bis zum nördlichsten Teil der Erde zu tauchen. Doch was war das wahre Ziel dieser Expedition? Und wieso fühlte sich die Sowjetunion davon provoziert?
AMA, 03.08.2023
Symbild USS Nautilus

© US Navy / Stocktrek Images, GettyImages (Hintergrund)

Die beiden Atombomben-Abwürfe über Hiroshima und Nagasaki haben die Welt im Jahr 1945 gelehrt, wie zerstörerisch Atomkraft sein kann. Doch zu jender Zeit hatte die Forschung gerade erst damit angefangen, mögliche Einsatzbereiche für diese neuartige Kraft zu erkunden – auch fernab von nuklearen Waffen. Dazu gehörte neben Kernkraftwerken auch der Antrieb von Lokomotiven, Schiffen und Flugzeugen. Am 17. Januar 1955 brach das erste Atom-U-Boot der Welt zu seinen Probefahrten auf: die amerikanische USS Nautilus.

USS Nautilus SN-571 auf einer Testfahrt in Küstenähe
Obwohl der Antrieb der Nautilus Maßstäbe setzte, war die Rumpfform konservativ und unterschied sich nicht wesentlich von der deutscher Einheiten des Typs XXI aus dem 2. Weltkrieg. Die US-Admiralität wollte nicht zu viele avantgardistische Lösungen mit einer Einheit testen.

© US-Navy official photo #199068

Ein U-Boot der Superlative

Die von einem kleinen Atomreaktor angetriebene Nautilus war eine Weltsensation, über die Reporter aus aller Welt berichteten. Anlässlich ihres Stapellaufs im Jahr 1954 war sogar extra die Disney-Verfilmung von Jules Vernes Roman „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“ in die Kinos gekommen, in dem der Namensvetter der Nautilus unter dem Kommando von Kapitän Nemo die Weltmeere bereist.

Mit ihrem Atomantrieb brach das neuartige U-Boot viele Rekorde. Unter anderem erlaubten die Reaktoren an Bord bisher nie dagewesene Geschwindigkeiten von bis zu 30 Knoten. Das entspricht 57 Kilometern pro Stunde. Doch die Nautilus fuhr nicht nur schneller als andere U-Boote, sondern tauchte auch tiefer. Der atomare Antrieb erlaubte es ihr, im Prinzip unbegrenzt lange unter Wasser zu bleiben. Das war von Vorteil, denn wer nicht regelmäßig zum Tanken auftauchen muss, fährt wortwörtlich unter dem Radar und kann sich unbemerkt an den Feind heranschleichen.

Und auch abseits ihrer technischen Besonderheiten war die Nautilus ein Gefährt der Superlative. Mit fast 100 Meter Länge und einem Gewicht von 3.180 Tonnen war sie das größte U-Boot ihrer Zeit. Und wahrscheinlich auch das luxuriöseste. Denn die platzsparenden Reaktoren ermöglichten eine hochmoderne Innenausstattung samt Jukebox, Bibliothek, Kinosaal und Solarium.

U.S. Navy submarines USS Nautilus (SS-168), in service from 1930 to 1945, and USS Nautilus (SSN-571) in service from 1954 to 1980
Die Nautilus war nicht nur größer als alle ihre Vorgänger, sondern dank des Atomantriebs auch aufgeräumter und komfortabler.

© U.S. Navy

Machtdemonstration im Kalten Krieg

Doch wozu all das Tamtam? Ganz einfach: Die Nautilus war mehr als nur ein U-Boot. Sie war ein Symbol, das der Sowjetunion im Kalten Krieg signalisieren sollte, sich lieber nicht mit den USA anzulegen. Die Botschaft: Greift ihr uns an, sind wir jederzeit zum nuklearen Gegenschlag bereit und ihr habt nicht einmal mitbekommen, dass wir die Atomwaffen schon längst bis vor eure Küste gebracht haben.

Um ihre Überlegenheit noch offensiver zu demonstrieren, planten die USA außerdem einen medienwirksamen Coup. Die Nautilus sollte den Nordpol unterqueren, indem sie unter seinen dicken Meereisschilden hinwegtauchte. Das war zuvor noch niemandem gelungen. Und auch die Nautilus scheiterte zunächst zweimal: Einmal, weil die Kompassnadel verrückt gespielt hatte und einmal, weil sich eine gewaltige Bodenwelle unter dem Eis aufgetürmt hatte und drohte, das U-Boot einzuklemmen.

Aller guten Dinge sind drei

Als die Nautilus am 23. Juli 1958 von Pearl Habor aus ablegte, um einen dritten Versuch zu wagen, standen Kapitän William T. Anderson und seine Crew unter besonders großem Druck. Denn in der Zwischenzeit hatte die Sowjetunion mit einem eigenen Prestigeprojekt gekontert, dem Satelliten „Sputnik“. Wenn es den USA gelang, den Nordpol mit der Nautilus zu unterqueren, könnten sie damit immerhin noch ihre Überlegenheit unter Wasser demonstrieren.

Und tatsächlich: Dieses Mal stand Andersons Team weder ein defekter Kompass noch eine Bodenwelle im Weg. Nach rund 2.000 Kilometern Fahrt gelang es ihnen am 3. August 1958, auf den Tag genau vor 65 Jahren,  mit der Nautilus bis zum Nordpol vorzudringen. Diesen Erfolg teilte die Mannschaft um 23.15 Uhr mit der kurzen Funkbotschaft „Nautilus 90 Nord“ mit. Die Weltöffentlichkeit erfuhr allerdings erst Tage später davon, denn die sogenannte „Operation Sunshine“ war im Geheimen abgelaufen, um eine Blamage im Falle eines Scheiterns zu vermeiden.

Die Sowjets hatte die geglückte Mission eiskalt erwischt. Sie waren geschockt, dass ein Atom-U-Boot unbemerkt durch ihren „Hinterhof“ getaucht war. Zwar trug die Nautilus keine Nuklear-Sprengköpfe, was auch erst ein Jahr später technisch möglich gewesen wäre, aber allein die Vorstellung erzielte die von den Amerikanern gewünschte Wirkung. Es verwundert dementsprechend nicht, dass die Sowjetunion noch im selben Sommer mit einem eigenen Modell eines Atom-U-Bootes nachzog. Vier Jahre später, im Juni 1962, erreichte auch sie mit der „Leninski Komsomol“ den Nordpol.

Empfang der USS Nautilus in New York, 1958
Großer Bahnhof in New York für die Nautilus nach ihrer Nordpol-Unterquerung im Jahre 1958.

© Official U.S. Navy photo USN 1037458

Atomares Wettrüsten begann

Die USA hatten somit ein atomares Unterwasser-Wettrüsten losgetreten und der Militarisierung der Ozeane neuen Aufschwung verliehen. Rund 500 atomar betriebene Schiffe und U-Boote wurden in der Folgezeit gebaut. Und auch heute betreiben immer noch mehrere Nationen eigene Atom-U-Boote.

Die Nautilus ist allerdings nicht mehr darunter. Sie ist seit 1980 im Ruhestand, den sie als Museumsschiff im US Navy Submarine Force Museum in Groton im US-Bundesstaat Connecticut verbringt.

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