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Döblins Berlin Alexanderplatz: Expressionistischer Großstadtroman
Was bestimmt die Handlung des Romans?
In »Berlin Alexanderplatz« (1929) von Alfred Döblin (1887–1957) wird das Aufeinanderprallen eines kleinen Helden (hier des Proletariers Franz Biberkopf) mit seiner urbanen Umwelt (hier Berlin) als ungleiches Duell ausgetragen. Biberkopf oder die Großstadt hätte zerstört werden müssen, bemerkte der Autor im Jahr 1955 anlässlich einer Neuausgabe seines Romans. Als Strafe empfindet Franz Biberkopf gleich zu Beginn die Tatsache, aus den geordneten Verhältnissen im Gefängnis in ein hektisches Berlin gestoßen zu werden. »Drinnen saßen die anderen, tischlerten, lackierten, sortierten«, denkt Biberkopf, als er nach seiner Haftentlassung an der Haltestelle steht: Draußen »schwirrte es«. Während seiner Haft hat sich die Stadt derart rasant verändert, dass er nichts wiedererkennt: »Die Strafe beginnt.«
Kann Biberkopf im Moloch Berlin überleben?
Franz Biberkopf gelingt es nur mit großer Mühe, sich einigermaßen über Wasser zu halten. Er will als Hausierer am Alexanderplatz »anständig bleiben«, aber die Großstadt macht es ihm nicht leicht. Berlin ist die Hure Babylon, eine urbane Hölle, in der Biberkopf sich die Finger verbrennen muss. Sein Dämon ist der Verbrecher Reinhold, der ihn mit Damen der Unterwelt versorgt und auf der Flucht als gefährlichen Mitwisser unter ein Auto stößt, woraufhin Biberkopf einen Arm verliert. Reinhold entführt und ermordet Biberkopfs Geliebte, das Straßenmädchen Mieze; der Großstadt-Hiob wird zum Hauptverdächtigen. Biberkopf kommt ins Irrenhaus, das er, rehabilitiert, als neuer Mensch verlässt. Er wird Hilfsportier einer Fabrik und steht endlich »nicht mehr allein auf dem Alexanderplatz«.
Wie wird die Großstadtatmosphäre eingefangen?
Das Urbane ist nicht bloß Thema einer realistischen Beschreibung, es wird – in der Art des Expressionismus und Futurismus – in verschiedenen Sprachschichten selbst lebendig. Aus diesem Grund verglich die Literaturkritik den Roman mit dem »Ulysses« (1922) von James Joyce. Walter Benjamin betonte seinen filmisch schnellen »Takt«. Tatsächlich stellte Döblin neben der Geschichte von Franz Biberkopf auch das aus Reklame, Schlagzeilenjargon, Gassenhauern, Statistiken, Slogans und Dialektelementen unverwechselbar geformte »Stimmengewirr« des Molochs Berlin in den Mittelpunkt. In diesem Lärm muss das Versprechen Biberkopfs, ehrbar zu bleiben, ungehört verhallen. Die Hektik der Stadt blitzt durch jeden der parataktischen Sätze.
Wie ist das Ende des Romans gestimmt?
Es zeugt von einer kämpferischen Grundhaltung. Döblin hatte ein waches Auge für die sozialen Verhältnisse der Zeit und wollte die negativen Auswirkungen des Großstadtlebens herausstellen, gegen die man sich wehren muss. Deshalb hat er Biberkopf in der Schlusssequenz eine optimistische Lebensformel zur Seite gestellt: »Man fängt nicht sein Leben mit guten Vorsätzen an, mit Erkennen und Verstehen fängt man es an und mit dem richtigen Nebenmann.« Aus diesem Grund wird der Entwicklungsgang Biberkopfs auch nicht durch die urbane »Mehrstimmigkeit« überlagert. Die »Melodie« Berlins weitet sich nicht zur »Symphonie der Großstadt« in formalästhetischem Sinn, wie etwa in »Manhattan Transfer« (1925) von John Doss Passos.
Warum machte Döblin den Alexanderplatz zum Zentrum des Geschehens?
Der Grund dafür lag in seiner Biografie. Der Armenarzt Alfred Döblin hatte dort seine Praxis. Am Alexanderplatz kannte er sich aus wie kein Zweiter. Döblin wurde am 10.8.1878 in Stettin geboren, mit zehn Jahren zog er nach Berlin. Im bürgerlichen Leben arbeitete er als Arzt, schrieb nebenher Rezensionen und politische Reportagen für Zeitungen, verfasste aber auch Romane. 1918 erschien die Industriegroteske »Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine«, in der wie in »Berlin Alexanderplatz« ein kleiner Held auf eine urbane Umwelt prallt. 1920 folgte der expressionistische Roman »Wallenstein«. Der Jude Döblin floh 1933 über Frankreich in die USA, kehrte 1945 nach Deutschland zurück, war aber über die politische Entwicklung enttäuscht. Döblin starb am 26.6.1957 in Emmendingen.
Wussten Sie, dass …
Döblin zwei Bearbeitungen seines Romans für Rundfunk (1930) bzw. Kino (1931) mitinitiierte? Das zeigt sein Interesse an den damals neuen Medien.
Rainer Werner Fassbinder das Buch 1980 als religiös überhöhte Leidensgeschichte Franz Biberkopfs verfilmte? Günter Lamprecht, Hanna Schygulla, Barbara Sukowa und Gottfried John spielten die Hauptrollen.
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