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Body Positivity: Wie Social Media Schönheitsideale verändern kann
Längst nicht jeder nimmt es heutzutage hin, dass einzelne Influencer mit ihren dünnen, trainierten Körpern das Selbstwertgefühl einer ganzen Generation schwächen und unrealistische Standards setzen. Deshalb hat sich schon vor einiger Zeit die Gegenbewegung der Body Positivity gegründet. Ihr Grundgedanke: Alle Körper sind schön und auch Narben, Falten, Pickel oder Speckröllchen können daran nichts ändern. Sucht man auf Instagram nach dem Hashtag #bodyposititvy, spuckt die App bereits 11,7 Millionen Beiträge aus. Darin zeigen sich Menschen, die nach den Standards sozialer Medien wahrscheinlich als zu dick, zu faltig oder zu untrainiert gelten würden.
Body Positivity erweitert Schönheitsideale
Doch kann Body Positivity wirklich dabei helfen, unrealistische Körperstandards abzubauen, sodass wir alle mehr mit uns selbst im Reinen sind? Darauf gibt es jetzt sogar eine wissenschaftlich fundierte Antwort, denn Forschende um Jan-Philipp Stein von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg haben sich genau diesem Thema gewidmet. Sie wollten wissen, ob Body Positivity tatsächlich die Kraft hat, das Bild vom idealen Körper zu verändern.
Um das herauszufinden, zeigten sie ihren Versuchsteilnehmern zunächst fünf verschiedene Instagram-Posts. Entweder waren darauf ausschließlich Body-Positivity- oder aber Fitspiration-Inhalte mit schlanken, trainierten Menschen abgebildet. Nachdem die Teilnehmer diese Bilder gesehen hatten, sollten sie auf einer visuellen Bewertungsskala alle Körpertypen auszuwählen, die sie für ideal hielten.
Interessanterweise kreuzten diejenigen, die Body-Positivity-Posts gesehen hatten, im Schnitt drei ideale Körperformen an, darunter auch voluminösere Typen. Bei der Fitspiration-Gruppe waren es lediglich zwei und vor allem schlanke. Daraus schließen Stein und seine Kollegen, dass der Einfluss von Body Positivity die subjektiv wahrgenommenen Schönheitsideale deutlich erweitern kann.
Positiv veränderter Blick auf andere
Doch nicht nur das. In einem zweiten Schritt sollten die Versuchsteilnehmer außerdem das Gewicht von 36 Personen schätzen, die sie auf Ganzkörperfotos gezeigt bekamen. Diejenigen, die zuvor Body-Positivity-Inhalte gesehen hatten, waren dabei um einiges gnädiger. Sie schätzten das Gewicht der Fremden deutlich geringer ein als jene aus der Fitspiration-Gruppe. Das deutet daraufhin, dass hoher Fitspiration-Konsum womöglich Vorurteile und Abneigung gegenüber Körpertypen fördern kann, die nicht der Norm dieser Szene entsprechen.
Anders ausgedrückt: Wenn ich auf der Straße eine Frau sehe, die aufgrund ihres Body Mass Index (BMI) zwar als normalgewichtig gilt, aber deutlich kurviger ist als meine liebsten Fitness-Influencer, verpasse ich ihr womöglich schneller den Stempel, dick zu sein, und behandle sie im schlimmsten Fall vielleicht sogar von oben herab.
Abbau von Vorurteilen möglich
Körperpositive Inhalte hingegen könnten den gegenteiligen Effekt haben und mehr Toleranz für verschiedene Körpertypen fördern. „Indem sie verinnerlichte Schönheitsstandards in Richtung Diversität verändern, könnten sie ungerechte, auf dem Aussehen basierende Vorurteile adressieren, die in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens immer noch bestehen“, erklärt Stein. Aktuell ist es laut verschiedenen Studien zum Beispiel so, dass Menschen mit Übergewicht häufiger gemobbt oder bei der Vergabe von Jobs benachteiligt werden. Viele schreiben Übergewichtigen außerdem pauschal Eigenschaften wie Trägheit und Disziplinlosigkeit zu, ohne die betreffenden Personen überhaupt kennengelernt zu haben.
Das Konsumieren von Body-Positivity-Inhalten könnte vor diesem Hintergrund mehr Toleranz für unterschiedliche Körpertypen schaffen, aber auch für unseren eigenen Körper, wie Stein und seine Kollegen herausgefunden haben. Demnach fühlte sich die Gruppe mit den körperpositiven Posts im Schnitt deutlich wohler im eigenen Körper als diejenigen, die sich vermeintlich perfekte Fitness-Influencer angeschaut hatten.
Body Positivity in der Kritik
Trotz der offensichtlichen Vorteile von Body Positivity steht die Bewegung aber auch immer wieder in der Kritik. Im Wesentlichen gibt es zwei Vorwürfe. Erstens: Wenn auf einmal jeder auf Social Media augenscheinlich mit sich im Reinen ist, muss ich das auch sein. Ich muss meine eitrigen Pickel und großen Dehnungsstreifen auf einmal lieben, auch wenn ich das vielleicht gar nicht wirklich tue. Der eigentlich gut gemeinte Aufruf zu mehr Selbstliebe schlägt dann ganz schnell in eine neue Art des sozialen Drucks um.
Zweitens: Manche Kritiker interpretieren die körperpositive Bewegung als Aufruf zum Dicksein, als Erlaubnis, nicht mehr auf sich und seine eigene Gesundheit achten zu müssen. Sie finden zwar, dass niemand aufgrund seines Übergewichts angefeindet oder hässlich genannt werden sollte, doch gleichzeitig sollten auch die Folgen der überschüssigen Fettpolster nicht verharmlost werden. Übergewicht könne schließlich zu einer Reihe von Folgekrankheiten wie Diabetes Typ II, Bluthochdruck oder Gelenkproblemen führen.
Doch selbst wenn beide Kritikpunkte valide sein sollten, zeigt die Studie von Stein und seinem Team immer noch, dass ein Mehr an Body Positivity zu einem Mehr an Respekt und Toleranz füreinander führen könnte. Etwas, was Schlankheits- und Fitnesswahn auf Instagram wahrscheinlich nie schaffen werden.