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“Der Richter aus Paris“ – Ulrich Wickert im Interview
Ulrich Wickert, Tagesthemen-Moderator und ausgewiesener Frankreich-Kenner, legt mit “Der Richter aus Paris“ einen fulminanten Kriminalroman vor, in dem es um Politik, Korruption und die Justiz geht
“Keine moralischen Themen, sondern kriminelle!“
FRAGE: Herr Wickert, Ihr neues Buch „
Der Richter aus Paris“ heißt im Untertitel „Eine fast wahre
Geschichte“. Was bedeutet dieser Untertitel?
ULRICH WICKERT:
Der Leser erfährt wahre Geschichten über Frankreich,
die ich in eine erfundene Kriminalstory verpackt habe. Denn tatsächliche,
zum Teil äußerst furchtbare Ereignisse haben mir den Handlungsstrang
vorgegeben. Und mit dem Untertitel will ich auf zweierlei aufmerksam machen.
Erstens wird eine Geschichte erzählt, deren Figuren und Handlungen erfunden
sind, obwohl der Kern „wahr“ ist. Zweitens erleben wir Journalisten
fast täglich im Umgang mit Meldungen, dass viele Tatsachen eben nur „fast
wahr“ sind - das hat in diesem Jahr die Berichterstattung im Irak-Krieg
gezeigt. Selbst Historiker können häufig nur in die Nähe der „wahren
Geschichte“ gelangen.
FRAGE: Ist die Schreiberei
für Sie Ausgleich zum eher sachlichen Nachrichtengeschäft, oder
warum schreiben Sie jetzt Romane?
ULRICH WICKERT: Seit
langem bin ich Krimi-Fan, habe alle Bücher von Raymond Chandler über
seinen Detektiv Philip Marlowe gelesen und hatte immer den Traum, auch einmal
einen Krimi zu schreiben. Aber ich habe mich jahrelang nicht getraut. Dann
fiel mir ein Clou ein, den ich ungewöhnlich fand, traute mich immer noch
nicht, sammelte Material, und irgendwann habe ich mir dann einen Ruck gegeben
und den Krimi geschrieben. Ich spreche bewusst nicht von einem Roman, denn
das ist dieses Buch nicht, und ich erhebe auch keinerlei literarischen Anspruch.
FRAGE: Wer sind Ihre literarischen Vorbilder und warum?
ULRICH WICKERT: Ich bewundere Krimiautoren wie Raymond Chandler,
Ross MacDonald, Eric Ambler, heute lese ich gern Lawrence Block, Elmore Leonhard,
etc... Chandler führte eine neue Sprache in der Literatur ein, und mit
Philip Marlowe eine Figur, die mir gefällt: ein Detektiv auf der Suche,
dem nicht alles gelingt, der immer wieder mal verprügelt wird, auch fünfe
gerade sein lässt und zum Schluss doch siegt.
FRAGE:
Der Kriminalroman ist die literarische Gattung, die kritisch mit
der Zeitgeschichte und der Gesellschaft ins Gericht geht. Welche gesellschaftlichen
Zustände kritisiert Ihr Krimi?
ULRICH WICKERT: In
dem Krimi geht es um den Untersuchungsrichter Jacques Ricou aus Paris, der
eine Affäre um schwarze Kassen einer politischen Partei untersucht. Allerdings
wird sein Hauptverdächtiger erschossen, und so geht er auf die Suche
nach dem Mörder und stößt auf unglaubliche Ereignisse.
FRAGE: Bei Ihren bisherigen Büchern standen Frankreich und
die Moral im Mittelpunkt. Dieses Buch dreht sich um korrupte Politiker, schwarze
Kassen, illegale Parteien-finanzierung, Kriegsverbrechen und spielt auf Martinique,
Algerien und Vietnam - in gewisser Weise klingen also auch im Roman
die bekannten Wickertschen Themen an. Was fasziniert Sie an der Moral
und warum gehen Sie dieses Mal auf räumliche Distanz?
ULRICH WICKERT: Um Gottes willen, es handelt sich nicht um moralische
Themen, sondern um kriminelle! Es geht nicht um Gerechtigkeit als Tugend,
sondern um den Rechtsstaat. Und Richter Jacques Ricou wird zum Schluss ja
auch sein Auge hie und da zudrücken. Der Krimi beginnt in Martinique
- und endet dort, hauptsächlich spielt er aber in Paris. Und wahrscheinlich
habe ich Frankreich als Ort der Handlung ausgesucht, weil ich die Idee hatte,
als ich dort noch Korrespondent war und in Paris anfing, Material zu sammeln.
Vermutlich fällt es mir auch leichter, mich erzählend der für
die Deutschen exotisch scheinenden Privilegienwirtschaft der Franzosen zu
nähern, als einem entsprechenden Thema in Deutschland.
FRAGE: Warum haben Sie sich einen Richter als Hauptperson ausgesucht?
Etwa weil Sie auch einmal Jura studiert haben?
ULRICH WICKERT:
Oh nein! In dem handgeschriebenen Lebenslauf, mit dem ich mich
beim Oberlandesgericht in Köln zum ersten Staatsexamen anmeldete, schrieb
ich als letzten Satz: Mit diesem Examen werde ich meine juristische Karriere
beenden. Und ich habe nach bestandener Prüfung Wort gehalten. Zunächst
dachte ich, Jacques könnte französischer Diplomat sein - weil
mein Freund Jacques französischer Diplomat ist. Aber dann bot sich ein
Untersuchungsrichter besser an.
FRAGE: Welche
Person aus der Realität lieferte das Vorbild zum Richter Jacques Ricou?
Oder ist dieser Moralist Alter Ego von Ulrich Wickert?
ULRICH
WICKERT: In Frankreich ist in den letzten Jahre eine neue Generation
von Untersuchungsrichtern herangewachsen, wie Eva Joly, die den Fall Elf untersuchte,
etc... und sie alle dienen als Vorbild.
FRAGE: Kann
ein vielbeschäftigter Redakteur, der alle zwei Wochen täglich eine
Nachrichtensendung moderiert, überhaupt einen solch umfangreichen Stoff
recherchieren - sind Sie bei den Tagesthemen nicht ausgelastet?
ULRICH WICKERT: Das Kind ist ja lange ausgetragen worden -
ich habe länger recherchiert als ein Elefant trägt! Neben der Arbeit
für die Tagesthemen ist die Arbeit an Büchern für mich ein
guter Ausgleich, eine andere Art, journalistisch tätig zu sein.
FRAGE: Wie arbeiten Sie, wenn Sie ein Buch schreiben?
ULRICH WICKERT: Ganz diszipliniert, so wie ein Handwerker. Ich
gehe morgens in das Arbeitszimmer, setze mich hin, ganz gleich, ob ich in
Laune bin oder nicht. Und ich sehe mich auch so, als sei ich ein Tischler,
der an einem Möbelstück werkelt. Jeden Tag ein paar Seiten -
bis das Buch plötzlich fertig ist. Und am Ende bin ich häufig erstaunt,
was auf einen ersten Satz alles gefolgt ist.
FRAGE: Welche
Leser wünschen Sie sich für Ihr Buch?
ULRICH WICKERT:
Zufriedene.
FRAGE: Werden Sie, ähnlich
Donna Leon mit Ihrem Commissario Burnetti oder Henning Mankell mit Kurt Wallander,
mit Richter Ricou in Serie gehen - oder anders gefragt: gibts bei
Erfolg dieses Romans Fortsetzungskrimis aus Martinique?
ULRICH
WICKERT: Nun mal langsam. Soweit denke ich noch nicht.
FRAGE: Wie halten Sie sich in Bezug auf Büchern auf dem Laufenden.
Was liest der private Ulrich Wickert gern?
ULRICH WICKERT:
Gerade habe ich einen Krimi von Lawrence Block geschmökert,
den ich am Flughafen in Boston gekauft habe. Jetzt lese ich mit großem
Interesse da Buch „LEpreuve - les preuves“ in dem
der ehemalige französische Außenminister Roland Dumas und Präsident
des Verfassungsgerichts Roland Dumas schildert, wie er die Anschuldigungen
im Fall Elf erlebt und bis zum Freispruch durchgelitten hat.
FRAGE: Was ist Ihr Literaturtipp für diesen Herbst?
ULRICH WICKERT: Hans Leyendecker: Die Korruptionsfalle -
Wie unser Land im Filz versinkt.
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