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Der Gurken neue Kleider - Plastikvermeidung mit Gemüse-Coating

Der Gang durch den Supermarkt lässt einen bei einem genaueren Blick ins Gemüseregal das eine oder andere Mal stutzen. Biogurken in Plastikhülle, geschälte Bananen in Kunststoffschalen oder Äpfel im Schaumstoffstrumpf. Wie absurd kann es noch werden? Doch eine Forschungsgruppe aus der Schweiz hat nun eine Antwort auf den Verpackungswahnsinn gefunden.
JFR, 19.01.2022

Nicht nur im Supermarkt werden Obst und Gemüse verpackt angeboten - meistens in Kunststoff gehüllt.

GettyImages, s-cphoto

Das Gemüse, das von privaten Haushalten gekauft wird, ist laut des Naturschutzbunds Deutschland (NABU) in 68 Prozent der Fälle verpackt. Kein Wunder, denn die Verpackungen verhindern Druckstellen und beugen Schimmelbildung vor, da die Feuchtigkeit gering gehalten wird. Zum Beispiel sind Himbeeren oft in einer Schale mit saugfähiger Einlage zu kaufen. Somit ist das Gemüse länger haltbar und die Lebensmittelverschwendung wird reduziert.

Für die Produzenten ist es auch wichtig durch die Verpackungen bestimmte Informationen wie Gewicht, Mindesthaltbarkeitsdatum oder Gütesiegel an die Konsumenten weiterzugeben. In anderen Ländern wie Japan wird aus kulturellen Gründen verstärkt auf Hygiene und Reinheit geachtet, sodass Waren zum Teil sogar fünffach verpackt werden oder Kekse einer Packung nochmal einzeln verschweißt sind.

Verpackungsmüll ist ein langfristiges Problem

Problematisch ist allerdings, dass für die Verpackungen meistens Kunststoff verwendet wird. Die Herstellung von Plastik beansprucht acht Prozent der weltweiten Erdölproduktion. Dabei wird das Erdöl destilliert, chemisch weiter zerlegt und diese Bestandteile werden schließlich zur Synthese von Plastik verwendet. Vor allem die Nutzung von nicht‑erneuerbaren Rohstoffen wie Erdöl sorgt dafür, dass die Kunststoffproduktion im Jahr 2015 etwa 4,5 Prozent der globalen Treibhausemissionen ausmachte und somit zum Klimawandel beiträgt.

Doch damit nicht genug: Trotz der aufwendigen und energieintensiven Herstellung werden Plastikverpackungen oft nur wenige Tage gebraucht, bevor sie wieder im Mülleimer landen. Außerdem gelangen laut der Umweltorganisation WWF 32 Prozent der weltweit verwendeten Plastikverpackungen unkontrolliert in die Umwelt und verschmutzen unsere Böden und Ozeane für Jahrhunderte. Plastik wird zum Teil erst nach 500 Jahren vollständig abgebaut und schädigt selbst nach der Zersetzung in Form von Mikro- und Nanoplastik die Umwelt noch weiter. Die Kurzlebigkeit der Plastikverpackungen steht also in keinem Verhältnis zu der aufwendigen Herstellung und der Dauer des Abbaus.

Wer plastikverpacktes Gemüse ablehnt, kann natürlich in Unverpackt-Läden oder auf dem Wochenmarkt einkaufen gehen. Doch eine Kooperation der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa und Lidl Schweiz hat ein Projekt vorangebracht, das plastikfreie Verpackungen in Form einer biologischen Ummantelung auch in Supermärkten realisieren will.

Gelb ist das neue Braun: Die untere der beiden zehn Tage alten Bananen ist von einer Cellulose-Schutzschicht umhüllt.

Empa, Lidl Schweiz

Die Lösung ist das Gemüse selbst

Die Idee der Forschenden: Eine Cellulose-Schutzschicht aus alten Obst- und Gemüseresten soll die bisherigen Verpackungen ersetzen. Cellulose ist der Hauptbestandteil von pflanzlichen Zellwänden und besteht ähnlich wie Stärke, die wir von Kartoffeln kennen, aus Glukoseeinheiten. Cellulose wird vor allem aus Holz, Baumwolle und Hanf gewonnen und findet bisher hauptsächlich Anwendung in der Textil-, Papier- und Bauindustrie.

Die Forschenden der Empa verwenden jedoch zur Gewinnung von Cellulose, ganz im Sinne der Nachhaltigkeit, alte Frucht- und Gemüsereste, die ansonsten im Abfall gelandet wären. Diese werden entsaftet, sodass nur noch die gepressten Obst- und Gemüsereste übrigbleiben, welche als Maische oder Trester bezeichnet werden. Nach einem Wasch- und Bleichprozess wird das Zwischenprodukt zu einer Lösung aus Cellulosefasern gemahlen.

Der dünne Cellulose-Film wird entweder durch Aufsprühen oder durch ein Tauchbad auf das frische Gemüse aufgetragen. Dabei ist die Beschichtung kaum sichtbar und lässt sich leicht wieder abwaschen. Und da die Schutzschicht harmlos für den Menschen ist, kann sie sogar mitgegessen werden.

Ökomantel: Das Cellulose-Material soll vor allem aus Trester - den festen Rückständen, die nach dem Auspressen von Obst- oder Gemüsesaft übrig bleiben - extrahiert werden.

Manifesto Films, Lidl Schweiz

Der Ökomantel bringt viele Vorteile

Die Schutzschicht wurde schon an Bananen und Gurken getestet und die Ergebnisse können sich sehen lassen: Gustav Nyström, Leiter des Forschungsdepartments für Cellulose & Wood Materials der Empa, fand mit seinem Forschungsteam heraus, dass die Haltbarkeit von Gurken um bis zu vier Tage und von Bananen sogar um bis zu sieben Tage verlängert wurde. Statt schnell unansehnlich braun zu werden, bleiben die Bananen gelb.

Die Cellulose-Schutzschicht steht herkömmlichen Plastikverpackungen also in nichts nach und kann in Zukunft für Einsparnisse von Plastikverpackungen sorgen. Die Forschenden der Empa haben sich den Einsatz ihrer Technologie in allen 150 Lidl Filialen der Schweiz als Ziel gesetzt, doch dafür sollen die ökologischen Gemüseverpackungen zunächst in Zusammenarbeit mit Lidl Schweiz noch weiter verbessert werden.

In der EU ist eine Beschichtung bisher zwar nur bei Früchten erlaubt, deren Schale nicht mitgegessen wird, doch die neue Technologie aus der Schweiz könnte das Dilemma zwischen längerer Haltbarkeit von Gemüse und Plastikreduzierung auf Dauer lösen.

Quelle: EMPA

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