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100 Jahre Bauhaus - schön, funktional, für alle
"Architekten, Bildhauer, Maler, wir müssen zum Handwerk zurück! Denn es gibt keine 'Kunst von Beruf'. Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker." Dieses Zitat aus dem Bauhaus-Manifest bringt auf den Punkt, worum es Walter Gropius bei der Gründung seiner neuen Kunstschule geht. Im Staatlichen Bauhaus soll nicht länger zwischen Bildender Kunst und Handwerk unterschieden werden – eine Idee, die bereits im 19. Jahrhundert aufgekeimt war und unter anderem Ausdruck in Bewegungen wie dem Arts-and-Craft-Movement in England fand.
Diesen Gedanken führt der deutsche Architekt bei der Konzeption der neuen Hochschule für Gestaltung in Weimar konsequent fort. Inspiriert von der mittelalterlichen Bauhütte, in der einst Kunst und Handwerk miteinander verschmolzen waren, bilden die Werkstätten das Herzstück der 1919 ins Leben gerufenen Gestalterschmiede: Ob Wandmalerei-, Metall- oder Glaswerkstatt, ob Tischlerei oder grafische Druckerei – in allen Werkstätten bekommen die Studierenden sowohl die handwerklich-technischen Aspekte als auch die ästhetisch-gestalterischen Seiten vermittelt. Ziel der Werkstattarbeit ist dabei vorrangig die Anwendung im Bau.
Von Weimar nach Dessau
Als Lehrmeister engagiert Gropius namhafte Künstler aus aller Welt und setzt dadurch von Anfang an auf eine internationale Ausrichtung. Vom Deutsch-Amerikaner Lyonel Feininger, über den Schweizer Maler Paul Klee bis hin zum Russen Wassily Kandinsky lehren eine Vielzahl renommierter Persönlichkeiten am Bauhaus. Weimar wird so auch zu einem Treffpunkt der internationalen Avantgarde.
Schon nach sechs Jahren muss Gropius in der Stadt allerdings die Segel streichen: Politisch-bedingte Finanzierungsprobleme zwingen ihn zu einem Umzug. Neuer Standort wird 1925 die aufstrebende Industriestadt Dessau. Durch die dort ansässige Industrie entsteht eine fruchtbare Zusammenarbeit. Von nun an geht es weniger als noch in den Anfangsjahren um das künstlerische Einzelwerk, sondern um die Erschaffung gut gestalteter, funktionaler Alltagsprodukte und –bauten. In dieser Zeit entstehen viele der Arbeiten, die das Bild des Bauhaus bis heute prägen – von Marcel Breuers Stahlrohrmöbeln bis hin zu Marianne Brandts Aschenbecher.
"Volksbedarf statt Luxusbedarf"
Mit Gropius' Nachfolger, dem Architekten Hannes Meyer, rückt zusätzlich ein sozialer Anspruch in den Mittelpunkt des Schaffens an der Hochschule: Wie lassen sich erschwingliche Produkte und Bauten für jedermann realisieren? "Volksbedarf statt Luxusbedarf", lautet das Motto. Die sogenannte "Volkswohnung" wird unter Meyers Direktorenschaft zur zentralen Aufgabe des Dessauer Bauhauses. Maximale Sparsamkeit in Form, Konstruktion und Material prägen das gestalterische Credo ebenso wie die Idee eines gemeinschaftlichen Gestaltungsprozesses.
Als Meyer 1930 von der Stadt Dessau entlassen wird, weil er für die politische Radikalisierung seiner sich zunehmend für den Kommunismus engagierenden Studierenden verantwortlich gemacht wird, tritt mit Ludwig Mies van der Rohe der dritte und letzte Bauhaus-Direktor den Dienst an. Van der Rohe gilt zu diesem Zeitpunkt bereits als eine überragende Figur der deutschen Avantgarde-Architektur und hat unter anderem mit seinem Barcelona-Pavillon auf der Weltausstellung 1929 für internationale Furore gesorgt. Ihm geht es vor allem um eins: die Architektur und ihre Ästhetik. Kunsttheoretische und sozialpolitische Auseinandersetzungen verlieren unter seiner Leitung ebenso an Bedeutung wie die Rolle der Werkstattarbeit.
Schluss nach 14 Jahren
Mit dem erstarkenden Nationalsozialismus wird jedoch auch diese Phase des Bauhaus rasch beendet. Bereits am 30. September 1932 muss die Dessauer Kunstschule auf Beschluss der nationalsozialistischen Mehrheit in der Stadtversammlung schließen. Ein Semester lang versucht van der Rohe noch, das Bauhaus in einer alten Berliner Telefonfabrik als private Institution weiterzuführen. Doch mit der Versiegelung des Gebäudes und einem Zahlungsstopp für Lehrkräfte sorgen die Nazis 1933 schließlich für die endgültige Auflösung der Bauhaus-Schule.
Der Kunstschule wird so bereits nach nur 14 Jahren ein Ende gesetzt, nicht aber ihren Ideen: Zahlreiche Bauhausabsolventen gehen ins Exil, weil einige ihrer Werke als "entartete Kunst" eingestuft werden. Sie tragen gemeinsam mit den heimkehrenden internationalen Studierenden zur Verbreitung des Bauhaus in der ganzen Welt bei – von Chicago bis Tel Aviv.
Einflussreich bis heute
Trotz seines kurzen Bestehens gilt das Bauhaus als die bedeutendste Kunstschule des 20. Jahrhunderts und die einflussreichste, in Deutschland entstandene Stilrichtung überhaupt. Wer an "das Bauhaus" denkt, der hat weiße Häuser mit Flachdach, Stahlrohrstühle oder Kugellampen aus Glas und Metall im Kopf. Doch das Bauhaus war noch viel mehr und den einen Bauhaus-Stil gibt es gar nicht, sagen manche Experten.
Sie sehen die Schule vielmehr als eine vielschichtige Ideenwerkstatt, in der sich unterschiedliche Meinungen, Theorien und Stilrichtungen zu neuen Konzepten von Bauen und Wohnen verdichteten – Konzepte, die bis heute Kunst und Kunstgewerbe, Architektur und Design in allen Teilen der Welt prägen.