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CO2-Kompensation: Lösung oder Ablasshandel?

Alles was wir tun, vergrößert unseren CO2-Fußabdruck auf diesem Planeten. Selbst bloßes Denken, denn unser Gehirn braucht Energie. Und Energie nehmen wir in Form von Nahrung auf, deren Anbau wiederum CO2 produziert. Seit wenigen Jahren bieten mehrere Organisationen nun eine vermeintliche Lösung an: CO2-Kompensation. Doch wie funktioniert der Klimaschutzbeitrag? Und reicht es aus einfach nur Geld zu bezahlen?
YBR, 26.03.2018

Die deutsche Reiselust bleibt nicht ohne Folgen für das Klima - das gilt besonders fürs Fliegen.

 thinkstock.com, encrier

Anna kommt aus Hamburg und will zum Wandern auf die Kanaren. Damit steht sie nicht alleine da – 3,1 Millionen Deutsche zog es 2016 auf die Inselgruppe im Atlantik. Wenn das Ziel doch nur nicht 3.500 Kilometer weit entfernt wäre, Flugreisen sind ein bekannter Klimakiller. Anna plagt das schlechte Gewissen, doch sie hat eine Idee: Sie will ihre CO2-Emissionen über einen Klimaschutzbeitrag ausgleichen.

So funktioniert die CO2-Kompensation

Anna besucht die Website von Atmosfair, einer der größten deutschen Anbieter mit MyClimate, Primaklima und Klima-Kollekte. Hier gibt sie ihre Flugdaten ein, doch prompt folgt die böse Überraschung: Ein Hin- und Rückflug im Airbus A320 von Hamburg nach Gran Canaria produziert fast 1,5 Tonnen CO2 – pro Passagier. Das Treibhausgas CO2 selbst trägt nur zu einem Drittel zur Gesamtrechnung bei. Kondensstreifen und Ozonbildung schlagen viel mehr ins Gewicht und werden in CO2-Emissionen umgerechnet. Das Ergebnis: Anna müsste 30 Euro überweisen, um ihre Emissionen zu kompensieren.

Doch was passiert nun mit diesem Geld? Mit den 30 Euro kauft Atmosfair Zertifikate für Klimaschutzprojekte. Diese kriegt es entweder direkt beim Projektentwickler vor Ort oder aus einem Zentralregister. Die geförderten Projekte sind vielfältig. So versorgt Atmosfair in Nigeria Haushalte mit besonders effizienten Holzöfen, die bis zu 80 Prozent weniger Brennholz verfeuern. Die Ersparnis: 30.000 Tonnen CO2 pro Jahr. In Nicaragua halfen die Spenden einen Windpark zu errichten, der nun sauberen Strom aus Windenergie produziert und dadurch 120.000 Tonnen CO2 pro Jahr einspart. Ein klimaschädliches Kohlekraftwerk wird somit vermieden.

Ist das alles koscher?

Im Bereich Klimaschutz sind die Zusammenhänge kompliziert. Umso wichtiger ist es, dass die Anbieter ihre Vorgehensweise ausführlich erklären und transparent machen. Spender müssen wissen, wohin ihr Geld fließt.

Um zunächst seriöse Anbieter zu erkennen, sollte die Qualität der Projekte stimmen. Ein guter Hinweis dafür ist der CER-Goldstandard, ein unabhängiges Gütesiegel für Klimaprojekte in Schwellen- und Entwicklungsländern. So sind 90 Prozent der Projekte von Atmosfair mit diesem Goldstandard zertifiziert. Die Siegel bescheinigen nicht nur den Klimaschutz, sondern auch einen nachhaltigen Nutzen für die Menschen in der Region. Im Test erhielten drei der sechs Anbieter für ihre Projekte die Note "Sehr gut", zwei bekamen hingegen nur ein "Ausreichend". Man muss demnach aufpassen, welche Projekte der ausgesuchte Anbieter unterstützt.

Die meisten Anbieter legen zudem ihre Standards und Finanzen offen: Erfüllen die Projekte kontinuierlich die Anforderungen? Wieviel Geld fließt in die Verwaltung? Gibt es eine externe Prüfung der Finanzen? Laut Finanztest liefern vor allem die Anbieter Atmosfair und Primaklima alle nötigen Antworten. Es gibt jedoch auch Agenturen, die keinen Jahresbericht ihrer Ausgaben ablegen. Auch dann ist wieder Vorsicht geboten.

In Nicaragua wurde mit Geldern aus der CO2-Kompensation ein Windpark errichtet, der nun einen wichtigen Beitrag für die saubere Stromversorgung des Landes leistet.

iStock.com, LudovicaBastianini

Was sagen die Kritiker?

Gegner werfen den Agenturen häufig vor, modernen Ablasshandel zu betreiben: Eine kleine Geldspende und die Klimasünden sind vergessen, verpufft, vom Winde verweht. Mit ein paar Klicks kann man nun so viel fliegen und konsumieren, wie man will.

Das Problem: Das Treibhausgas wird trotzdem in die Atmosphäre geschleudert und bleibt dort auch. Nur weil in Nicaragua Windräder gebaut werden, verschwindet das CO2 nicht aus der Luft. Die Kritiker fordern eine bessere Lösung und zwar sein Verhalten im Alltag zu ändern und weniger zu konsumieren. Das bedeutet: Lieber Zug fahren statt fliegen, lieber reparieren statt neu kaufen, lieber duschen statt baden.

Die Agenturen sehen das tatsächlich genauso. Ihrer Aussage nach ist die Kompensation eines Fluges nur "die zweitbeste Lösung", besser wäre es weniger zu fliegen. Wenn der Flug aber unvermeidbar ist, sei ein Klimaschutzbeitrag die beste Alternative. Die meisten Anbieter weisen den Interessierten auf ihren Websites auch darauf hin.

Kompensation im Alltag

Mit der Kompensation von Flügen hat alles angefangen. Klimaneutraler Konsum ist aber längst im ganz normalen Alltag angekommen. Atmosfair und Co. bieten inzwischen die Möglichkeit, auch Kreuzfahrten, Geburtstagsfeiern oder Laptops auszugleichen. Umweltbewusste Konsumenten können im Internet klimaneutralen Gletscherurlaub buchen, umweltfreundliche Lesebrillen und Blumensträuße kaufen oder ein ganzes Jahr mit gutem Gewissen Auto fahren. Dietrich Brockhagen, der Betreiber von Atmosfair, sieht darin jedoch ein falsches Signal. Auch wenn die Produkte als klimaneutral bezeichnet werden, schaden sie per se trotzdem der Umwelt.

Wie groß ist mein CO2-Fußabdruck?

Wer seinen eigenen CO2-Abdruck auf dieser Erde ausmessen will, findet auf der Website des Umweltbundesamtes einen detaillierten CO2-Rechner. Dieser spuckt nicht nur die Folgen offensichtlicher Klimasünder, wie Heizung, Strom und Flüge, aus. Auch das eigene Ernährungs- und Konsumverhalten steht auf dem Prüfstand. Am Ende kommt heraus, wie man im Vergleich zum durchschnittlichen Bundesbürger dasteht.

Im Anschluss zeigt der Rechner, was eine Änderung des eigenen Verhaltens bewirken kann. So spart ein 80 Kilogramm schwerer Mann durch den Verzicht auf Fleisch schon eine halbe Tonne CO2. Den nächsten Urlaub nicht im Hotel zu verbringen, lässt die CO2-Bilanz um 0,3 Tonnen schrumpfen.

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